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Im Hochsommer des Lebens

Expertinnen zu den Wechseljahren: Schluss mit reinem Defizitdenken

  • Sandra Trauner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wechseljahre als Herbst des Lebens, als Abschied von der Fruchtbarkeit, als eine Phase mit Beschwerden und Einschränkungen: Der ausschließlich negative Blick auf die Menopause
müsse dringend geändert werden, fordern Expertinnen und Experten verstärkt. »Zeit für Veränderung: Wir brauchen eine neue Einstellung zur Menopause«, lautete in diesem Sommer der Titel eines Leitartikels in »The Lancet«. Die Menopause werde zu Unrecht stigmatisiert, heißt es darin. Man brauche dringend »einen ganzheitlichen und individuellen« Blick darauf.

Ja, viele Frauen hätten Probleme in dieser Phase, manche litten unter Hitzewallungen und Nachtschweiß, Niedergeschlagenheit und kognitiven Einschränkungen, dem Nachlassen sexueller Lust oder Schlafstörungen. Aber viele Frauen hätten diese Probleme eben auch nicht – nur erlaube es der Diskurs kaum, die positiven Seiten wahrzunehmen. Vorteile können zum Beispiel sein, dass die lästige Regelblutung ausbleibt und man nicht mehr verhüten muss.

Die Menopause ausschließlich »als behandlungsbedürftiges Hormondefizit« zu sehen, sei falsch, sind Medizinerinnen um Martha Hickey von der University of Melbourne und dem Royal Women’s Hospital Victoria (Australien) überzeugt. Das schüre negative Erwartungen und sei potenziell schädlich, denn Frauen mit negativen Erwartungen entwickelten häufiger Symptome, erläutern sie im Fachmagazin »British Medical Journal«.

Hickey und ihre Kolleginnen fordern ein ausgewogeneres Narrativ für das weibliche Altern. Sie schlagen vor, Frauen besser aufzuklären und das Positive zu betonen: »Das Altern von Frauen als normal anzusehen, Stärke, Schönheit und Errungenschaften älterer Frauen zu feiern, kann das Narrativ ändern und positive Rollenmodelle anbieten.«

Die zweite Lebenshälfte sei nicht der »Herbst des Lebens«, sagt auch die Wiesbadener Frauenärztin Sheila de Liz, die mit »Woman on Fire« einen Bestseller über die Wechseljahre geschrieben hat, in einem Trailer zu ihrem Buch. »Es ist mehr der Hochsommer.« Auch de Liz findet, dass das Bild dieser Lebensphase sich ändern muss: »Es ist an der Zeit, dass wir über die Wechseljahre und ihre Vorteile sprechen.«

Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause-Gesellschaft, findet den Ansatz gut, ist aber skeptisch, wie das praktisch aussehen soll. Bis zur Hälfte aller Frauen hätten in den Wechseljahren Beschwerden, die ihre Lebensqualität beeinträchtigen, sagt die Mit-Autorin des Buches »Kompass Wechseljahre«. »Es gibt Frauen, die haben richtig ätzend schlimme Probleme. Da hilft es auch nichts, wenn man die Menopause neu bewertet. Das kann man sich nicht schönreden.«

Dass das Thema so unpopulär ist, liegt nach Ansicht der Hamburger Gynäkologin am Bild, das unsere Gesellschaft von alten Frauen hat: »Alt gleich arm, schrumpelig, krank und doof.« Könnten wir das Alter positiver sehen, wäre auch die Menopause weniger negativ behaftet.

Wichtiger als die Forderung nach radikaler Umdeutung sind Schaudig drei andere Punkte: Das Thema müsse entideologisiert, Frauen müssten besser aufgeklärt und Gynäkologen besser ausgebildet werden. Hormonbedingte Probleme in den Wechseljahren kämen in der überwiegend klinischen Ausbildung kaum vor. »Aber die Fachgesellschaften sind da dran«, sagt Schaudig, die
auch für die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe spricht.

Viele Diskussionen gibt es nach wie vor um die Hormonersatztherapie. Von den einen wird sie als Lösung vieler Probleme angepriesen, von anderen wegen der potenziellen Nebenwirkungen abgelehnt. Laut Techniker-Krankenkasse (TK) bekamen 2021 nur noch gut sechs Prozent der bei der TK versicherten erwerbstätigen Frauen zwischen 45 und 65 Jahren ein Hormonpräparat verordnet. Die Zahl der Verordnungen sinkt seit Jahren, wie der TK-Gesundheitsreport zeigt. Zur Jahrtausendwende hatten noch 37 Prozent Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden eingenommen.

Das inzwischen häufig negative Bild dieser Behandlung wurde Anfang der 2000er Jahre geprägt. Damals erschien die Women’s Health Initiative Study, die die Risiken der Therapieform herausstellte. »Es hat Jahre gedauert und eine Fülle von Daten gebraucht, bis man zu dem Schluss kam, dass der Nutzen größer sei als deren Risiken«, heißt es dazu im Fachmagazin »Lancet«.

Schaudig findet beide Extrempositionen falsch: »Jede Frau ist anders, jede Frau braucht eine andere Therapie«, sagt die Gynäkologin. Das wichtigste To-Do bei der Menopause ist aus ihrer Sicht, die Behandlung zu individualisieren, die Beratung zu verbessern und die Therapie maßzuschneidern auf die Bedürfnisse der jeweiligen Frau.

Ein Schritt in diese Richtung könnten Östrogen-Tabletten sein, die vaginal eingeführt werden. Sie sind in Großbritannien inzwischen ohne Rezept erhältlich. Zoe Schaedel und Janice Ryder vom Department of Women and Children’s Health am King’s College in London bewerteten
die Freigabe positiv. Sie helfen gegen das urogenitale Menopausensyndrom, zu dem Scheidentrockenheit gehört, ebenso wie Schwierigkeiten beim Urinhalten oder den Verlust sexueller Lust.

Die Gesellschaft für Endokrinologie verweist auf bestimmte Einschränkungen: Das vaginale Östrogen werde nicht vom ganzen Körper verarbeitet. Eine vaginale Therapie helfe im Gegensatz zur systemischen Therapie nicht gegen andere Menopausen-Symptome wie Hitzewallungen, Schlafprobleme oder Nachtschweiß.  dpa/nd

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