- Berlin
- Ernte in Brandenburg
Die schlimmste Dürre seit 500 Jahren
In der brandenburgischen Landwirtschaft wird umgedacht
Überschattet von einer Vielzahl gravierender Unwägbarkeiten wird am kommenden Wochenende in Wulkow (Ortsteil von Neuruppin) das 17. Brandenburgische Dorf- und Erntefest begangen. »Genug geackert – jetzt wird gefeiert« lautet das diesjährige Motto der Veranstaltung, die zweimal wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste. Nach Feiern ist aber keineswegs allen Menschen zumute, die in diesem Bereich tätig sind. Das wurde deutlich, als am Montag in der Potsdamer Staatskanzlei das Programm vorgestellt wurde.
Denn die Frage, wie sich die jahrzehntelang betriebene industrielle Landwirtschaft entwickelt, wenn Klimawandel und Krisen die Bedingungen gravierend verändern, schwingt bei allem mit. Agrarminister Axel Vogel (Grüne) erklärte, dass Deutschland bei der Versorgung mit Lebensmitteln zwar keine nationale Autarkie im Auge habe, dass es jedoch in Zukunft eine »spannende« Frage werden könnte, ob die Europäische Union zur Selbstversorgung in der Lage sei. Das Bewusstsein dafür, sich in wesentlichen Bereichen selbst zu versorgen, sei angesichts der Vielzahl internationaler Krisen gewachsen, ergänzte er auf Nachfrage. Der Verzicht auf importiertes Soja setze beispielsweise eine »eigene Eiweißstrategie« voraus. Die Dürre (»die schlimmste seit 500 Jahren«) sowie hohe Diesel- und Düngerpreise als Folge des Ukraine-Kriegs machten den Bauern im Land erheblich zu schaffen.
Der Vizepräsident des Landesbauernverbands Sven Deter wies darauf hin, dass das Niveau der landwirtschaftlichen Produktion in Qualität, Quantität und Nachhaltigkeit noch nie so hoch gewesen sei wie heute. Bei den Standards dafür sei man weltweit Vorbild. Doch dürfe die Politik den einheimischen Bauern nicht strategisch »die Füße wegschlagen«. Auch in Europa gebe es Länder, »die erst einmal an sich denken«.
Die Bauern wären bereit, statt Mais für Biodiesel mehr Nahrungsmittel zu produzieren. »Aber dafür müssen sie dann auch mehr Geld bekommen«, so Deter. Wenn nun die Bauern die nächste Aussaat begännen, dann gingen sie erneut in Vorleistung. Angesichts der unsicheren Aussichten sei das »ein enormes Risiko«.
Von dramatischen Veränderungen und existenziellen Fragen sprach die Vorsitzende des Agrarmarketingvereins Pro Agro, Hanka Mittelstädt. Einer aktuelle Umfrage zufolge fürchten über die Hälfte der Landwirte im Bundesland schlechtere Zukunftsaussichten, 17 Prozent sogar deutlich schlechtere. Vor einem Jahr sei bei der gleichen Umfrage ein gegenteiliges Bild entstanden, die meisten hätten gute oder gleichbleibende Aussichten angegeben. »Die bäuerliche Arbeit ist in nie dagewesenem Umfang bedroht«, erklärte Mittelstädt dazu. Es gebe heute keine Gutsherren mehr, von denen die Landarbeiter akzeptable Rahmenbedingungen für ihre Arbeit fordern könnten. Das sei nun die Politik.
Mittelstädt forderte eine Deckelung der Energiekosten für die Landwirtschaft. »Was nützt es, in der warmen Wohnung zu sitzen, wenn nichts im Kühlschrank ist?« Offenbar zähle der Bereich aus Sicht der Politiker nicht zu den vordringlichen. Wenn es aber zu Stromunterbrechungen in Kühlhäusern komme, »dann sind die Regale leer«, warnte sie.
Neuruppins Bürgermeister Nico Ruhle warb dafür, sich durch die aktuellen Schwierigkeiten die Feierlaune zum Erntefest nicht vermiesen zu lassen. Der Festzug werde am kommenden Sonnabend einen halben Kilometer lang sein und 35 Bilder zeigen. Besucher könnten sich praktisch ausprobieren und auch einmal selbst Kartoffeln aus dem Boden stoppeln. Die vor 20 Jahren neu gebaute Justizvollzugsanstalt am Ort werde mit einem eigenen Stand beim Erntefest vertreten sein.
Wulkow gilt als »typisches Straßendorf« mit rund 500 Einwohnern. Das Landes- und Erntefest wurde erstmals 2004 ausgerichtet, es entstand aus der Zusammenlegung von Landeserntefest und Brandenburgischem Dorffest.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.