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Entlarvung der EU-Abschottungspolitik
Menschenrechtsgruppe verlegt Arbeitsschwerpunkt aufs Festland. Geleakter Behördenbericht belegt Beteiligung der EU-Grenzagentur an illegalen Pushbacks
Immer wieder werden Leichname in der Ägäis an Land gespült, Geflüchtete berichten davon, dass sie gewaltsam über den Fluss Evros von Griechenland in die Türkei zurückgebracht wurden – und die griechischen Behörden bestreiten alle Vorwürfe. Die Organisation Mare Liberum dokumentiert solche Vorfälle, mit denen die Menschenrechte von Geflüchteten und Migranten im Mittelmeerraum seit Jahren verletzt werden. Von 2018 bis 2021 unternahm sie auch eigene Such- und Rettungsaktionen. Dabei wie auch auf ihren Beobachtungsmissionen wurden die Aktiven der Initiative mit Sitz in Berlin zunehmend behindert. Ihr kleines Schiff, die Mare Liberum 1, wurde immer wieder festgesetzt, in der Regel mit fadenscheinigen Begründungen.
Wegen der »fortschreitenden Repression und Kriminalisierung durch griechische Behörden« verlagere man jetzt den Schwerpunkt der Tätigkeit »vom Meer an die Küste«, teilte die Menschenrechtsgruppe am Mittwoch mit. »Unser Ziel hat sich nicht geändert, wir bleiben weiterhin in der Ägäis präsent und dokumentieren die Menschenrechtssituation auf der gefährlichen Fluchtroute zwischen Türkei und Griechenland sowie auf den griechischen Inseln«, sagt Saskia Berger, Aktivistin von Mare Liberum. Die Organisation hat nach eigenen Angaben allein seit 2020 »Zehntausende« gewaltsamer Pushbacks in die Türkei dokumentiert. Mit dem Begriff Pushback werden Vorgänge wie das gezielte Abdrängen von Migranten und Geflüchteten in nicht zur EU gehörende Gewässer oder heimliche Abschiebungen bezeichnet. All das ist illegal, weil den Menschen damit ihr Recht vorenthalten wird, einen Asylantrag zu stellen.
Die griechische Küstenwache, aber auch die EU-Grenzagentur Frontex und Schiffe unter Nato-Kommando schieben auch weiterhin Menschen illegal wieder in die Türkei zurück. Mit dem neuen Projekt will Mare Liberum Zeugenaussagen von Überlebenden sammeln und ihnen so Gehör verschaffen. Außerdem sammeln die Aktiven öffentlich zugängliche Informationen über »Operationen« von Grenzpatrouillen in der Ägäis und setzen sie in Beziehung zu den Aussagen Betroffener. So wolle man den Druck auf die Behörden erhöhen, »damit sie die Menschenrechte respektieren und sie für ihre Menschenrechtsverbrechen zur Rechenschaft ziehen«.
Unterdessen wurden Details aus einem internen Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) bekannt, die belegen, dass Frontex illegale Pushbacks durch die griechische Küstenwache finanzierte – und dabei »bewusst« wegschaute. Die Vorwürfe waren lange bekannt, über Pushbacks gibt es unzählige Medienberichte und Dokumentationen von NGOs. Frontex-Chef Fabrice Leggeri trat unter anderem deswegen Ende April zurück. Pikant an dem neuen Report ist, dass er auch Mitglieder der EU-Kommission in Erklärungsnot bringt.
Am Donnerstag hatten der »Spiegel« und die französische Zeitung »Le Monde« zuerst über das OLAF-Papier berichtet. Demnach heißt es darin, in einem Fall sei ein Frontex-Flugzeug eigens aus der Ägäis abgezogen worden, »um nicht Zeuge zu werden«. Laut »Spiegel« setzen Grenzschützer in der »Ägäis Asylsuchende systematisch antriebslos auf dem Meer aus – entweder in wackeligen Booten oder auf aufblasbaren Rettungsinseln«. Die EU hat die beteiligten Küstenwachschiffe mitfinanziert.
Die EU-Kommission betonte am Donnerstag, man habe 31 Menschenrechtsbeobachter eingesetzt, um solche Vorfälle künftig zu verhindern. »Wir arbeiten auch eng mit den griechischen Behörden zusammen«, sagte Kommissionssprecherin Anitta Hipper. Der »Respekt« vor den Menschenrechten müsse beim Schutz der EU-Außengrenze gewährleistet sein.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wollte bei ihrem Besuch in Griechenland am Donnerstag auch mit Frontex-Beamten zusammentreffen. Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, forderte Baerbock auf, dort »Klartext« zu reden und ein »sofortiges Ende der Pushbacks« zu verlangen.
Mit Blick auf den OLAF-Bericht erklärte Korte, dieser müsse »sofortige und grundlegende Konsequenzen haben«. Denn Frontex habe nicht nur früh von den Menschenrechtsverletzungen durch griechische Behörden gewusst und die Öffentlichkeit und das EU-Parlament diesbezüglich »gezielt belogen«. Die Grenzagentur habe die Aufklärung auch noch behindert und verschleiert, dass sie einige der Pushbacks sogar »mit europäischem Steuergeld selbst finanzierte«.
Das sei »ein Verbrechen«, empörte sich Korte. Statt sich um die Rettung von Menschen zu kümmern, habe die »jahrelang von einem Rechtspopulisten geleitete« Behörde durch die Finanzierung menschenrechtswidriger Praktiken den »Tod der Menschen bewusst in Kauf genommen«. Der Politiker fordert: »Mit dem jahrelangen Weggucken der EU-Kommission und der weiteren Aufrüstung von Frontex muss Schluss sein.«
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