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Tummelplatz verkrachter Existenzen
Die Serie »King of Stonks« führt die Finanzbranche und ihre Protagonisten vor
Die Finanzindustrie hat nicht nur in kapitalismuskritischen Kreisen mittlerweile keinen besonders guten Ruf mehr. Das hat auf jeden Fall mit der Finanzkrise von 2008 zu tun, doch der Wirecard-Skandal (2020), der während der Bundestagswahl 2021 überraschenderweise kaum eine Rolle spielte, steigerte dies noch einmal. Mit der etwas krawalligen deutschen Netflix-Serie »King of Stonks« ist der größte europäische Finanzskandal seit dem Zweiten Weltkrieg nun unter der Regie von Jan Bonny, Philipp Kässbohrer und Matthias Murmann verfilmt worden.
Die titelgebenden »Stonks« kommen von »Stocks« (Aktien) und bezeichnen in der absichtlich falschen Schreibweise wirtschaftliche Fehlentscheidungen am Finanzmarkt, die aber mit Hingabe getroffen werden. Genau das tun auch die Macher der fiktionalen Firma Cable Cash. Sie geben vor, die digitale Zahlungsweise der Zukunft endlich auch am Standort Deutschland zu verankern, und werden deshalb von der Politik hofiert und mit Samthandschuhen angefasst. Angeblich erwirtschaftet das Unternehmen, das vor allem Gelder der Mafia wäscht und der Pornoindustrie unkomplizierte Zahlungsabwicklungen ermöglicht, einen riesigen Umsatz und hat unzählige internationale Kunden. Das stimmt zwar gar nicht, dennoch steht der Börsengang unmittelbar bevor.
Der Chefetage von Cable Cash gelingt es im Schulterschluss mit einer von digitaler Innovation blind begeisterten Politik und den Medien, die stets auf der Suche nach der nächsten quotenträchtigen Geschichte sind, einen unglaublichen Hype zu entfachen, der im Vorfeld von Börsengängen so typisch ist.
Im Zentrum der sechsteiligen, sehr flott erzählten Serie steht der ehemalige Programmierer Felix Armand (Thomas Schubert), der als rechte Hand des durchgeknallten CEO Magnus Cramer (Matthias Brandt) die Geschicke von Cable Cash leitet. Kurz vor dem großen Börsengang lernt Felix die vermeintliche Investorentochter Sheila Williams (Larissa Sirah Herden) kennen. Nur spielt auch die mit falschen Karten und ist in Wirklichkeit eine Short-Sellerin, die versucht, Belastendes über Cable Cash herauszufinden, um mit Insiderwissen und den Millionen irgendwelcher Geldgeber gegen die Firma ihres neuen Lovers zu wetten und damit sehr viel Geld zu verdienen. Felix wiederum macht sich Hoffnungen, es bis zum CEO, also zum Chef des Unternehmens zu bringen, hat aber nicht einmal einen gültigen Arbeitsvertrag und wird von seinem Boss immer wieder an der Nase herumgeführt.
»King of Stonks« ist eine Komödie, die fast schon klamaukhaft die Finanzbranche als Tummelplatz verkrachter Existenzen vorführt. Genau hier liegt aber auch die Schwäche der Serie – sie bedient etwas zu platt eine verkürzte Kapitalismuskritik. Wobei die Macher von Cable Cash gleichzeitig als Getriebene wie auch Akteure eines Systems gezeigt werden. Sie müssen ganz kapitalismuskonform »bei Strafe ihres Untergangs« (wie es in Marx’ »Kapital« mehrfach heißt) gemäß der nicht hinterfragbaren Wertschöpfungslogik handeln. Das alles in einem Betrieb, der nichts produziert, sondern nur als Idee von Innovation und möglichen zukünftigen Werten existiert.
Die Serie inszeniert einige Aspekte des Wirecard-Skandals recht detailgetreu, bricht andere aber ironisch. So soll etwa Cable Cash in der Serie von der Deutschen Bank geschluckt werden, während in der Realität Wirecard einst andersherum die Deutsche Bank schlucken wollte. Während das große Geld ausbleibt, schräge Deals in Asien eingefädelt werden, die italienische Mafia immer ungemütlicher wird, der Firma ein Pornoskandal droht, die Digitalministerin auf jeder Cable-Cash-Party ausgelassen feiert, als gäbe es kein Morgen, und CEO Magnus Cramer langsam den Verstand zu verlieren scheint, hofft der recht sympathische, österreichisches Deutsch sprechende Felix auf die große Liebe zu der Frau, die fest an seinen Untergang glaubt.
Ganz ohne Gewissensbisse kommen einige Figuren jedoch nicht aus. Denn natürlich hat auch »King of Stonks« seine Moral, die dann aber auch wieder komplett karikiert wird. Ein bisschen funktioniert die Serie mit ihrer an die Hörspielserie »Per Anhalter durch die Galaxis« erinnernden Erzählerstimme auch als satirische Gebrauchsanweisung für die Finanzindustrie, deren wichtigste Mechanismen nebenbei so erklärt werden, dass auch bisher Unwissende diese gut verstehen. Das ist alles sehr kurzweilig und wirklich unterhaltsam inszeniert, wenn auch stellenweise etwas zu abgegriffen. Im Gegensatz zu Serien oder Filmen wie »Bad Banks« oder »Dead Man Working«, die bierernst daherkommen, schafft es »King of Stonks«, den digitalen Finanzkapitalismus in seiner Absurdität spielerisch vorzuführen, ohne moralinsauer zu werden.
»King of Stonks«, seit dem 6. Juli auf Netflix, alle sechs Folgen bereits erschienen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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