Verbote nicht in Sicht

Diesen Sommer wird über den Ballermann-Hit »Layla« und Dreadlocks an weißen Menschen diskutiert. In beiden Fällen gelten Kritiker oft als verklemmt und autoritär.

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 6 Min.
Es würde nicht wundern, wenn hier grade der Song »Layla« gespielt würde: Die Großraumkneipe »Bierkaiser« auf Mallorca.
Es würde nicht wundern, wenn hier grade der Song »Layla« gespielt würde: Die Großraumkneipe »Bierkaiser« auf Mallorca.

Wer den Ballermann-Hit »Layla« nicht mag, ist prüde und verklemmt. Und wenn Schwarze sich beschweren, dass Weiße Dreadlocks tragen, dann sind sie Rassisten. Wie ist es eigentlich den Reaktionären gelungen, den Diskurs zu diesen Themen zu kapern, sich selbst als freidenkende Normalos darzustellen, während Menschen, die sich gegen Rassismus oder Sexismus wehren, plötzlich dastehen, als wollten sie auf bösartigste diktatorische Art die Durchschnittsbürger zensieren?

Der Reihe nach. Die Stadt Würzburg hat das Lied »Layla« des Schlagerduos DJ Robin & Schürze wegen Sexismus aus dem offiziellen Musikrepertoire zum Kiliani-Volksfest verbannt. Das ist kein staatliches Verbot, es ist ein Boykott der Veranstalter. Der Song wurde bisher nicht von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. In dem Lied geht es um den Besuch in einem Bordell. Das lyrische Ich begegnet bei einem Stadtbummel einem Bordellbesitzer, der sich freut, weil seine Prostituierte Layla bei den Kunden überaus beliebt ist. Anschließend überzeugt sich der Protagonist des Songs selbst von den Qualitäten Laylas, die im Refrain des Songs als »Puffmutter« und als »schöner, jünger, geiler« beschrieben wird.

Welche konkreten Vorwürfe kann man dem Song machen? Die affirmative Darstellung von Sexarbeit? Nein. Es geht nicht um Sexarbeit an sich, es geht um kriminelle und ausbeuterisch organisierte Sexarbeit. Wir begegnen dem klassischen Zuhälter, der als Anreißer eine Prostituierte anpreist. Der Protagonist macht sich keine Sekunde lang Gedanken darüber, was das für diese Frau bedeutet und unter welchen Umständen sie arbeitet. Es geht um Männer, die innerhalb repressiver patriarchaler Strukturen »Spaß« haben wollen. Der Name der Frau ist »Layla«. Im Zusammenhang mit dem Song wirkt das wie ein klassisch misogyner Exotismus, der auf den Mythos der sexuell unersättlichen Orientalin verweist. Dazu ist sie »jünger« – jünger als alle anderen? Kritik an dem Song ist also nicht gleichzusetzen mit der pauschalen Ablehnung von Sexarbeit. Es geht darum, die verharmlosende Darstellung von Misogynie und sexueller Ausbeutung abzulehnen.

Einige führen zur Verteidigung des Songs folgendes Argument ins Feld: Warum darf Musik von misogynen, antisemitischen, »arabischstämmigen« Rappern gespielt werden, nicht aber die der »deutschen« Ballermann-Schlagerstars? Zunächst ist dazu zu sagen, dass die meisten der gemeinten Rapper Deutsche sind, auch wenn sie einen familiären Migrationshintergrund haben. Zudem wird auch dieses Genre – zurecht – heftig kritisiert und von vielen Seiten boykottiert. Das frei herbeifantasierte, aber hartnäckig behauptete Argument der Bevorzugung migrantischer Musiker ist ein typisch rechtspopulistischer und rassistischer Topos.

Auch der Vorwurf, dass das Lied »Claudia hat nen Schäferhund« von der politisch eher links stehenden Gruppe »Die Ärzte« offenbar kein Problem sei, lässt sich nicht halten. Der Song, in dem es um ein sexuelles Verhältnis eines Mädchens zu ihrem Hund geht, war von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien von 1987 bis 2004 indiziert. Das Ärzte-Lied »Geschwisterliebe« ist es bis heute. Das in der Debatte immer wieder auftauchende Lied »Jeanny« von Falco, das eine Mordszene aus der Sicht des Mörders einer jungen Frau aufruft, wurde von zahlreichen Radiosendern boykottiert. Das Lied »Skandal im Sperrbezirk« von der Spider Murphy Gang hingegen, das auch oft angeführt wird, wenn gezeigt werden soll, dass man früher nicht so empfindlich gewesen sei, ist eher eine Kritik an der muffigen CSU-Doppelmoral in Bayern und in Sachen Sexismus nicht mit »Layla« auf einer Stufe.

