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Mitte-Links-Kräfte verspielen Wahlchancen

Italiens Demokratische Partei (PD) auf der Suche nach Bündnispartnern

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Nahezu stündlich berichten die italienischen Medien von der Konsolidierung der Mitte-Rechts-Kräfte sowie von der Konfusion bei den politischen Kräften links von der Mitte. Zwar kann der sozialdemokratisch ausgerichtete Partito Democratico (PD) sich mit etwa 24,5 Prozent der Stimmen nach Umfragen vom Freitag mit einem leichten Vorsprung von 0,2 Prozentpunkten vor den postfaschistischen Fratelli d’Italia wähnen. Doch allein wird die Partei keine Parlamentsmehrheit bekommen. Dringend werden daher Bündnispartner gesucht. Dass der frühere Premier und heutige Parteichef Enrico Letta dabei vom linken Rand bis in die bürgerliche Mitte fischt, scheint dabei nicht sehr hilfreich zu sein. Der bisherige wichtigste Bündnispartner, der populistische Movimento 5 Stelle (M5S), hat mit dem Verlassen der Regierung von Mario Draghi selbst den letzten Stein des nun unvermeidlichen Untergangs ins Rollen gebracht: Konnte die Protestbewegung 2018 noch auf mehr als 30 Prozent der Wähler bauen, liegt sie heute nur noch bei zehn Prozent. Eine Reihe von Wahlniederlagen kostete sie auch die Bürgermeisterposten von Rom und Turin; selbst in kleineren Kommunen sah das Wahlvolk seine Interessen nicht mehr vertreten.

Prozente sammeln

Der Rückzug des M5S aus der Regierungskoalition Draghis brachte den fast unvermeidlichen Bruch mit dem PD. Woher also soll Letta die benötigten Prozentpunkte nehmen? Dem praktizierenden Katholiken, der seinen politischen Werdegang 1992 bei den Christdemokraten begann, schwebt eine Neuauflage des Wahlbündnisses »l’Ulivo« vor, das Mitte der 90er die erste Regierung Berlusconi ablöste.

Dabei versucht der PD, möglichst viele Gruppen zu einem Bündnis zu bewegen. Gelungen ist dies mit der italienischen Linken (Sinistra Italiana, SI) sowie mit den Grünen. Letta bot den Parteispitzen Nicola Fratoianni (SI) und Angelo Bonelli (Grüne) sowohl ein ökologisches Programm, das sich auf die Erweiterung der Nutzung erneuerbarer Energien und umweltbewusstes Wirtschaften stützt, als auch eine sozialverträgliche Politik an, die vor allem den Armen in der Gesellschaft Hilfe beim Bewältigen der aktuellen Krisen anbietet. Nach Rücksprache an der Basis stimmten beide Parteien einem Bündnis mit PD ebenso zu wie die von Emma Bonino geführte Partei »+Europa«.

Ebenso erklärten sich Außenminister Luigi Di Maio und Bruno Tabacci, die eine neue Wahlkoalition namens »Impegno civico« (auf Deutsch: Bürgerengagement) ins Leben gerufen hatten, bereit, gemeinsam mit dem PD in den Wahlkampf zu ziehen. Doch dieses mühsame Prozentesammeln reicht bislang nicht aus. Prognosen zufolge käme eine solche Mitte-Links-Allianz auf etwas über 30 Prozent – was keineswegs für eine parlamentarische Mehrheit und damit die Option ausreicht, eine Regierung zu bilden.»«

Abtrünnige sorgen für linkes Desaster

Fast verzweifelt hatte sich Letta um ein Bündnis mit dem derzeitigen Chef der Bewegung »Azione«, Carlo Calenda, bemüht. Der ehemalige Minister für wirtschaftliche Entwicklung in den Kabinetten Letta und Gentiloni hatte im Sommer 2019 den PD aus Protest gegen ein Zusammengehen der Sozialdemokraten mit dem M5S verlassen. Nun brach er die Verhandlungen mit Letta ab, weil dieser sich mit der linken SI und den Grünen verständigte. Allen Spekulationen zufolge will sich Calenda mit einem weiteren PD-Abtrünnigen, Matteo Renzi, in einer Allianz verbünden, die auf etwa zehn Prozent der Stimmen hoffen könnte und eine zentristische Alternative zur Rechten und Linken sein will. Eine Mitte-Rechts-Regierung mit wahrscheinlicher Führung der Ultrarechten Giorgia Meloni kann derzeit nur noch verhindert werden, wenn es gelingt, doch noch ein breiteres Bündnis zu schaffen – mit dem M5S. Eine solche Mitte-Links-Koalition könnte 47,2 Prozent erhalten. Die kommenden Wochen werden in Italien spannend bleiben und Europa wird mit großer Aufmerksamkeit nach Rom blicken.

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