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Kansas im Abtreibungskampf
Referendum könnte zu Abtreibungsverbot im US-Bundesstaat führen
Das Referendum in Kansas könnte den Weg zum absoluten Abtreibungsverbot ebnen, obwohl das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert ist. Im Juni hatte das Oberste Gericht in Washington das nationale Recht auf Abtreibung zu Fall gebracht: Die Obersten Richter haben die Frage der Abtreibung ausdrücklich an die Wähler in den Bundesstaaten zurückgegeben. Das Referendum in Kansas bietet den Wählern nun die Möglichkeit, dass die republikanischen Gesetzgeber mit starker Mehrheit im Staatskongress das bestehende Verfassungsrecht auf Abtreibung durch restriktive Gesetze kippen könnten. Kansas wird immer mehr zum Ziel von Frauen aus den Südstaaten; die Hälfte der Abtreibungs-Patientinnen in Kansas kommt von außerhalb. Auch diesen Zustand gilt es den Republikanern ein Ende zu setzen. Wer dagegen das Referendum ablehnt, erlaubt dies den Abgeordneten nicht.
Das Referendum wurde von den Republikanern so gestaltet, dass möglichst nur ihre Kernmitglieder an die Urne kommen: Das Datum am 2. August ist auch Vorwahltag für die Novemberwahlen, an dem innerparteiliche Kandidaten gekürt werden. Die Demokraten allerdings führen solche Kampfabstimmungen in Kansas kaum durch. Ein Drittel der Wähler ist parteilich ungebunden und fällt deshalb auch meistens aus. Im Sommer 2018 haben gerade mal 27 Prozent der Bürger abgestimmt. Dieses Jahr kommt es aber anders. Denn gerade die Entscheidung aus Washington kippte das konservative Kalkül. Am Tag des Anti-Abtreibungsrecht-Urteils begann ein rapider Spenden-Anstieg für die »Nein«-Kampagne »Kansas for Constitutional Freedom«. Jetzt hat das »Ja«-Lager »Value them Both« ganze zwei Millionen Dollar weniger; der größte Geldgeber ist die katholische Kirche mit vier Millionen Dollar.
Die politische Sprache der Kampagnen ist ungewöhnlich: »Value them Both« – also Wertschätzung für Mutter und Fötus – benutzt die idealistische Sprache der Liberalen. Die Gegenseite jedoch pflegt eine harte, libertäre Sprache: »Keep Kansas free«, »Say No to more government Control«. Aktivist*innen, die nun in der Julihitze von Tür zu Tür gehen, behaupten gegenüber dem »New Yorker«, dass 60 Prozent der Bürger*innen für die Beibehaltung des gegenwärtigen Abtreibungsrechtes sind. Umfragen deuten auf ein unerwartet knappes Ergebnis: Das »Nein«-Lager liegt nur wenige Punkte zurück. Kansas wird also auf wichtige Fragen für die Nation insgesamt antworten: Wie einig sind die Republikaner in dieser Frage wirklich? Wie sehr lassen sich die Abtreibungsrecht-Befürworter gegen die Republikaner mobilisieren?
Auch wenn beide Seiten vorsichtig formulieren, bedeutet es kaum, dass dieses Thema in Kansas neu wäre. Kansas bedeutete eine Art Stunde Null des Abtreibungsstreits. In den Sechzigern war der Bundesstaat Vorreiter bei der Liberalisierung. Als 1973 das nationale Abtreibungsrecht erlassen wurde, waren 75 Prozent in Kansas bereits dafür. Berüchtigt wurden dann die Proteste gegen den Abtreibungsarzt George Tiller in Wichita. Damals legten sich die christlich bewegten Protestler vor die Autos von Frauen, die zur Klinik wollten. Im Jahr 1983 wurde Tiller vor seiner Klinik in beide Arme geschossen. Im »Summer of Mercy« im Jahr 1986 begann dann die christliche Bewegung in Kansas mit den Stadionauftritten des Predigers Pat Robertson. 2009 wurde Tiller vor seiner Kirche beim Flugblattverteilen erschossen.
Heute behaupten die Republikaner, dass ein Sieg für Nein eine unregulierte Abtreibungsindustrie mit sich bringen würde. Dabei ist Kansas relativ strikt: Es gibt die Pflicht zum Ultraschall und 24 Stunden Bedenkzeit, keine Abtreibung ab der 20. Schwangerschaftswoche, keine Telemedizin für Abtreibungsmedikamente, elterliche Zustimmung für Frauen unter 18 Jahren. Doch längst haben die Republikaner die Frage zur nationalen Schicksalsfrage gekürt: Plakate fabeln von einer »linken Armee«, sprich Joe Biden zusammen mit linken Stars wie Nancy Pelosi, Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez. Dabei sind es die Republikaner in Texas und anderswo, die die Patientinnenzahlen in der Wichita-Klinik von George Tiller im letzten Jahr sich verdoppeln ließen. Auf der Gegenseite befürchten die Ärzte in Kansas, Kämpfe wie ihre Kolleg*innen anderswo führen und Angst haben zu müssen, selbst Eileiter-Schwangerschaften zu behandeln. Krankenhausjuristen lassen nur dann intervenieren, wenn die Frauen bereits stark innerlich bluten. Die Frage des Abtreibungsrechts in Kansas funktioniert seit Jahren wie eine Wippe: Der steigenden Abstraktheit der Initiativen steht die unverändert komplexe, konkrete und blutige Realität des Lebens und Sterbens gegenüber.
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