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Sparen statt Reformen
Defizit der Krankenkassen: Die Hauptlast tragen die Beitragszahler
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch das sogenannte Finanzstabilisierungsgesetz für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beschlossen. Der Entwurf der Koalition hat im Vergleich zum vorherigen, bereits heftig umstrittenen Referentenentwurf nichts verbessert. Die Lösungen, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für das Defizit von mindestens 17 Milliarden Euro bei den gesetzlichen Kassen anbietet, verprellen die Ärzte in der ambulanten Versorgung und sind nicht mit Reformschritten etwa im stationären Bereich grundiert. Zur Kasse gebeten werden erneut die gesetzlichen Krankenversicherungen – also die Beitragszahler.
Der Widerspruch fällt deutlich aus und kommt aus ganz verschiedenen Richtungen. Die Kassen wehren sich gegen die weitere Ausplünderung ihrer Rücklagen, hier werden noch einmal vier Milliarden Euro in Anspruch genommen. Auch auf Rücklagen im Gesundheitsfonds, in den zunächst alle Beiträge der gesetzlich Versicherten plus steuerfinanzierte Zuzahlungen fließen, wird zugegriffen – in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. Extra neu ausgedacht hat sich Minister Lauterbach ein Bundesdarlehen für den Gesundheitsfonds von bis zu einer Milliarde Euro. Dieses müsste bei Inanspruchnahme aber von den Kassen – und damit von ihren Beitragszahlern – binnen vier Jahren zurückgezahlt werden. Zusätzlich wird der steuerfinanzierte Zuschuss für den Fonds von 14,5 Milliarden Euro um zwei Milliarden Euro erhöht, vor allem zum Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen.
Insofern stimmt die Aussage Lauterbachs nicht, dass die gesetzlich Versicherten mit dem ab 2023 um drei Prozentpunkte erhöhten Zusatzbeitrag insgesamt nur für 15 Prozent der Einsparungen aufkommen müssen. Das Vorgehen bewertet etwa Jens Martin Hoyer vom AOK-Bundesverband als kosmetische Anpassung, das Ziel einer nachhaltigen Finanzierung der GKV werde weiter verfehlt.
Für die niedergelassenen Ärzte soll die Sondervergütung von Neupatienten wegfallen. Orthopäden und Unfallchirurgen warnen davor, dass mit der Neuregelung Facharzttermine noch rarer werden könnten. Der Virchowbund, der ambulant tätige Ärzte vertritt, sieht zumindest lange Wartezeiten auf die Patienten zukommen. Die Zahnärzte bemängeln, dass erst kürzlich freigegebene notwendige Finanzmittel für neue Leistungen, darunter das Programm für die Parodontitis-Therapie, massiv gekappt werden.
375 Millionen Euro will Lauterbach bei den Pflegebudgets der Krankenhäuser einsparen. Die Krankenhausgesellschaft erwartet aber angesichts der absehbaren Belastungen durch höhere Energiekosten eher einen Inflationsausgleich als noch weiteren Druck, der zudem Arbeitsplätze in der Pflege gefährde.
Eine der wenigen Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf erreichte die Pharmaindustrie, die zuvor den weiteren Niedergang des Standortes Deutschland prophezeit hatte. Eine für 2022 und 2023 vorgesehene Zwangsabgabe von je einer Milliarde Euro verschwand aus der Gesetzesfassung des Kabinetts. Stattdessen gibt es einen Herstellerabschlag von nunmehr zwölf statt bisher sieben Prozent auf patentgeschützte Arzneimittel, allerdings nur für ein Jahr. Für neue Medikamente können die Hersteller nunmehr nur ein halbes Jahr ihre Preisvorstellungen durchsetzen, nicht mehr ein Jahr lang wie bisher.
Während die Ära des CDU-Bundesgesundheitsministers Jens Spahn für die Kassendefizite verantwortlich gemacht wird, gelingt es der jetzigen Bundesregierung nicht, eigene Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, darunter die Dynamisierung des Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds. Auch eine höhere Pauschale für die Krankenversicherung von ALG-2-Empfängern wird nicht umgesetzt, trotz wiederholter Forderungen seitens der Kassen. Eigentlich steht auf dem Plan der Koalition auch eine große GKV-Finanzreform. Minister Lauterbach hat das Vorhaben jetzt auf den Mai 2023 verschoben, ohne die eigentlich geplante Expertenkommission.
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