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Insel der Halbleiter
Trotz aller chinesischen Drohungen anlässlich der Reise von Nancy Pelosi: Eine Annexion von Taiwan ist nicht wahrscheinlicher geworden
Als Nancy Pelosi in der Hauptstadt eintraf, leuchteten am größten Gebäude von Taiwan Grußbotschaften. »Thank you«, prangte es an den Fenstern des »Taipei 101«, dem bis vor einigen Jahren noch höchsten Turm der Welt. In anderen Momenten blinkten die Worte »Speaker Pelosi«, »Welcome to TW« sowie die Staatsabkürzungen US und TW mit einem Herzen dazwischen. Der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit der dritthöchsten Vertreterin der USA, sorgte in Taiwan allgemein für Freude.
Aber er sorgte auch für Lärm und Unwohlsein. Auf die Ankunft der 82-Jährigen in Taipeh war man nämlich auch im benachbarten China vorbereitet. Wiederholt hatte der Staat, der das autonom regierte Taiwan als sein Territorium betrachtet, vor so einem offiziellen Besuch aus den USA gewarnt. Am Dienstagabend begannen großangelegte Militärmanöver, bei denen auch Raketen getestet wurden, vor der Küste Taiwans. In Taiwans Gewässer und dessen Luftraum war das chinesische Militär zuletzt ohnehin vermehrt eingedrungen. Die Drohung, dass sich Peking die Insel notfalls auch militärisch aneignen werde, wurde über die Jahre immer wieder ausgesprochen. Zudem hat die Regierung Russlands, die seit Februar einen Angriffskrieg in der von westlichen Ländern unterstützten Ukraine führt, im Juni eine auch militärisch engere Zusammenarbeit mit China vereinbart.
Entsprechend fand Nancy Pelosi im Beisein der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen deutliche Worte. Mit ihrem Besuch wolle sie »unmissverständlich klarstellen«, dass die USA Taiwan »nicht im Stich lassen« würden. Aus China hieß es dagegen, die USA spielten »mit dem Feuer« und würden sich verbrennen. Und so steht die Frage im Raum: Steuern die zwei größten Volkswirtschaften der Welt auf einen militärischen Konflikt zu?
Ein Krieg um Taiwan ist jedoch nicht wesentlich wahrscheinlicher geworden als vor dem Besuch Pelosis. Vielmehr scheint Chinas Staatspräsident Xi Jinping ob seiner wiederholten Kampfansagen auch sein Gesicht wahren zu wollen, sodass er sich weiterhin in harscher Rhetorik übt. Ein tatsächlicher militärischer Konflikt wäre nämlich nicht nur für die Menschen in Taiwan eine Katastrophe, sondern auch für China und alle anderen Staaten der Welt.
Taiwan ist der weltweit mit Abstand wichtigste Produktionsstandort für Halbleiter, ohne die die Weltwirtschaft nicht mehr auskommt, weil sie in alle möglichen Elektroprodukte verbaut werden. Das Know-how ist hochkompliziert und -diversifiziert, lässt sich nur über mehrere Jahre erlernen, während derer sich das Geschäft auch noch ständig weiterentwickelt. So sind Experten skeptisch, dass gerade bei den neueren Generationen von Mikrochips irgendein anderes Land mittelfristig Taiwan als Standort ersetzen könnte.
Dies ist ein weiterer wichtiger Grund, warum das 1,4-Milliarden-Land China über die letzten Jahre immer vehementer beteuert hat, die 23-Millionen-Insel Taiwan sei Teil Chinas. Längst geht es nicht mehr nur um die Geschichte: Zum Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 flohen die besiegten Nationalisten nach Taiwan und riefen die Republik China aus, besser bekannt als Taiwan, was die siegreichen Kommunisten aber nie anerkannten. Neben dieser eher emotionalen Dimension des Konflikts steckt heute eben Geo- und Wirtschaftspolitik dahinter.
Aber gerade deshalb dürfte man von einem militärischen Konflikt um Taiwan eher die Finger lassen: Ein Krieg würde nicht nur unschätzbar wertvolle Produktionsanlagen in Gefahr bringen, wodurch auch die mit Taiwan eng verflochtene chinesische Volkswirtschaft leiden würde. Weltweit könnten die Lieferketten noch mal auf andere Weise zusammenbrechen als zuletzt inmitten der Pandemie. Diverse Industriezweige in praktisch jedem Land der Welt wären in Gefahr. Und die ökonomisch aufstrebende Volkswirtschaft China könnte dann zu den größten Verliererinnen einer sich weiter desintegrierenden Globalisierung zählen. Auch in diesem Wissen absolviert Nancy Pelosi weitere, weniger beachtete Besuche in Asien: Singapur, Malaysia, Japan und Südkorea.
Die beiden Letzteren gehören seit Jahrzehnten zu den wichtigsten strategischen Partnern der USA, in ökonomischer wie sicherheitspolitischer Hinsicht. Beide wurden zuletzt auch als Gäste zu einem Gipfel der Nato eingeladen. Aus Japan, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich eine pazifistische Verfassung hat, war über die letzten Monate schon zu hören, dass man im Falle eines Krieges auf der Seite Taiwans stünde. Der Stadtstaat Singapur, keineswegs eine Demokratie, ist wiederum eines der bedeutendsten Drehkreuze für den Handel im indopazifischen Raum. Malaysia dient als bedeutende Werkbank für diverse Fertigungsindustrien und kooperiert militärisch mit den USA. Die Reise Pelosis, die den in den USA regierenden Demokraten angehört, kann auch in diesen Ländern als freundlicher Gruß und als Werben für Zusammenarbeit verstanden werden.
Im Frühjahr präsentierte US-Präsident Joe Biden mit dem noch vage formulierten »Indo-Paficic Framework« das Vorhaben, den indopazifischen Raum ökonomisch und sicherheitspolitisch stärker an die liberale Welt zu binden. China wiederum, das in der Welt bis auf Russland keinen mächtigen Verbündeten hat, sehr wohl aber ökonomisch eng mit der Weltwirtschaft verzahnt ist, geriete durch einen bewaffneten Konflikt um Taiwan womöglich auch handelspolitisch in eine schwierigere Lage. In Peking dürfte man das wissen, auch wenn es zwischen den Drohgebärden nicht herauszuhören ist.
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