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Irgendwas mit Zufall

»Das Glücksrad« von Ryūsuke Hamaguchi besteht aus drei faszinierenden, klug gedachten und sensibel inszenierten Kurzfilmen

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein Wiedersehen zweier Menschen, die sich gar nicht kennen.
Ein Wiedersehen zweier Menschen, die sich gar nicht kennen.

Drei Akte machen ein Drama. Drei Episoden noch keine Erzählung. Sie müssten, um das zu tun, Teile eines Ganzen sein. Oder, wenn nicht dramatische Bindung die Klammer ist, einer leitenden Idee gehorchen, die das Verschiedene auf der Gedankenebene zusammenhält. Was diese Klammer im Fall von »Das Glücksrad« allerdings sein soll, lässt sich nicht leicht ermitteln. Irgendwas mit Frauen, irgendwas mit Zufällen. Mehr zu sagen scheint unmöglich – auch wenn die Dialoge durchaus Tiefe haben, ein Leitgedanke oder wenigstens Facetten eines solchen sind hier zu wenig herausgearbeitet. Die erzählerische Demonstration, dass und auf welche Weise Zufälle menschliche Geschicke beeinflussen können, ist einfach nicht neu genug, um schon als solche überzeugen zu können.

Ein Episodenfilm im schlechteren Sinne des Wortes? Als hätte Ryūsuke Hamaguchi, von dem man ja nicht erst seit »Drive My Car« (2021) weiß, dass er es kann, dreimal am Glücksrad gedreht, einmal, um abzuräumen, einmal, um Frederic Meisner glücklich zu machen, und einmal, damit es noch für die Kaffeemaschine für den Bernd reicht. Jeweils für sich genommen allerdings halten die Episoden stand: drei faszinierende, klug gedachte und sensibel inszenierte Kurzfilme, die zusammen genau gar nichts machen. Kurzweilig sind sie allemal. Eine Geschichte, in der ein Mann scheinbar zwischen zwei Frauen, in Wahrheit aber eine Frau zwischen dem Mann und der anderen Frau steht; ein Versuch sexueller Kompromittierung, der scheitert und dann doch nicht; ein Wiedersehen zweier Menschen, die sich gar nicht kennen, aber genau deswegen erst einander wiedersehen können. Das sind, aufs Knappste gebracht, die drei Episoden, durch die der Zuschauer tauchen muss, ehe er sich am Ende kein Stück schlauer und dennoch bereichert aus dem Kinosessel erheben kann.

Eins. Tsugumi erzählt ihrer Freundin Meiko von ihrem neuen Freund Kazuaki. Später taucht Meiko bei Kazuaki auf, denn sie hat ihren Exfreund aus Tsugumis Erzählung erkannt. Will sie sein Glück verhindern? Oder liebt sie ihn noch? Oder beides? Zwei. Nao möchte ihrem Geliebten Sasaki einen Gefallen tun und den Französischprofessor Segawa verführen, damit der seine Stellung verliert. Sie erscheint in seinem Büro, doch die Sache verläuft nicht wie erwartet. Drei. Ein Computervirus hat die Welt verändert, es ist nicht mehr möglich, E-Mails zu versenden. Moka vermisst auf einem Klassentreffen ihre Jugendliebe. Am Tag darauf trifft sie Nana auf der Straße. Was für ein Zufall! Sieht man davon ab, dass beide sich gar nicht kennen.

Fast kunstlos ist das Ganze (das kein Ganzes ist) heruntergedreht. Durchweg ohne Musik. Keine Effekte. Kaum Besonderheiten in Schnitt und Kamera. Als filmte man ein Theaterstück ab, reines Drama auf der Leinwand. Es gibt keine physische Handlung, die Episoden spielen an zwei oder drei Orten, und hauptsächlich wird geredet. Das Szenenbild ist entsprechend einfach. Alles konzentriert sich auf die Charaktere und deren Innenleben.

Alle drei Episoden arbeiten mit einem starken Twist, vor dem man sein Urteil über das Geschehen nicht gefällt haben sollte. Die ersten beiden Episoden passen deutlich besser zueinander als jeweils zur dritten. Was die beiden gemein haben, scheint nun aber traurigerweise eine gekränkte männliche Seele.

