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  • Olympia-Attentat in München

»Ebenso schauderhaft wie sinnlos«

Die Berichterstattung im »ND« zur Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Protest gegen das Attentat 1972 bei den Olympischen Spielen in München im Olympischen Dorf
Protest gegen das Attentat 1972 bei den Olympischen Spielen in München im Olympischen Dorf

Sport, Politik und Moral ergaben, solange zwei deutsche Staaten existierten, keinen akzeptablen Dreiklang. Und dann kam – ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in München – auch noch das Attentat hinzu. Seit der Gründung der DDR war die internationale staatliche Anerkennung eines der wichtigsten Ziele ihrer Außenpolitik. Zunehmend waren Sportler, die immer öfter durch ihre Leistungen Aufmerksamkeit erlangten, die besten Botschafter, die das Land in die Welt aussenden konnte. Sehr zum Ärger der Regierung in Bonn. Gemäß der sogenannten Hallstein-Doktrin bestand die Bundesrepublik Deutschland auf einem Alleinvertretungsanspruch. Jedem Staat, der es wagte, diplomatische Beziehungen mit der DDR einzugehen, drohte man mit dem Abbruch der Beziehungen. Das galt auch lange für den sportlichen Bereich. Erst zu den Spielen 1972 in München erlangte die DDR die volle Anerkennung durch das Internationale Olympische Komitee, durfte mit eigener Flagge und Hymne auftreten.

»Höher, schneller, weiter« – die DDR versuchte das Motto in der Systemauseinandersetzung und weit über den Sport hinaus als Beleg für die Sieghaftigkeit des Sozialismus darzustellen. Die Bundesrepublik wiederum tat alles, um Repräsentationsmöglichkeiten der DDR einzuschränken und sich als den eigentlichen modernen, weltoffenen und demokratischen deutschen Staat zu präsentieren. Und dann passierte das:

Am Morgen des 5. September 1972 drangen Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe »Schwarzer September« auf das Gelände des Olympischen Dorfes in der Landeshauptstadt von Bayern vor, nahmen israelische Sportler als Geiseln und töteten zwei, die Gegenwehr leisteten. Die Forderung: Sofortige Freilassung von mehr als 230 Häftlingen aus israelischen Gefängnissen. Deutschland sollte zudem die führenden Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) Ulrike Meinhof und Andreas Baader freigeben.

Die Gruppe »Schwarzer September« hatte sich gebildet, nachdem Jordaniens König Hussein im September 1970 seine Truppen gegen palästinensische Flüchtlingslager anrennen ließ, um ein für alle Mal zu klären, wer die Macht im Lande ausübt. Die Folge: Ein Blutbad, mindestens 4000 palästinensische Kämpfer starben. Die eigentliche Schuld daran trug, so die offizielle Sicht in der DDR, Israel. Und obwohl in keinster Weise an der Aktion beteiligt, steckte der ostdeutsche Staat in einem Zweispalt. Er unterhielt beste Beziehungen zur 1964 gegründeten Palestine Liberation Organization (PLO) und dessen Vorsitzenden Jassir Arafat, unterstützte deren Forderung nach einem eigenen unabhängigen Staat Palästina und kritisierte heftig die aggressive Politik Israels. Die DDR-Führung sah den jüdischen Staat, insbesondere nach dem Sechstagekrieg 1967, als imperialistische Speerspitze der USA am Mittelmeer an.

Am 6. September vermeldeten alle Tageszeitungen in der DDR das schreckliche Geschehen in München, zumeist durch Wiedergabe der Berichte der DDR-Nachrichtenagentur ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst). Die waren, wie stets bei wichtigen Themen, mit dem »Großen Haus«, dem Zentralkomitee der SED, abgestimmt. Das Zentralorgan der Partei, das »Neue Deutschland« (»nd«), hatte eigene Berichterstatter vor Ort. Obwohl die Leipziger Herbstmesse eigentlich das mediale Tagesgeschehen bestimmte, räumte man den Vorgängen in München Platz ein und stellte schon in der Überschrift klar, dass es sich um einen »Terroranschlag« handele. Dr. K. – hinter dem Kürzel verbarg sich der stellvertretende Chefredakteur Dr. Günter Kertzscher – kommentierte, dass die Tat »in der Deutschen Demokratischen Republik, wie in anderen Ländern, mit Abscheu aufgenommen« und »entschieden verurteilt« werde. Von einem »Verbrechen« war die Rede, das »ebenso schauderhaft wie sinnlos« sei. Mit ihrer Tat hätten die Terroristen »nicht zuletzt den mit uns freundschaftlich verbundenen arabischen Staaten schweren Schaden zugefügt«. Es sei, so Dr. K. weiter, »bekannt, daß die DDR gegen die Aggression Israels an der Seite der arabischen Staaten steht und eine politische Lösung des Konflikts auf der Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates unterstützt. Terrorakte, wie der in München verübte, können selbstverständlich weder einer gerechten friedlichen Lösung dienen, noch sonstwie dazu beitragen, daß die von Israel besetzten arabischen Gebiete geräumt werden.« Das war auch die Ansicht in der SED-Spitze. Jedenfalls am ersten Tag der Berichterstattung.

