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  • Naturschutz in Thüringen

So selbstverständlich, so ungewöhnlich

Natur- und Klimaschutz gehen Hand in Hand und müssen gleichzeitig stattfinden. Das zeigt sich auch im Thüringer Wald

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 8 Min.
Der biologische Zustand der Moore soll vielerorts in Thüringen verbessert werden.Naturschutzgebiete, wie das Schützenbergmoor in Oberhof, sind keine Selbstverständlichkeit.
Der biologische Zustand der Moore soll vielerorts in Thüringen verbessert werden.Naturschutzgebiete, wie das Schützenbergmoor in Oberhof, sind keine Selbstverständlichkeit.

Man muss sich schon ziemlich gut auskennen im Wald, um zu wissen, dass diese Fläche hier – vielleicht zweihundert Meter neben dem Bahnhof Rennsteig gelegen – ein Moor ist. Es hat sogar einen Namen: Moor an der Hohen Warte.

Das Naturschutzgroßprojekt

Formal schon seit Ende 2021 läuft in Thüringen ein sogenanntes Naturschutzgroßprojekt, das nun auch symbolisch gestartet ist. Es trägt den Titel »Bäche, Moore und Bergwiesen im Thüringer Wald«. Auf einer Gesamtfläche von etwa 6.500 Hektar soll in den nächsten Jahren der biologische Zustand von etwa 75 Mooren, 550 Kilometern Quellbächen und 1.500 Hektar Bergwiesen verbessert werden. Die entsprechenden Flächen liegen im Mittleren Thüringer Wald, auf den Gebieten der Landkreise Hildburghausen und Schmalkalden-Meiningen sowie des Ilm-Kreises und der kreisfreien Stadt Suhl. Moore, Bäche und Bergwiesen sind Lebensräume für mehr als 2.600 Tier- und etwa 1.900 Pflanzenarten. Viele davon sind vom Aussterben bedroht.
Getragen wird das Projekt von der Naturstiftung David, die 1998 vom BUND Thüringen gegründet worden war. Gefördert wird das Projekt vom Bund und vom Land. Für die Planungen in der ersten Projektphase sind nach Angaben des Thüringer Umweltministeriums etwa 1,8 Millionen Euro veranschlagt. Der Bund trägt 75 Prozent dieser Kosten, der Freistaat 15 Prozent, den Rest muss die Stiftung aus Eigenmitteln oder Drittmittel finanzieren.

Zwischen den vielen umstehenden Fichten blüht Klee, der Boden ist übersät mit kleinen und großen Ästen. Es sieht hier nicht nur auf den ersten Blick so aus, wie an ungezählten anderen Orten im Thüringer Wald. Nur der kleine Graben in der Mitte des Areals gibt einen – für den Laien vagen – Hinweis darauf, dass dieses Gebiet biologisch gesehen etwas Besonderes ist.

Von dieser Ambivalenz des Thüringer Waldes ist an diesem Montag unweit der kleinen Universitätsstadt Ilmenau viel die Rede. Männer und Frauen sprechen davon. Egal, ob sie von nah oder weiter weg oder ziemlich weit weg angereist sind, um an einer Veranstaltung teilzunehmen, mit der der Auftakt zu einem sogenannten Naturschutzschutzgroßprojekt im Freistaat gemacht wird.

Die Landrätin des hiesigen Ilm-Kreises, Petra Enders, zum Beispiel, spricht davon, als sie sagt, viel zu oft würden die wundervollen Naturlandschaften in der Region als eine Selbstverständlichkeit wahrgenommen. »Doch das sind sie nicht«, schiebt sie sofort hinter her.

Der Umweltstaatssekretär der Thüringer Landesregierung, Burkhard Vogel, sagt, ihm werde besonders im Vergleich mit dem Thüringer Becken regelmäßig bewusst, wie einzigartig die südlichen Waldregionen des Freistaats seien, auch wenn sich viele Menschen darüber kaum Gedanken machten. Schon gar nicht regelmäßig. »Jedes Mal, wenn ich hier hoch komme, fühle ich mich wie in einer anderen Welt«, sagt Vogel. Sogar die Luft im Thüringer Wald sei anders als die in der Tiefebene, in deren Zentrum Erfurt liegt. »Man atmet anders hier…«

Am Rande dieses Moores stehend, lässt sich erleben, was Vogel meint. Die Luft hier oben ist feucht, frisch und würzig, was eben nicht nur damit zu tun hat, dass es leicht nieselt, als die einigermaßen große Veranstaltungsdelegation ihre Mini-Wanderung hierher beendet hat. Neben dem Moos an den Bäumen verleiht auch die Feuchtigkeit im Boden der Luft hier eine Note, wie sie im Thüringer Becken mit seinen Feldern und Stoppelwiesen nicht zu finden ist.

