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Politisch bis zuletzt
Heute vor 30 Jahren starb David Wojnarowicz, heimlicher Star der New Yorker Kunstszene
Dieses Fragment eines Graffitos am Anhalter Hochbunker, einem ehemaligen Luftschutzbunker in Berlin-Kreuzberg, ist leicht zu übersehen. Dieselbe Wand des Gebäudes, in dem das Berlin Story Museum untergebracht ist, ziert nämlich auch der Spruch »Wer Bunker baut, wirft Bomben« – sehr viel auffälliger als das Stück Kuhohr und -horn sowie die Kuhschnauze, aus der eine Zunge hängt (das restliche Tierantlitz ist der Zeit zum Opfer gefallen). Was die wenigsten Besucher*innen des Berlin Story Museums ahnen: Auch dieser Bildrest hat eine wichtige historische Bedeutung. Der Ursprung stammt von keinem Geringeren als David Wojnarowicz.
Der Künstler, der heute vor 30 Jahren an Aids-Komplikationen verstorben ist, bewegte sich auf der Grenze zwischen Hochkultur und Underground. Sehr viel weniger bekannt als seine Zeitgenossen Keith Haring und Jean-Michel Basquiat, die wie er in den 80er Jahren in der Subkulturzene von Downtown-Manhattan berühmt wurden, ist er dennoch einer der bekanntesten Künstler seiner Zeit.
Die Retrospektive »History Keeps Me Awake At Night« des New Yorker Whitney Museums war 2018 ein großer Erfolg und danach noch im Reina Sofía in Madrid und im Mudam in Luxemburg zu sehen; seine Kunstwerke hängen im MoMA und im Met. Erst im Mai wurde eins seiner Bilder für knapp eine Million US-Dollar versteigert. Dennoch ist der Name David Wojnarowicz erstaunlich vielen Menschen nicht geläufig. Grund genug, um zu fragen: Was machte ihn so besonders?
Jugend auf der Straße
Geboren wurde Wojnarowicz am 14. September 1954 in Red Banks, New Jersey, in eine arme Familie. Seine Kindheit war gezeichnet von Gewalt; der Vater, ein Alkoholiker, schlug ihn und seine beiden älteren Geschwister regelmäßig. Als Teenager lebte Wojnarowicz auf der Straße und ging auf dem Times Square auf den Strich. Der große Platz, heute bekannt für seine überbordende Leuchtreklame, war in den 70er Jahren ein schmuddeliger, zwielichtiger Ort, geprägt durch Sexkinos, Stundenmotels, Straßenprostitution und Drogendealer.
Schließlich landete Wojnarowicz im East Village. Wie auch der Times Square war das Viertel, das heute gentrifiziert und hip ist, zu damaliger Zeit ein Hotspot der Kriminalität. »Man hörte Schüsse, Leute wurden überfallen, und es gab viele Drogen. Heroin war zu der Zeit sehr beliebt, überall lagen Spritzen herum«, erinnert sich Alan Barrows zurück. Barrows eröffnete 1982, als sich die Kunstszene des East Village zu entwickeln begann, zusammen mit Dean Savard die Civilian Warfare Gallery, in der Werke von Wojnarowicz erstmals ausgestellt wurden. Die Berliner Künstlerin Rilo Chmielorz, die Wojnarowicz 1986 im East Village besuchte, hat ähnliche Erinnerungen: »Jede Nacht gab es auf der Straße Schießereien wegen Drogen. David schärfte mir ein, nicht die Tür zu öffnen, wenn es klingelt, nicht allein nach Anbruch der Dunkelheit rauszugehen. Es war ganz anders als das beschauliche Kölle.«
Die Integration der East-Village-Kunst
Im desaströsen Zustand des East Village lag auch sein Trumpf. »Ein Großteil des Viertels stand leer und verfiel, die Mietshäuser sahen ziemlich ekelerregend aus«, sagt Barrows. »Junge Künstler und andere Kulturschaffende, Musiker und so weiter, zogen dorthin, weil es im Vergleich zu anderen Vierteln in New York unglaublich billig war.« Und sie eröffneten – wie Barrows – Galerien. Anfang der 80er boomte die Szene, und Wojnarowicz war ihr heimlicher Star. Seine Kunst – Collagen, Bilder, Installationen, Skulpturen wie auch Texte und Tapes, die er aufnahm – war politisch und wütend, thematisierte unter anderem seine Homosexualität und kritisierte den gesellschaftlichen Zustand der USA. Als Material verwendete er hauptsächlich Gegenstände, die er auf der Straße fand, darunter Sperrholz, Metalldeckel von Mülleimern und alte Supermarktplakate.
Schließlich wurden die reichen Kunstsammler*innen auf die Kunstszene des East Village aufmerksam und fuhren mit ihren Limousinen vor. Das machte einige Künstler*innen wie Wojnarowicz bekannt, zerstörte aber gleichzeitig die Szene. »Die Kunstwelt hat die magische Fähigkeit, jede Kritik an ihr zu übernehmen und damit Geld zu verdienen. Die East-Village-Szene war anfangs fast eine Parodie der Kunstwelt. Aber 1985 war sie dann die Kunstwelt«, erinnert sich Cynthia Carr zurück. Carr ist die Autorin einer Biografie über David Wojnarowicz (»Fire In The Belly«) und wohnt heute noch im East Village. »Als die Szene erst einmal entdeckt und ausgebeutet war, stiegen die Mieten in all den billigen Ladenlokalen in die Höhe.« Viele Galerien schlossen, so auch die von Barrows 1987, in dem Fall allerdings, weil sein Partner Dean Savard inzwischen schwer heroinabhängig war.
