»Vollmond« und Haigebiss

Riesenfische in Tropenflüssen werden durch Umweltzerstörung dezimiert

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Wahnsinn! Sensation! Die Weltpresse überschlug sich im Juni über die »Entdeckung« eines kolossal großen Süßwasserrochens im Mekong. Der fast vier Meter lange und knapp 300 Kilogramm schwere und damit größte Rochen der Welt war einem Fischer ins Netz gegangen, der umgehend das Forscherteam des »Wonders of the Mekong« – »Wunder des Mekong« – alarmierte. Der Leiter des Forschungsprojekts, Zeb Hogan, zeigte sich gegenüber dem Magazin »National Geographic« sprachlos. Hogan ist Biologieprofessor von der Universität Nevada und eifriger Selbstvermarkter seiner wissenschaftlichen Arbeiten wie zum Beispiel durch die populärwissenschaftliche TV-Show »Monster Fish with Zeb Hogan« von »National Geographic«.

Die kambodschanischen Fischer tauften den Riesenrochen »Boramy«, zu Deutsch Vollmond. »Boramy« war eine Reverenz an die runde Körperform des weiblichen Tieres als auch an seine Schönheit, denn Kambodschaner nennen auch schöne Frauen »Boramy«. Zudem wurde der im Nordosten Kambodschas gefangene Riesenrochen bei Vollmond wieder in sein natürliches Habitat entlassen und entging so dem Schicksal des bisherigen Rekordhalters: Ein 293 Kilogramm schwerer, 2005 in Thailand gefangener Mekong-Riesenwels wurde getötet und verspeist.

Der Riesenrochen wurde von den Experten von »Wonders of the Mekong« sorgfältig vermessen, untersucht und mit einem akustischen Peilsender versehen. Das Signal wird von einem von »Wonders of the Mekong« und seinen kambodschanischen und internationalen Partnerorganisationen installierten akustischen Empfängernetzwerk empfangen und wird dazu beitragen, Licht in das Dunkel der Migration der Stachelrochen und ihres Verhaltens zu bringen.

Über die Riesenstachelrochen weiß man nicht viel, außer dass sie eben sehr groß sind, Boote zum Kentern bringen können und am Ende ihres Schwanzes einen bis zu 38 Zentimeter langen Stachel haben, der sogar menschliche Knochen durchbohren kann. Urogymnus polylepsis lebt vorzugsweise in bis 80 Meter tiefen, sandigen oder schlammigen Becken am Grund des Mekongs und jagt kleine Fische und wirbellose Tiere. Die Weibchen gebären ihren Nachwuchs lebend. Wie viele dieser Giganten sich noch im Mekong tummeln, ist nicht bekannt, aber Sichtungen werden immer seltener. Folgerichtig hat die Internationale Union für Naturschutz (IUCN) den riesigen Süßwasserrochen als gefährdet eingestuft.

Der Riesenstachelrochen ist nicht die einzige Fischart mit Übergröße im Mekong. Bereits 2010 stellte die Tier- und Umweltschutzorganisation WWF in ihrem Report »River of Giants« die vier Riesenfische des Mekong vor: das sind neben dem Riesenrochen die zwei Arten des Riesenhaiwelses sowie der Siamesische Riesenkarpfen. Der Riesenwels Pangasius sanitwongsei wird von den Einheimischen auch »hundefressender Wels« genannt, weil sie Hunde als Köder zum Fangen des Fisches verwenden. Der Mekong-Riesenkarpfen ist der größte Karpfen der Welt und gilt in Kambodscha als »Nationalfisch«. Die Welse und der Superkarpfen sind vor allem in Laos, Kambodscha und Thailand beliebte Speisefische.

Der mächtige Mekong ist weltweit jedoch nicht die einzige Lebenswelt von Süßwasserriesenfischen, aber mit seinen großen Vier hat er die meisten solcher Arten. Im Yangtse schwimmt der Chinesische Schwertstör, der Flusswels ist der größte reine Süßwasserfisch Europas. Im Amazonasbecken tummeln sich der Arapaima sowie der Riesenantennenwels und im Nil der in deutschen Fischtheken als »Viktoriabarsch« präsentierte Nilbarsch. Der kleinste der Riesenfische ist der Alligatorhecht. Während die anderen neun Flussgiganten zwischen 200 und 600 Kilo auf die Waage bringen, wiegt der im Mississippi lebende Alligatorhecht maximal 137 Kilo. Allerdings mit einer Länge von etwas über drei Metern braucht er den Vergleich mit seinen riesigen Artgenossen nicht zu scheuen, die allesamt zwischen drei und sechs Metern messen. Mit maximal zwei Metern Länge ist der Nilbarsch allerdings der kleinste Süßwasserriese. Der Riesen-Tigersalmler (Hydrocynus goliath) im Kongo wird zwar nur reichlich einen Meter lang, sein Gebiss allerdings würde auch einem großen Hai Ehre machen.