Jedenfalls noch gibt es hier oben dieses besondere Erlebnis zu genießen. Und bald wieder öfter?

Das große Naturschutzprojekt, dessen Auftakt nun hier oben am Rennsteig an diesem Tag symbolisch begangen wird, soll jedenfalls genau das leisten: Dafür sorgen, dass wieder mehr Moore wie echte, naturnahe Moore aussehen, riechen und im biologischen Sinne auch funktionieren. Ähnlich wie die Bäche und Bergwiesen, um die es mit diesem Projekt ebenfalls geht. Bis 2024 stehen nun erst einmal eine Bestandsaufnahme und Planungen dazu an, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Ab etwa 2025 soll dann für zehn Jahre tatsächlich im Wald gearbeitet werden.

Zum Beispiel wird es dann darum gehen, die Durchflüsse von Bächen mit Schaufeln und Baggern so zu verändern, dass wieder mehr Wasser durch die und auch zwischen den Gewässern fließen kann – damit das Wasser die Moore auch wirklich erreicht und diese nicht austrocknen. Dort, wo Fichten zu dicht an Bachläufen stehen und so zu viel Wasser aus dem Bach oder Fluss aufnehmen, werden die Bäume gefällt und in deren Umfeld dann Laubbäume neu gepflanzt werden. Bei den Bergwiesen wird es darum gehen, Menschen zu finden, die dort zum Beispiel wieder Rinder weiden lassen, damit die Flächen nicht wie derzeit oft von Büschen überwuchert werden.

Sowohl die Planungen für solche Arbeiten als auch die Arbeiten selbst haben angesichts des immer deutlicher werdenden Klimawandels natürlich eine ganz besondere Bedeutung.

Eine, auf die kaum jemand vergisst hinzuweisen, der an diesem Tag das Wort ergreift. Immerhin sind Moore nicht nur der Lebensraum für tausende Tier- und Pflanzenarten. Sie speichern auch Kohlendioxid, dessen Ausstoß den Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten massiv beschleunigt hat. Außerdem: Dass mehr Feuchtigkeit im Boden angesichts häufiger Dürren und wiederkehrender Hochwasserkatastrophen auch für den Menschen essentiell wichtig ist, bestreiten höchstens noch Wissenschaftsfeinde.

Gleichzeitig führt diese besondere Bedeutung dazu, dass Umweltaktivisten gerade auch angesichts dieses neuen Projektes sehr selbstbewusst ganz große Forderungen stellen.

Viel zu sehr, argumentiert beispielsweise der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, sei die Debatte um den Kampf gegen den Klimawandel zuletzt auf Windräder und Photovoltaikanlagen verengt worden. Dabei seien doch auch Naturschutzprojekte wie eben genau dieses ein ganz zentraler Baustein, um den Klimawandel und dessen Folgen wenigstens abmildern zu können. Bei der Beantragung und Genehmigung solcher Projekte, sagt er, brauche es weniger Bürokratie, es müsse schneller entschieden werden. So, wie es auch beim Bau von Windrädern und Photovoltaikanlagen schneller gehen müsse als bisher. Viel schneller. Viel, viel schneller.

Vogel, der vor seinem Amtsantritt als Staatssekretär jahrelange als Thüringer Landesvorsitzender des BUND gearbeitet hatte, sieht das ähnlich und spitzt es zu: »Wir dürfen nicht dahin kommen, dass wir sagen: Die Arten dürfen so lange nicht aussterben, bis wir die Klimakrise in den Griff bekommen haben«, sagt er. Es gehe nur beides gleichzeitig: Für den Fortbestand von Artenvielfalt und Biodiversität sorgen und gegen die Erderwärmung vorgehen.

