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Das Märchen von der Brückentechnologie
Seit dem Kohleausstieg forciert Deutschland den Ausbau der Gasinfrastruktur. Dadurch wird die Energiewende blockiert
Als der Bund im Zuge der Ukraine-Krise mit dem Ausbau der LNG-Infrastruktur richtig durchzustarten begann, riefen Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und sein grüner Umweltsenator Jens Kerstan mit als Erste ganz laut »hier«. Deutschlands größter Hafen sei prädestiniert dafür, zumal am Kraftwerk Moorburg Leitungen an Land bereits vorhanden seien. Tschentscher verkündete Anfang April vollmundig, Bund und Stadt arbeiteten bereits daran, »kurzfristig einen mobilen Terminal in unserem Hafen zu schaffen, um LNG in das Gasnetz in Norddeutschland einzuspeisen«. Mit dem schwimmenden Terminal soll das von Schiffen angelandete Flüssiggas (LNG) wieder in gasförmige Form gebracht und ins Leitungsnetz eingespeist werden.
Dann spielte der Bund doch nicht mit: Terminals werden an in drei anderen Standorten an der Nordsee und in Lubmin an der Ostsee gefördert, wie Mitte Juli entschieden wurde. Zur Erleichterung von Umweltverbänden, die vor einem hochexplosiven Terminal mitten im Hamburger Hafen warnten: »Die Entscheidung der Bundesebene bewahrt zwei Millionen Einwohner in Hamburg vor Sicherheitsrisiken, die bis heute von niemandem ausgeräumt werden konnten«, hieß es etwa vom BUND. Der Nabu drängte, Hamburg könne nun seine Pläne zur Produktion grünen Wasserstoffs in Moorburg vorantreiben. Ein LNG-Terminal dort hätte diese ausgebremst.
Neben der Frage, welche Standorte besser oder schlechter geeignet sind und woher das LNG überhaupt kommen soll, gibt es indes auch grundsätzliche Einwände: Insgesamt sehen die deutschen Pläne bis zu elf Offshore- und Onshore-Terminals vor, die bis zum Jahr 2043 Erdgas importieren könnten. Der Ausbau von Infrastruktur bei fossilen Energien und die Klimaziele schließen einander aber eigentlich aus. Die Klimaschutzszenarien Deutschlands und der EU zeigten eindeutig, dass »der Erdgasverbrauch schon in den nächsten zehn Jahren stark verringert und in den nächsten 30 Jahren fast vollständig beendet werden muss«, erläutert Hanna Brauers von der Europa-Universität Flensburg. Die Expertin für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik ist Co-Autorin einer kürzlich im Fachblatt »Nature Energy« veröffentlichten multidisziplinären Studie, in der ein Gasausstiegsplan angeregt wird. In einer Übergangszeit müsse »der Einsatz strikt minimiert« werden.
Aktuell dominieren Ausbaupläne, die lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine entworfen wurden. Auch wenn dies nie offen kommuniziert oder formell beschlossen wurde – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland haben Erdgas zur Brückentechnologie bei der Energiewende erklärt. Beim Kohleausstieg wurde auch eine massive Förderung des Umstiegs von Kohle auf Gas beschlossen. Im Jahr 2040 soll, so sehen es die Netzentwicklungspläne vor, 63 Gigawatt elektrische Leistung an Gaskraftwerken installiert sein, eine glatte Verdopplung. Eine solche Ausweitung verlangt auch eine Erweiterung der Leitungsnetze – kein Wunder, dass landauf, landab dafür Straßen aufgerissen werden.
Die Investitionen von rund 18 Milliarden Euro sind natürlich nicht auf kurze Zeiträume veranschlagt, wie Expertin Brauers erläutert: Gaskraftwerke haben eine technische Nutzungsdauer von 20 bis 40 Jahren, Pipelines sogar von 40 bis 60 Jahren. Das behindert bundesweit den Ausbau der Erneuerbaren, während auf kommunaler Ebene die Wärmewende nicht vorankommt. Mit neuen Projekten nimmt die Abhängigkeit vom Gas zu, das bisher etwa ein Siebtel des Strombedarfs und fast die Hälfte des Wärmebedarfs deckt. Es entstehen laut Brauers »Lock-In-Effekte« – die Bindung an den Energieträger wird noch stärker, was den Wechsel zu klimaneutralen Technologien aufwändiger und teurer macht. Und das Versprechen, die Infrastruktur könne irgendwann auch für grünen Wasserstoff verwendet werden, ist wie ein ungedeckter Scheck: Wann und ob dieser Energieträger jemals in großen Mengen zur Verfügung steht oder für die Energiewende überhaupt gebraucht wird, ist völlig unklar.
Der politische Hintergrund dazu: Ähnlich wie in Ländern wie Frankreich die Atomenergie als klimafreundliche Technologie präsentiert wird, schaffte es in Deutschland die Gaslobby, ihr Produkt als nachhaltig darzustellen. In der EU-Taxonomie findet sich das nun schwarz auf weiß. Gerne wird darauf verwiesen, dass bei der Verbrennung von Gas deutlich weniger Kohlendioxid entsteht als bei der von Öl und Kohle. Das Problem hier ist aber nicht CO2, sondern Methan: Dieses um den Faktor 36 klimaschädlichere Treibhausgas wird bei der Förderung und dem Transport von Erdgas freigesetzt. Dessen Menge und die des Methanschlupfs bei der Verbrennung werden bisher nicht einmal verbindlich ermittelt. Experten gehen davon aus, dass Gas und Kohle summa summarum etwa gleich klimaschädlich sind.
Auch wenn die Ostseepipeline Nord Stream 2 wegen der veränderten außenpolitischen Lage vermutlich nicht in Betrieb genommen wird, läuft sonst der Ausbau der Gasinfrastruktur weiter wie bisher oder wird wie bei LNG und neuen Förderprojekten in der Nordsee oder Westafrika mit deutscher Beteiligung noch intensiviert. Statt die Verwerfungen an den Energiemärkten dafür zu nutzen, den Umstieg auf Erneuerbare und die Energieeffizienz voranzutreiben, schickt man neue LNG-Infrastruktur nun sogar in beschleunigte Genehmigungsverfahren. Die Furcht vor Energieknappheit scheint derzeit alles möglich zu machen.
Und so will sich auch Hamburg zumindest noch nicht geschlagen geben. Die Hansestadt hält offiziell am Plan für ein LNG-Terminal fest. Oder wie es Bürgermeister Tschentscher mit Blick auf die große, weite Weltlage ausdrückt: »Es liegt im nationalen Interesse, dass alle verfügbaren Floating-Units so früh wie möglich in Betrieb genommen werden.«
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