Riesenfische sind allesamt bedrohte Arten. Das liegt zum einen an ihrer Größe. Der Anteil bedrohter Fischarten nehme ab Größen über 100 Zentimeter erheblich zu, hieß es schon 2002 in einem wissenschaftlichen Papier über das Management und die Biologie der Riesenfische im Mekong der »Mekong River Commission« (MRC) der Anrainerstaaten (außer China). Große Arten, so die Hypothese von Wissenschaftlern, hätten im Allgemeinen eine geringere Populationsdichte als kleinwüchsige Arten.

»Unter der Annahme, dass es eine Mindestpopulationsgröße gibt, die erforderlich ist, um genetische Probleme zu vermeiden, kann argumentiert werden, dass größere Arten größere Gebiete benötigen. Die zunehmende Störung der Migrationskorridore kann daher eine weitere mögliche Ursache für den Rückgang der großen Arten sein. Der Bau von Dämmen und Wehren bedeutet die Fragmentierung bestehender Lebensräume und die Isolierung von Subpopulationen«, hieß es in dem Papier der MRC.

Acht Jahre später warnte der WWF, noch sei der Mekong zwischen Laos und Vietnam ein frei fließender Fluss. »Aber die Uhr tickt«, hieß es in dem Report »River of Giants«. Die in freier Wildbahn lebenden Riesenfische könnten aussterben, wenn die für den Mekong geplanten Wasserkraftdämme gebaut würden. Wie die meisten Fischarten im Mekong wanderten auch die Riesenfische zwischen dem Tonle Sap See in Kambodscha und dem laotischen Teil des Mekong. »Ein Fisch von der Größe eines Mekong-Riesenwelses wird einfach nicht in der Lage sein, über eine große Barriere wie einen Damm zu schwimmen, um seine Laichgründe stromaufwärts zu erreichen«, betonte der Umweltwissenschaftler Roger Mollot, damals beim WWF Laos.

Heute, zwölf Jahre später, blockieren mindestens elf Staudämme in China und Laos den freien Lauf des Mekong. Hinzu kommen Hunderte Dämme an den Nebenflüssen. Das Ökosystem Mekong leidet zudem gewaltig unter der rasanten Besiedelung seiner Ufer, der Überfischung und natürlich dem Klimawandel. Letzterer ist zumindest zum Teil schuld an der seit einigen Jahren in der Mekongregion herrschenden Dürre. Der ausbleibende Regen hat den Pegel des Mekong auf rekordverdächtige Tiefstände sinken lassen. Wissenschaftler und Umweltschützer sind sich einig: Geht es den Riesenfischen schlecht, ist das ein Alarmzeichen für den Zustand des Ökosystems.

Michael Akester forscht seit mehr als 40 Jahren zu Fischen und der Bewahrung der Fauna in Flüssen und Meeren. Über die Riesenfische sagt der Regionaldirektor für Südostasien des World Fish Center dem »nd«: »Da einige dieser Fischarten langlebig sind und ihr ganzes Leben lang wachsen, hängt ein Grund für die enorme Größe wahrscheinlich mit den tiefen Becken im Mekong und der Fähigkeit der Fische zusammen, dem Fang zu entgehen. Nahrung sammelt sich wahrscheinlich in diesen tiefen Tümpeln als natürliche Fallen für alles, was im Fluss stirbt.«

Wenn aber der ganze Fluss stirbt, dann ist das Überleben der Riesenfische als auch vieler ihrer kleinen Artgenossen und damit das der mehr als 60 Millionen Menschen in der Mekongregion gefährdet, die als Bauern und Fischer von dem Fluss leben. Die menschengemachten Probleme des Mekong sind der eigentliche Wahnsinn, der einen sprachlos macht.

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