Diese Sichtweise, die die notwendige Gleichzeitigkeit von Natur- und Klimaschutz betont, die klar macht, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist, ist dabei auch eine große Chance, die Schieflage wieder gerade zu rücken, die sich in so manchen gesellschaftlichen Diskussionen der vergangenen Jahre gezeigt hat. Vornehmlich immer dann, wenn der Naturschutz dazu missbraucht wurde, um mehr Klimaschutz zu verhindern, wie eben in den ungezählten Diskussionen um ganz konkrete Windräder, für die bekanntlich so ziemlich jeder Deutsche ist, solange sie nur bei anderen Deutschen und nicht bei ihm selbst vor der Haustür stehen.

So hatten zum Beispiel Menschen, die sich noch nie zuvor in ihrem Leben um Vögel oder Insekten geschert hatten, in der Vergangenheit immer wieder ihre angebliche Sorge um Bienen oder Rotmilane genutzt, um gegen den geplanten Bau von Windrädern in ihrer Nähe vorzugehen. Der Kampf gegen den Klimawandel, so argumentierten sie, gefährde am Ende die Natur. So, als könne die Natur in ihrer heutigen Form – Bienen, Rotmilane, Bäche, Moore und Bergwiesen und all ihre Bewohner – irgendwie überleben, wenn sich die Erde weiter und weiter aufheizt.

Die üblichen Horrorgeschichten über Betonfundamente von Windrädern in Waldböden und riesige Schneisen, die in den Wald geschlagen werden müssten, um die Rotoren der Anlagen an ihren Aufstellungsort bringen zu können, hatten ebenso vor allem dazu gedient, den Naturschutz gegen den Klimaschutz auszuspielen. In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion besonders in Thüringen hat das so gut verfangen, das Windräder im Wald dort heute verboten sind, obwohl der Freistaat beim Ausbau der Windkraft massiv unter seinen Möglichkeiten bleibt.

Vor diesem Hintergrund ist es ebenso ambivalent wie auch zumindest ein bisschen ermutigend, was Umweltaktivisten wie Bandt, zuletzt zur gesellschaftlichen Akzeptanz von großen und kleinen Naturschutzprojekten erleben; dazu also, wenn es darum geht, in den Köpfen der Menschen die nur scheinbare Kluft zwischen dem Schutz von Landschaften, Tieren und Klima zu überwinden.

Einerseits nämlich erleben sie wie so ziemlich jeder andere Mensch, der mit offenen Augen durchs Leben geht, dass vielen eine warme Heizung, billiger Sprit und billiges Fleisch wichtiger sind, als nasse Moore, blühende Bergwiesen, plätschernde Quellbäche oder glückliche Schweine und Rinder. Dass es noch dazu noch immer ungezählte Menschen gibt, die ihren Sperrmüll im Wald entsorgen. Ganz zu schweigen von denen, die teilweise aus pubertärem Trotz, teilweise aus Dummheit heraus, mit Aufklebern an ihren großvolumigen Autos durch die Städte fahren, die nur dazu da sind, die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg zu beleidigen.

Andererseits aber erzählt Bandt von einigermaßen aktuellen Gesprächsrunden mit Waldbesitzern oder Bauern, in denen die Naturschützer längst nicht mehr als die ultimativen Gegner wahrgenommen werden, als die sie in den 1990er Jahren noch in der Regel gesehen wurden. Außerdem würden auch viele Menschen angesichts der vielen kranken Bäume in den Wäldern vor ihrer Haustür inzwischen einsehen, wie dringend nötig der Kampf gegen den Klimawandel und damit auch der Bedarf für Naturschutzprojekte sei, sagt Bandt.

Deshalb sei es nicht nur Zeit, »den Naturschutz in die Fläche zu bringen«, sagt Bandt. Es gebe auch eine wachsende gesellschaftliche Bereitschaft, dies zu unterstützen, nicht zuletzt durch Steuergeld. »Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.«Der Weg vom Moor an der Hohen Warte führt schließlich zu einer Bergwiese. Kaum fünf Minuten dauert es vom dem einen zu dem anderen zu kommen. Eben weil die Region am Mittleren Thüringer Wald so etwas Besonderes ist.

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