Ich, der Diamant

Liam Gallagher bringt sein bestes Album raus

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein bisschen Selbstüberschätzung muss sein
Ein bisschen Selbstüberschätzung muss sein

Das ist eine Triggerwarnung! Der folgende Text ist Hardcore-Referenz-Pornografie.

Britpop? Das ist ein viel zu enges Korsett für einen Künstler wie Liam Gallagher. Denn Britpop, soll er mal gesagt haben, das seien für ihn diese ganzen Camden-Bands wie Pulp, Blur und all die anderen Langweiler. Leute, die sich nur in ihrem eigenen Kosmos bewegten. Die Einzigen, die damals in den Neunzigerjahren größer gedacht hätten, das seien The Verve und Oasis gewesen. Nun ist das natürlich keine ganz unumstrittene Sicht auf die Britpop-Dinge. Eventuell gibt es ja auch so etwas wie einen musikalischen Dunning-Kruger-Effekt. Dunning und Kruger wollten herausfinden, wie Selbsteinschätzung funktioniert. Kathrin Passig hat das Ergebnis in der »Frankfurter Rundschau« so zusammengefasst: »Die Schlechtesten irrten sich dabei (…) und hielten sich für etwas besser, als sie in Wirklichkeit waren.« Und bei diesen Worten denke ich an Liam Gallagher, der 1998 mit der Bierdose in der Hand im Interview saß und sagte: »›Be Here now‹ is the best album ever!«

Während Bands wie Blur oder Pulp sich in einem komplexen intellektuellen und popkulturellen Bezugssystem bewegten, war dieser Bezugsrahmen bei Oasis und The Verve schon etwas reduzierter. Vor allem bei Oasis. Da waren es die Beatles, die Rolling Stones, die Sex Pistols, Slade, T. Rex und die Stone Roses. Aber Reduktion kann ja durchaus positiv sein. Der Star-Produzent Rick Rubin beispielsweise meint, dass die große Kunst des Musikproduzierens gerade in der Kunst des Reduzierens liege. Und als Solokünstler hat Liam Gallagher das Kunststück vollbracht, den bereits ziemlich komplexitätsreduzierten Bezugsrahmen von Oasis noch zu verkleinern. Zu seinem Bezugsrahmen gehören die Beatles, die Stones, Oasis und seine eigenen Soloalben.

Das Album »C’mon you know« beginnt mit einem Mashup aus »You can’t always get what you want« von den Rolling Stones und »Mother« von John Lennon. »Diamond in the Dark«, ein rumpeliges Update des Oasis-Sounds, enthält die Textzeile »Now I know how many holes it takes …« na, na, na was? Nein, bei Liam ist es nicht »…to fill the Albert Hall« wie bei den Beatles, sondern »too«. Und bescheiden, wie Gallagher ist, beschreibt der im Dunkeln schimmernde Diamant des Albumtitels natürlich keinen geringeren als: Liam Gallagher. In nietzscheanischer Metaphorik sieht er sich im selben Song auch als »Lion in the ark«. Der letzte Löwe der britischen Popmusik!

»Don’t go halfway« beginnt mit rückwärts abgespielten Gitarren und das erinnert nicht ganz zufällig an die John-Lennon-Songs des Beatles-Albums »Revolver«. Wie übrigens auch die Singleauskopplung »Better Days«, die mit den Streichern am Anfang ein bisschen an die von The Verve für »Bitter Sweet Symphonie« gesampelten Streicher aus Andrew Loog Oldhams Version des Rolling-Stones-Songs »The Last Time« erinnert, dann aber schnell übergeht in eine Art »Tomorrow Never Knows«, aber gecovert von den Rolling Stones. Und dann ist da noch der Song »Everythings Electric2. 1996 bei Oasis war es nur «sie», die elektrisch war («She’s Electric»), jetzt bei Gallagher ist einfach alles elektrisch! Don’t go halfway! Vom Sound her klingt das alles ein bisschen nach Keith Richards variiert «Brown Sugar» und John Entwistle spielt dazu Bass. Dazu ein typisches Ringo-Neunzehnhundertsechsundsechzig-Schlagzeug. Wenn «Be Here Now» das beste Oasis-Album war, dann ist «C’mon, you know» das beste Liam-Gallagher-Album. Der Titel ist übrigens perfekt gewählt. Denn: Liam Gallagher? Da weiß man, was man hat.

Triggerentwarnung: Diese Rezension ist nicht das «Deep Throat» des Referenzpornos. Eher Referenz-Softporno. Denn irgendwie ist ja das rezensierte Album auch eine Art Referenz-Softporno.

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