Noch ein Wort zum Thema Prüderie: Im Video zu »Layla« sieht man die Interpreten DJ Robin und Schürze, wie sie als bumsfidele Biedermänner durch eine idyllische Fachwerkkulisse bummeln. Das im Song erwähnte Bordell ist hier ein schmuck renovierter Altbau. Der Zuhälter ist ein verschmitzt grinsender Typ. Und das Innere des Bordells sieht aus wie eine Edeldisco. Die Titelheldin Layla ist im Gegenlicht erotisch an einer Stange tanzend zu sehen. Anstatt die beiden Biedermänner beim freudlosen Bezahlsex mit Layla in einer heruntergekommenen Butze zu zeigen, wie es weit mehr der Realität entspräche, wird ausgewichen auf klischeehaft pseudoerotische Bilder. Das ist prüde – nicht die Kritik an sexueller Ausbeutung.

Sexismus hat in der Popmusik eine lange Geschichte. In dem Buch »Sex Revolts« von Simon Reynolds und Joy Press kann man nachlesen, dass in Songs wie »Under my thumb« von den Rolling Stones tief sexistische Klischees besungen werden, die man heute so auch bei Anhängern der Alt-Right findet. Auch im deutschen Schlager hat Sexismus eine lange Tradition. Was sich verändert hat, ist der Blick auf diesen Sexismus und damit auch die Reaktion darauf. Doch den Kritikern schlägt viel Hass entgegen.

Obwohl »Layla« ganz offensichtlich ein reaktionäres Weltbild vertritt, stehen diejenigen, die das öffentlich anprangern, als verklemmt da. Dabei verfahren viele Verteidiger des Liedes in typisch rechtspopulistischer Weise. Die Verbannung von der Playlist eines Stadtfests wird zum »Verbot« aufgeblasen. Die Kritik an der beschönigt dargestellten sexuellen Ausbeutung einer jungen Frau wird als »prüde« diffamiert. Der »Layla«-Produzent Ikke Hüftgold durfte sich in der »Zeit« darüber auslassen, dass der Song »weibliche Schönheit« besinge – eine lächerliche Behauptung. Hüftgold stellt die Debatte um den Song als eine Hexenjagd auf »normale Menschen« dar. Er argumentiert sogar mit dem Grundgesetz und der Kunstfreiheit. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr.

Ein zweiter Sommeraufreger funktioniert nach demselben Prinzip. Die schwarze Moderatorin Shanon Bobinger forderte im April in der Fernsehsendung »Stern TV«, dass Weiße, wenn sie Dreadlocks trügen, sich der Bedeutung dieser Frisur bewusst sein sollten. Sie kritisierte, dass eine weiße Frau wie Kim Kardashian schwarze Styles verkaufe, sie ihres Sinnes entleere und damit sehr viel Geld verdiene. Und das, ohne dass Schwarze dadurch mehr Anerkennung bekämen oder auf ihre Probleme aufmerksam gemacht werde. Dieses Phänomen wird im aktuellen Diskurs als »kulturelle Aneignung« bezeichnet. Treffender wäre »kulturelle Ausbeutung«. Weiße Kommentatoren wie der Youtuber Montana Black behaupteten dann, es sei rassistisch von Schwarzen, wenn Weißen verboten werden solle, eine solche Frisur zu tragen. Dabei war von einem Verbot keine Rede. Auch hier wieder das Diskursmuster der Täter-Opfer-Umkehr. Auch hier das Beharren auf einem »Verbot«, das es nicht gibt. Auch hier werden diejenigen, die sich für Menschenwürde und -rechte einsetzen, in einer krassen Verzerrung der Tatsachen als autoritär dargestellt.

In wohl gut gemeinten Kommentaren wird immer wieder erwähnt, dass es keine Kultur ohne kulturelle Aneignung gäbe. Aber vielleicht wäre es besser, zwischen »kultureller Ausbeutung« und »Transkulturalität« zu unterscheiden. Transkulturalität ist ein Konzept des Philosophen Wolfgang Welsch, das beschreibt, dass Identitäten und Gesellschaftssysteme immer hybride und prozessuale Konstrukte sind, die durch die Vermischung verschiedener Kulturen entstehen. Im Moment verläuft die Debatte eher günstig für die reaktionären Kommentatoren. Der Diskurs entwickelt sich in Richtung eines Multikulturalismus, der davon ausgeht, es gebe klar voneinander abgrenzbare und getrennte Kulturen. Das ist identitäres Denken. Eine gefährliche Entwicklung. Und doch sollte nicht fälschlicherweise davon ausgegangen werden, dass alle gleich sind, das heißt: dieselben Voraussetzungen haben. Ansätze der Critical Whiteness machen darauf aufmerksam, dass »Schwarz« und »Weiß« nicht nur als biologische Fakten zu begreifen sind, sondern darüber hinaus als soziale Strukturen. »Weiß« fungiert als Norm und »Schwarz« als schlecht konnotierte Abweichung – damit wird struktureller Rassismus produziert.

Die Debatten um »Layla« und Dreadlocks sind zwei verschiedene. Die Diskursstrategie, die zur Verteidigung von Rassismus oder Sexismus verwendet wird, ist allerdings dieselbe – Kritikern wird Verklemmtheit und Autoritarismus unterstellt. Entgegen vielen Behauptungen gibt es aber keine »Zensurkultur«. Stattdessen geht es um Würde, Anerkennung und um Rechte. Darauf sollte sich die Aufmerksamkeit richten.

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