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Von Bitterfeld nach Babylon
Morgen gibt es eine Musikalische Lesung von »Orpheus in der Unterwelt« von Peter Hacks in Berlin
Als Peter Hacks 1994 die Operette »Orpheus in der Unterwelt« schrieb, hatte er gewiss nicht an eine Aufführung in Bitterfeld gedacht. Der Gegenstand des Stücks, die Konterrevolution von 1989 und deren Beleuchtung durch den Autor, bestimmten jedoch auch das Schicksal des im Auftrag des Deutschen Theaters entstandenen Werks. Sie verbanden es just mit jenem Ort, den Hacks 1958, noch vor Ausrufung des kulturpolitischen Bitterfelder Weges besucht hatte, um für sein Stück »Die Sorgen und die Macht« zu recherchieren. Während dieser Arbeit hatte er die Begrenztheit unmittelbarer Wiederspieglung von Gegenwartsproblemen in der Kunst bemerkt und für eine neue proletarische Klassik plädiert, bei der sich nicht die Kunst dem Volk anzupassen habe, sondern mit der das Volk die höchsten Maßgaben der Kunst sich anzueignen ermuntert werde. Dieser Weg, der ihm Ärger und Erfolge auf den Bühnen der DDR einbrachte, trennte ihn nicht vom Volk. Die Arbeiter hatten, solange ihre Emanzipation fortschritt, ein wachsendes Bedürfnis nach Kunst, und Hacks’ Helden verfügten über den Witz der Unteren und verfochten deren Interessen auch auf den Höhen der Macht.
Mit dem Ende der DDR und ihren Eigentumsverhältnissen waren Arbeiter dem neuen organischen Zugang zur Kunst jedoch entrissen, wie sich auch dem Dramatiker Hacks der Weg auf die Bühnen, die seine Stücke schon in der Zeit des Niedergangs des Sozialismus weniger gern gespielt hatten, endgültig versperrt zeigte. Sein Werk überlebte die nächsten dreißig Jahre statt in den Tempeln der Hochkultur, die zu beliefern ihm oft vorgeworfen worden war, auf Kleinbühnen der Provinz oder in Unternehmungen von Enthusiasten im Untergrund. Die Uraufführung des »Orpheus« in Bitterfeld 1998 gehörte dazu. Erstaunen rief hervor, dass sich eine Reihe damals junger Künstler gemeinsam mit Laien einer Industrie-Gegend für dieses Stück einsetzten und Hacks dem Vorhaben einer Inszenierung im Kulturpalast, der einst in freiwilligen Aufbaustunden von den Arbeitern des Chemiekombinats erbaut worden war, zustimmte.
Hacks in Bitterfeld, damit hätten gleichzeitig der Klassizist und die DDR am verrufensten Ort begraben, und kulturelle Betriebsamkeit im sonst stillgelegten Osten vorgeführt werden können. Gegen solche Erwartungen gelang der Inszenierung, bei allen künstlerischen Einbußen, die heitere Operette als eine Wende-der-Wende-Geschichte im sich dafür als geeignet erweisenden Apparat aus Mitwirkenden und Kulturpalast zu erspielen, was Publikum und Presse verstanden. Armin Stolper ließ in einer ausführlichen Besprechung eine Bitterfelder Eurydike zu ihrem Orpheus anschließend sagen: »Wir haben also an einer Sache teilgenommen, die, glaubt man dem Dichter, eigentlich gar nicht geht. Orpheus in Bitterfelds Unterwelt, ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des zu früh gekommenen Sozialismus im zurückgekommenen Spätkapitalismus. Verrückt, nicht wahr?«
Auch fast 25 Jahre danach ist der Imperialismus nicht überwunden. In der Unterwelt derzeitiger Verhältnisse, gleich ob in den Zentren oder der Provinz, ist jene, die Hacks gekennzeichnet hat, wohl zu erkennen: Liebe wird nicht als wechselseitiges Verhältnis genossen, Lebendiges erscheint als Bedrohung, Künstler werden gemartert und deren beste, wie im Stück von Pluto gefordert, in »irgendeine Kloake« geworfen. Aber, und das ist noch überraschender, die Herrschenden, uneins und immer weniger bereit, ihrem Personal von der Beute abzugeben, sind stürzbar, wenn ihre Erfolglosigkeit und Scharlatanerie öffentlich werden.
Doch die öffentliche Meinung, die allenfalls einige Politiker oder unliebsame Staaten anprangert und die in der Ursprungsfassung des »Orpheus«, der Operette von Jacques Offenbach, die 1858 in Paris aufgeführt wurde, als Person auftritt, um deren Scheinmoral zu entlarven, ist eine eingeschränkte, bürgerliche Öffentlichkeit. Hacks hingegen stellt im Stück, Liebesgott Cupido reinthronisierend und so eine Oberweltperspektive schaffend, die ungeteilte Öffentlichkeit wieder her, Bedingung für Theater und Weltveränderung. Erst vor ihr wird nicht allein Unterweltsgott Pluto, sondern die gesamte Unterwelt als heutig und hinfällig durchschaubar. Dass die keine Zukunft habe, wie es im Stück heißt, ist deprimierend, wenn man sie für ewig hält. Andernfalls gründet in dem Satz alle Hoffnung.
Wenn das Stück nun am kommenden Samstag im Rahmen des Pressefests der »UZ« in Berlin-Mitte in Form einer musikalischen Lesung auf die Bühne des geschichtsträchtigen Berliner Kinos Babylon kommt, kann – wenngleich von bürgerlicher Öffentlichkeit ignoriert – im Ansatz jene Öffentlichkeit der Kunst entstehen, bei der mit Genuss und Erkenntnis die Gesellschaft über die Gesellschaft zu Gericht sitzt.
In Hacks früherer Erzählung »Ekbal« unternimmt der Autor eine kostspielige Reise nach Babylon, das gleichermaßen die Stadt des Altertums und die Hauptstadt der DDR meint, um dort das beste Theater der Welt zu sehen, das sich freilich gerade wieder einmal im Niedergang befindet, weil die eigentlichen Widersprüche der Gesellschaft zu zeigen unerlaubt ist, was die Bedeutung von Kunst und Öffentlichkeit in ihr belegt. In »Orpheus« entwickelt sich noch im Verlust dieser Grundlage die Beziehung von Kunst und Volk in der Metapher von Orpheus und Eurydike wechselseitig: eine Kunst, die weder ihr Publikum verloren gibt noch von ihren hohen Ansprüchen ablässt und ein Publikum, das die existenzielle Notwendigkeit der Kunst begreift und den Zumutungen der Unterwelt zu entrinnen trachtet. So öffnete sich ein Weg, der aus dem Kino Babylon auch in eine Stadt Babylon führte, die wieder eine Theaterreise wert wäre.
Der Autor inszenierte zusammen mit Stefan Nolte 1998 in Bitterfeld die Uraufführung von »Orpheus in der Unterwelt« von Peter Hacks.
Samstag 27.8., Musikalische Lesung »Orpheus in der Unterwelt«, 19.30 Uhr im Kino Babylon in Berlin-Mitte. Mit Gottfried Richter, Winie Böwe, Jörg Thieme, Ursula Werner u.a., sowie dem Ernst-Busch-Chor Berlin. Karten über tickets@peter-hacks-gesellschaft.de / 030/36466424
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