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Es knallt und macht Spaß
Plattenbau. Die CD der Woche: »Matriarchy Now« von Pussy Riot
Mit Politik als Pop und Pop als Politik ist es so eine Sache, meist erschlägt das eine das andere. Entweder weil das, was man die Message oder wie auch immer nennen könnte, in den meisten Fällen Pop bleibt, also Zeichen und unverbindlich. Wer Liebeslieder hört, kann deswegen noch lange nicht lieben; und wer nachts besoffen »Bier trinken, Weed dealen, Speed ziehen / als Geld im Staatsdienst verdienen« trällert, kann trotzdem am nächsten Morgen wieder ins Büro gehen, prinzipiell. Und umgekehrt: Wenn eine dezidiert politische Unternehmung Pop produziert, wird die Musik schnell sekundär und zum Transportmittel der Nachricht degradiert. Botschaft sticht Form.
Damit wären wir auch schon bei Pussy Riot, dem feministischen Kunstkollektiv, das in Europa bekannt wurde, nachdem drei Mitglieder im Februar 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale ein »Punk-Gebet« aufführten, das in den 41 Sekunden bis zum Abbruch der Performance eine als »blasphemisch« wahrgenommene Beschimpfung des russischen Präsidenten und der russisch-orthodoxen Kirche auffuhr. Es folgten Lagerhaft und die Begnadigung drei Monate vor Ende der regulären zweijährigen Haftzeit durch Putin, der meinte, im Vorfeld der Olympischen Spiele irgendwie den Anschein von Zivilisiertheit erwecken zu müssen. Lang ist‹s her.
In Deutschland wurden Pussy Riot immer irgendwie als Band wahrgenommen, nicht als aktivistisches Kunstkollektiv. Dabei definierten die etwa zehn Mitglieder Musik immer als ein Vehikel für Aktivismus. Der ist in diesem Fall ohne jeden Gratismut und bewundernswert. Nun ist dies aber eine Musik-Kolumne, und deswegen kann man die ohne Frage ruhmreichen Wege und Mittel, die Pussy Riot ge- und erfunden haben, um den Mächtigen und Bornierten ihres Landes auf den Nerven rumzutrampeln, kurz beiseite schieben. Und sich dem widmen, was man auf dem ersten Album seit dem 2015 erschienenen, musikalisch tendenziell grausligen Cover-Album »Won‹t Get Fooled Again« hört. Das eigentliche musikalische Werk von Pussy Riot ist auf zahlreichen Singles mit trashigen Electroclash versammelt, die energiereicher und auch lustiger sind als der fade Punkrock des ersten Albums.
Das neue, »Matriarchy Now«, macht es kurz, sieben Songs und nur zwei länger als drei Minuten. Der Bandname wird wörtlich genommen, es geht um Sex und Selbstermächtigung. Die Songs sind schön Lo-fi und knallen trotzdem, man hört, dass Bikini Kill und vor allem Le Tigre (mit denen Pussy Riot vor ein paar Jahren zwei Stücke für die Fernsehserie »House of Cards« produziert haben) musikalische Vorbilder sind. Eine forciert mädchenhafte Stimme geht hier sehr schön mit Umschreibungen von den ganz traditionellen Gender-Bildern zusammen (und schon ist man wieder weg von der Musik und bei den Texten): »Princess Charming, I can be yours / Doctor Martins on my dark horse / Coming to your rescue / I don‹t need a sword«. Eine Umkehrung auch im Stück »Hatefuck«, das misogyne Fantasien in drei Minuten Men-are-trash-Lyrik transformiert: »I wanna hatefuck / I wanna get you on your knees and make you cry blood«. Das alles mit lustigem Bubblegum-Pop-Refrain. »Matriarchy Now« knallt, macht Spaß und ist außerdem nicht ohne Selbstironie. Konsequent in Inhalt und Form.
Pussy Riot: »Matriarchy Now« (Neon Gold Records)
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