Aufenthalte in Köln und Berlin
Mitte der 80er besuchte Wojnarowicz auf Einladung Köln und Berlin. Chmielorz lernte ihn 1986 in Köln kennen. Die Galeristin Anna Friebe habe sie gebeten, sich um einen Künstler aus New York zu kümmern, »der ein bisschen schwierig sei«. Die erste Begegnung war aber sehr entspannt. »Die Chemie zwischen uns stimmte, wir haben uns sofort angefreundet«, sagt Chmielorz. »Generell haben wir viel zusammen gelacht. Er hatte natürlich viel Wut in sich, aber er war auch ein warmherziger Mensch.« Die Freundschaft zwischen beiden wurde so eng, dass er sie ins East Village einlud. Und ihr ein Bild widmete: »History Keeps Me Awake At Night (For Rilo Chmielorz)« – wie 2018 dann die große Retrospektive im Whitney Museum hieß.
In Berlin lernte er zusammen mit Alan Barrows den Regisseur Rosa von Praunheim kennen, in dessen Film »Death = Silence« er später gemeinsam mit Allen Ginsberg und Keith Haring zu sehen sein sollte. Barrows hat gute Erinnerungen an den Aufenthalt in Berlin. »Wir sind durch die ganze Stadt gezogen, wir waren in Ostberlin und besuchten auch einen illegalen Club in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, wo wir die ganze Nacht durchgetanzt haben. David hat was an die Wand des Bunkers gemalt, ich glaube, dieses Wandgemälde gibt es heute noch.« Tatsächlich gibt es das Bild noch – es ist jenes auf dem Anhalter Hochbunker. Seine Kuh, die »Gagging Cow«, malte Wojnarowicz auch auf die Berliner Mauer.
Der Kampf gegen Aids und die Politik
Zurück zu Hause holte Wojnarowicz die Realität wieder ein. Die 80er Jahre waren, vor allem im East Village mit seinen queeren Künstler*innen und in New York City generell, stark geprägt von einem neuen Virus, das für fast alle, die davon infiziert waren, das Todesurteil bedeutete: HIV. Auch Davids engster Vertrauter, der Fotograf Peter Hujar, bekam Anfang 1987 seine Aids-Diagnose und verstarb innerhalb von zehn Monaten im Alter von 53 Jahren an den Komplikationen.
Wojnarowicz, der sich wie viele schwule Männer zu jener Zeit sträubte, einen Test zu machen, weil es keine Chancen auf Heilung gab, erfuhr im Frühjahr 1988, dass er Aids hatte. Seine Diagnose, Hujars Tod sowie die Weigerung vieler Politiker*innen (US-Präsident Ronald Reagan hatte das Virus erst 1985 öffentlich anerkannt) und der Mehrheitsgesellschaft, sich mit dem Thema zu beschäftigen, das sie als Problem von Schwulen, Drogenabhängigen und Prostituierten ansahen, steigerte Wojnarowicz’ eh schon große Wut und Frust auf die Politik noch mehr. Er setzte sich nicht nur in seiner Kunst mit HIV auseinander, sondern wurde auch zum Aids-Aktivisten.
Er schloss sich der Gruppe Act Up an, die dafür kämpfte, HIV-Erkrankten mehr Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen und Politik und Pharmaindustrie unter Druck zu setzen. Die Forschung sollte vorangetrieben und Patient*innen der Zugang auch zu experimenteller Medizin ermöglicht werden. »If I die of Aids – forget Burial – just drop my body on the steps of the FDA« (Food and Drug Administration) stand in Majuskeln auf dem Rücken einer Jacke, die Wojnarowicz trug. In der Tat gab es 1992 eine Protestaktion, bei der die Asche von an Aids Verstorbenen vor dem Weißen Haus verstreut wurde (Wojnarowicz’ gehörte allerdings nicht dazu).
Was bleibt
Am 22. Juli 1992 starb Wojnarowicz in seiner Wahlheimat Manhattan. Auch in den 30 Jahren seit seinem Tod ist die Bedeutung seiner Kunst, die Faszination, die von ihm und seinem Leben ausgeht, ungebrochen. 2012 veröffentlichte Cynthia Carr mit »Fire In The Belly« eine umfangreiche, hochgelobte Biografie, 2020 folgte der Dokumentarfilm »Fuck You Faggot Fucker« (benannt nach einem der bekanntesten Bilder von Wojnarowicz) von Chris McKim.
Auch Wojnarowicz’ Bücher, allen voran der Essayband »Close To The Knives«, werden heute noch gelesen, seine Kunstwerke noch ausgestellt, in Deutschland in den vergangenen Jahren unter anderem im Gropius-Bau und in der Julia Stoschek Collection in Berlin sowie im Museum Ludwig in Köln. Und wer nicht so lange warten will, bis die Kunst von Wojnarowicz wieder in ein Museum nach Deutschland kommt, hat zumindest die Möglichkeit, die Fragmente eines 35 Jahre alten Graffitis an der Wand des Anhalter Hochbunkers in Kreuzberg zu sehen.
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