Auf Seite 8 an jenem Tag findet sich auch ein Bericht des »ND«-Sportchefs Klaus Ullrich (mit bürgerlichen Namen Klaus Huhn) aus München. Er war angesichts der geringen Erkenntnisse auch der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden recht »dünn«. Doch auch hier ist die Rede von einer »Tragödie« und »brutalen Mördern«. »nd« zitierte den Chef der DDR-Olympiadelegation, Manfred Ewald, dass »wir eine solche terroristische Aktion, daß wir einen solchen Mord auf das tiefste verabscheuen«.

Sonst übliche politische Attacken gegen Israel verboten sich für die DDR-Medien angesichts der Tragödie in München. Man zitierte im »nd« dennoch die Ansicht des in Moskau erscheinenden Bruderorgans »Prawda« (Wahrheit). Das Blatt wollte sich nicht durch die »Manöver, mit denen die Herrscher in Tel Aviv kaltblütig versuchen, politisches Kapital aus dem Geschehenen zu schlagen«, nicht täuschen. Man versuche nur, »eine politische Regelung der Nahostkrise zu sabotieren«, hieß es. Die Lage im Nahen Osten habe sich ausschließlich »durch Verschulden der herrschenden Kreise Israels und ihrer imperialistischen Gönner erneut ernsthaft zugespitzt«.

Am 7. September berichtet »nd« auf Seite 1 vom »Schatten über München«. Das blutige Geschehen bei der katastrophalen Polizeiaktion in Fürstenfeldbruck bot die Chance zu einer Kurskorrektur gegenüber der Berichterstattung der ersten Tage. Statt von Terroristen sprachen ADN wie »nd« fortan lieber von »Freischärlern«. Die Täter wurden zu den eigentlichen Opfern.

Der feige Übergriff auf die israelische Mannschaft war Vergangenheit, nun stand die »Eröffnung des Feuers durch Bundeswehrscharfschützen« im Mittelpunkt. Willkommenen Vorschub leistete Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber. Er betonte, die Aktion sei »auf höchster Ebene« geplant worden und hob die gemeinsame Verantwortung der Bundesregierung, der bayrischen Landesregierung und der Münchner Polizeileitung hervor. Die »nd«-Journalisten überließen letztlich die Wertung des Desasters der in Tel Aviv erscheinenden Mittagszeitung »Jedioth Acharonoth«: Die Organisatoren der Olympischen Spiele in der BRD hätten sich »um alles gekümmert und gesorgt, außer um die Sicherheit ihrer Gäste«. »ND« bezog sich zudem auf einen Bericht des ARD-Korrespondenten in Israel, Edmund Gruber, der mitteilte, dass die »verantwortungslosen Sicherheitsmaßnahmen« der bundesdeutschen Organe in Israel scharf kritisiert werden. Erinnert wurde an den Mord der Nazis an sechs Millionen Juden Europas.

Die katastrophale Informationspolitik der bundesdeutschen Behörden, die in der Nacht vom 5. auf den 6. September eine angebliche Befreiung aller Geiseln behauptete, bot überdies reichlich Angriffsfläche. Wie die Kustode auf Seite 8 zeigte, hatte »ND« eine »Sonderredaktion aus München« eingerichtet. Klaus Ullrich schrieb über die »furchtbarste Nacht, die Olympia jemals erlebte«. »ND« druckte zur Bloßstellung der Bonner Regierung eine umfangreiche Chronik der Ereignisse, die sich in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch ereignet hatten. »Im Spiegel der Presse« wurde auf der zweiten Seite im »ND« vom 8. September gefragt: »Warum wurden Warnungen achtlos beiseite geschoben?« Nicht zufällig wurden dergleichen Fragen aus westlichen Medien aus Schweden, Frankreich, Japan, Finnland, Großbritannien und den USA, wiedergegeben.

Via Medien versuchte die DDR aber auch den Schulterschluss mit den befreundeten arabischen Staaten nicht zu gefährden und zitierte in der gleichen Ausgabe einen Sprecher der ägyptischen Regierung, der im Namen seines Landes bedauerte, dass »die Bundesregierung ihr Versprechen gebrochen, ihr Wort nicht gehalten und Anschuldigungen gegen Ägypten und die Araber erhoben hat«. Ähnliche Wortmeldungen waren aus Syrien und anderen arabischen Staaten zu hören.

Eine Meldung hat es allerdings nie bis ins ND oder ein anderes Medium geschafft. Dabei sei sie, so schrieb ein Hauptmann Radeke vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in einem Vermerk, von einem westdeutschen Wirtschaftsjournalist gekommen, der als »zuverlässige, inoffizielle Quelle« bekannt wäre. Danach seien aus Tel Aviv »rechtzeitig Hinweise auf den bewaffneten Überfall« gekommen. Auch an das Bundeskanzleramt seien die gegangen, doch ohne Antwort geblieben.

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