Es ist in der ersten Episode nicht der Mann, der mit zwei Frauen spielt, es ist Meiko, die Kazuaki betrogen hat und ihm jetzt, zwei Jahre später, übelnimmt, dass er eine andere Frau, zufällig ihre Freundin, trifft. Dieses Stereotyp schmeichelt einer allzu zarten Männerseele, die stets bereit ist, sich als Opfer selbstbewusster Weiblichkeit zu sehen, es trübt die an sich interessante Konstellation der ersten Episode unangenehm ein. Dass wir an deren Ende eine Variation sehen, ein alternatives Ende gewissermaßen, wie man es sonst beim Bonusmaterial einer Blu-ray findet, hier aber in den Final Cut gelangt, und dass dieses Ende einen versöhnlichen Ausgang des Konflikts andeutet, ändert wenig an der Täter-Opfer-Konstellation.

Auch die zweite Episode zeigt eine Frau mit schlechten Absichten. Um ihrem Freund bei der Rache gegen Segawa zu helfen, liest Nao Segawa erotische Passagen aus dessen Werk vor. Sie will ihn verführen und damit seiner Karriere schaden. Die Fallhöhe steigt noch, indem er frisch gekürter Träger des Akutagawa-Preises ist (dem vom weniger renommierten Naoki-Preis abgegrenzten Preis für Hochliteratur). Interessanterweise versucht Nao Segawa durch das Lesen einer von ihm selbst geschriebenen Sexszene herumzubekommen. Die Rechnung, dass, wer so was schreibt, bedürftig sein, dass ihr Auftauchen und das Lesen dieser Phantasie wie eine Erfüllung seiner Wünsche wirken muss, geht nicht ganz auf. Segawa erweist sich als schwer zugänglich. Sein Werk ist pornographisch, aber auch Kunst. Es geht um Worte und Erzählung, Elemente und Struktur der Poesie, es geht um deren Eigenleben, deren Dynamik, die sich von den persönlichen Belangen des Verfassers im Prozess des Schreibens nie ganz, aber doch spürbar ablöst. Die Erkenntnis, dass die Liebe an ihre Grenzen stößt, wenn es um Kunst geht, obgleich die Kunst doch kein vornehmeres Thema kennt als die Liebe, wird in dieser Episode dramatisch.

Beide Episoden handeln somit von Frauen, die stark und schwach zugleich sind. Meiko und Nao versuchen etwas zu zerstören. In der ersten Episode erbarmt die Femme fatale sich des zart fühlenden männlichen Opfers. In der zweiten erliegt die Femme fatale der introvertierten, aber stringenten Intellektualität ihres Opfers. Geschichten, die nur ein Mann schreiben konnte.

Ganz anders sieht es mit der dritten Episode aus. Bloß leider fällt gerade sie komplett aus dem Muster, liegt seltsam windschief und scheint auch die von den dreien, die uns am wenigsten zu sagen hat. Obgleich der Mindfuck hier sogar am größten ist. Zwei alte Freundinnen verpassen eine Begegnung bei einem Klassentreffen, treffen sich am nächsten Tag dafür zufällig in der Stadt, bemerken dann aber im Laufe der Begegnung, dass sie gar nicht die Personen sind, für die sie einander gehalten haben, dass sie vielmehr sich überhaupt nicht kennen.

Das seltsame Setting indessen – alle E-Mails seien nicht mehr da oder geleakt oder was auch immer, nicht mal das wird richtig erklärt – wirkt vollkommen beiläufig. Man fragt sich, was das überhaupt soll. Der dystopische Anspruch kommt nicht zum Tragen, die Story ließe sich problemlos auch ohne das erzählen. Was man bedauern sollte, denn diese dritte Episode ist rein dramaturgisch betrachtet die geschickteste. Ein reizendes Rollenspiel im Rollenspiel und ein bewusst wiederholtes Abschiednehmen am Ende gehören zu den Szenen an einem Film, die man für immer im Gedächtnis behält.

»Das Glücksrad« (»Guzen to Sozo«): Japan 2021. Regie und Drehbuch: Ryūsuke Hamaguchi. Mit: Kotone Furukawa, Katsuki Mori, Fusako Urabe, 121 Minuten, jetzt im Kino.

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