Hygiene als Nachteil

Der Immunologe Wolfgang Hammerschmidt über Ausbreitung und Risiken des Epstein-Barr-Virus

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Epstein-Barr-Viren gehören zu den Herpesviren. Sie können das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen.
Epstein-Barr-Viren gehören zu den Herpesviren. Sie können das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen.

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) soll für Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Krebs mitverantwortlich sein. Aber fast jeder infiziert sich im Laufe seines Lebens damit. Wie passt das zusammen?

Interview

Der Virologe und Immunologe Wolfgang Hammerschmidt (66) leitet das »EBV Vaccine Development«-Team am Helmholtz-Zentrum München. Er erforscht das Epstein-Barr-Virus und dessen Beitrag zu verschiedenen Krankheiten seit vielen Jahren. Mit dem Wissenschaftler sprach Angela Stoll.

Man weiß nicht, warum das Virus manche Leute krank macht, die Mehrheit aber nicht. Es gibt nur eine Konstellation, in der der Zusammenhang eindeutig ist: nämlich bei der Infektiösen Mononukleose. Sie wird auch Pfeiffersches Drüsenfieber oder Kissing Disease genannt, weil man sich vor allem beim Küssen ansteckt. Die Krankheit ist wohlbekannt, wird aber definitiv unterschätzt – sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch hinsichtlich ihres Schweregrads.

Wird sie also öfter nicht erkannt?

Kaum jemandem ist klar, wie häufig diese Erkrankung ist. Wir können davon ausgehen, dass etwa 80 Prozent aller Menschen bis zu ihrer Pubertät mit dem Epstein-Barr-Virus in Kontakt gekommen sind. Meist erfolgt die Infektion im Baby- oder Kleinkindalter, ohne dass Symptome auftreten. Diese Menschen bekommen keine Infektiöse Mononukleose. Das Problem sind die restlichen 20 Prozent, die in die Pubertät kommen, sexuell aktiv werden und sich dann durch einen Partner, der EBV-positiv ist, infizieren. Die Wahrscheinlichkeit, dann eine Infektiöse Mononukleose zu bekommen, beträgt mindestens 25 Prozent, einige Arbeiten sprechen sogar von über 50 Prozent. Die Häufigkeit der Erkrankung innerhalb dieser Gruppe ist also extrem hoch.

Wäre es also besser, wenn sich alle schon im Kleinkindalter anstecken würden?

Ja. Anders als in Industrieländern infizieren sich in Entwicklungs- und Schwellenländern fast alle Babys und Kleinkinder mit dem EBV. Folglich gibt es die Infektiöse Mononukleose dort praktisch gar nicht. Die sogenannte erste Welt hat hier also einen klaren Nachteil. Wahrscheinlich spielt dabei Hygiene eine Rolle. Für uns ist Kiss Feeding undenkbar – also dass Mütter Nahrung vorkauen und dem Baby direkt verabreichen. Eigentlich ist das etwas ganz Normales und auch heute noch in einigen Kulturen verbreitet. Bei uns ist das nicht vorstellbar und mit Ekel besetzt. Es gibt keine Daten dazu, es ist aber eine plausible Theorie, weshalb sich in traditionellen Gesellschaften nahezu alle Kinder sehr früh mit EBV anstecken, bei uns aber nicht.

Warum ist das Pfeiffersche Drüsenfieber so gefährlich?

Zunächst einmal: Die Krankheit wird komplett unterschätzt. Sie kann sich wochenlang hinziehen. Jedes Jahr müssen deswegen mehrere Tausend Menschen in Deutschland ins Krankenhaus. Es kann nämlich zu Verengungen der oberen Atemwege, in seltenen Fällen auch zu extrem gefährlichen Milzrissen kommen. Auch eine akute Hepatitis ist ohne Weiteres drin. Viele junge Leute erwischt es in einer kritischen Phase – oft in der Ausbildung. Bei Leistungssportlern kann Infektiöse Mononukleose das Ende der Karriere bedeuten. Hinzu kommt, dass Folgeerkrankungen auftreten können, darunter das chronische Müdigkeitssyndrom.

Steigt auch das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken?

Zwischen EBV und Multipler Sklerose gibt es einen klaren Zusammenhang. Jemand, der EBV-negativ ist, wird niemals Multiple Sklerose (MS) bekommen. Also: Alle Menschen, die MS haben, sind auch EBV-positiv. MS tritt allerdings auch bei Menschen auf, die nicht an einer Infektiösen Mononukleose erkrankt waren. Hat man diese Krankheit aber durchgemacht, ist das Risiko, relativ jung an Multipler Sklerose zu erkranken, drei- bis fünfmal so hoch.

Wenn man sich einmal infiziert hat, ist man ein Leben lang Virusträger?

Ja. Das Epstein-Barr-Virus gehört zu den Herpesviren, von denen es insgesamt neun beim Menschen gibt. Herpesviren begleiten die Entwicklung der Arten, und das trifft auch auf die Spezies Mensch zu. Deshalb ist das EBV auch so gut an seinen Wirt, den Menschen, angepasst. Das Immunsystem reagiert und kontrolliert die Infektion lebenslang, wir werden sie aber nicht mehr los. Die Viren sind so clever, dass sie sich in uns einnisten, für ihre Verbreitung sorgen, uns aber normalerweise nicht krank machen.

Herrschen auf der Welt unterschiedliche Erregertypen des EBV vor?

Es gibt bestimmte geografische Verbreitungsmuster. In Asien gibt es andere EBV-Stämme als in Westeuropa oder Afrika. Wir sehen auch Korrelationen zwischen Geografie und Krankheiten. In Fernost gibt es eine Reihe EBV-assoziierter Erkrankungen, die man bei uns praktisch nie sieht. Und umgekehrt. Woran das wirklich liegt, darüber wird debattiert. Wir können davon ausgehen, dass etwa 200 000 Menschen pro Jahr an EBV-assoziierten Tumoren sterben. Gerade in Fernost sind solche Fälle relativ häufig.

Um welche Tumorarten handelt es sich?

Das ist ganz unterschiedlich, und das macht es auch so schwierig. Das EBV wird mit zwei Tumortypen in Verbindung gebracht, das eine sind Lymphome, also Tumore, die auf Immunzellen zurückgehen. Außerdem infiziert das Virus auch Epithelzellen, sodass Karzinome entstehen, etwa das Nasopharynxkarzinom. Wie das Virus zum Entstehen und zur Aufrechterhaltung des Tumors beiträgt, ist nur in Ansätzen verstanden.

Sie arbeiten an einer Impfung. Wann wird sie auf den Markt kommen?

Es gibt mittlerweile mehrere Aktivitäten weltweit. Wir am Helmholtz-Zentrum München entwickeln einen Impfstoff, der frühestens 2025 oder 2026 in die relevante Phase der Klinischen Prüfung gehen wird. Neben uns arbeiten Moderna und das National Institute of Allergy and Infectious Diseases in den USA an Impfstoffen. Sie sind ungefähr gleich weit wie wir, haben aber andere Ansätze. Wir setzen auf virusähnliche Partikel. Sie signalisieren dem Immunsystem eine EBV-Infektion und lösen so eine breite Abwehrreaktion aus. Dadurch soll das Immunsystem vorbereitet sein, wenn es in der Pubertät erstmals mit dem Virus in Kontakt kommt. Es geht darum, Jugendliche vor Infektiöser Mononukleose zu schützen. Das wird immer wichtiger, da die Erkrankungszahlen in den Industrienationen seit Jahren leicht steigen. Schwellenländer werden die gleiche Entwicklung nehmen.

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