Der Rettungswagen wäre seltener nötig

Diabetes-Experten fordern flächendeckenden Einsatz von Gesundheitsfachkräften an Schulen

Schulgesundheitsfachkraft – man kann zwar ahnen, was sich hinter dem Wortungetüm verbirgt, aber eingängig ist es nicht. Das könnte damit zu tun haben, dass Vertreter der Profession in Deutschland extrem selten sind. Wie selten, zeigte sich am Dienstag in einer Pressekonferenz zum Thema: Hessen hat zehn dieser Fachkräfte und liegt damit bundesweit an der Spitze. In dem Bundesland allein gibt es aber schon mehr als 1100 reine Grundschulen. Logisch, dass nur die wenigsten der 8,5 Millionen Schülerinnen und Schüler bundesweit einen derartigen Ansprechpartner haben.

Zu tun gäbe es genug für entsprechend ausgebildetes und berufserfahrenes medizinisches Fachpersonal. Das ergibt sich schon daraus, dass Kinder insbesondere in der Grundschulzeit nahezu flächendeckend bis in den Nachmittag hinein betreut werden. Nach dem Mittagessen geht es in der Regel in den Hort. Diese Pause im Tagesverlauf hat es für eine Gruppe von chronisch kranken Kindern besonders in sich: Mädchen und Jungen mit Typ-1-Diabetes müssen ihren Blutzucker messen, eventuell Insulin spritzen, aber auch ihre Aktivitäten (wie etwa Sport) und Mahlzeiten genau darauf abstimmen. Eines von 500 Kindern in Deutschland muss mit der Diagnose und ihren Folgen leben.

»Das Kind kann noch selbst messen, aber im Grundschulalter kann es den Wert noch nicht interpretieren«, erläutert Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und leitend an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen tätig. Bei den täglich mehrfach nötigen Feineinstellungen der Therapie sind sowohl Lehrer überfordert als auch die an etlichen Schulen eingesetzten Sozialarbeiter. Ebenso wenig geeignet sind Schülersanitäter. In der Regel bleiben die Mütter, das bestätigt auch der Kinderdiabetologe Neu. Deren telefonische Konsultation etwa durch die Klassenlehrerin ist zwar machbar, aber aufwändig und risikobehaftet. Der häufigste Ausweg sieht dann so aus, dass ein Elternteil in die Schule kommt, meist die Mutter.

Diese Verantwortung hat Folgen für die betroffenen Familien: Laut der Amba-Diabetes-Studie geben 15 Prozent der Mütter ihre Berufstätigkeit auf, zwölf Prozent reduzieren ihre Arbeitszeit. 46 Prozent der Familien erleiden relevante finanzielle Einbußen nach der Diagnose des Kindes. Die Zahlen fallen seit einigen Jahren ähnlich aus, obwohl Deutschland 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnete, nach der auch jedem chronisch Kranken die gesellschaftliche Teilhabe ohne Einschränkung zusteht. Nur für die Diabetes-Kinder und ihre Familien wie auch für Kinder mit anderen chronischen Krankheiten ist das nicht die Regel. Dabei gäbe es mit den Schulgesundheitsfachkräften eine einfache Lösung, wie Modellprojekte in Hessen und Brandenburg zeigen.

Darüber berichtet Karen Kreutz-Dombrofski. Die Kinderkrankenschwester mit 30 Jahren Berufserfahrung gehört zu den wenigen Schulgesundheitsfachkräften in Deutschland und arbeitet an einer integrierten Gesamtschule in Frankfurt am Main. Dort ist sie für 1200 Kinder und Jugendliche da – und ansprechbar für Lehrer wie Eltern. »Die Kinder nennen mich Schulkrankenschwester, sie wissen alle, wo mein Raum ist.« Bei Kreutz-Dombrofski gibt es mal eine Maske oder einen Rat, ob das schon Covid-19 sein könnte oder nur eine Erkältung. Sie bietet Präventionseinheiten an, wenn in einer Klasse gerade das Rauchen interessant wird. Mit den Eltern der Diabetes-Schüler ist sie in Kontakt. Die Kinder selbst wollen manchmal durchaus ihren Klassenkameraden erklären, wie sie den Blutzuckerwert bestimmen, andere wollen es lieber nicht. »Ich kann individuell auf die Bedürfnisse reagieren, und die Eltern können die Verantwortung beruhigt abgeben«, berichtet Kreutz-Dombrofski. Die Begutachtung der Modellprojekte zeigte, dass der Einsatz einer solchen Fachkraft gut investiertes Geld ist. Ein Rettungswagen muss in den so betreuten Schulen nur noch halb so oft gerufen werden wie an den Schulen im Durchschnitt.

Experten sind sich darüber schon lange einig, nicht aber die Politik. Die Zuständigkeit für die »neue« Berufsgruppe wird zwischen Bildungs- und Gesundheitsministerium, aber auch zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben. Der wachsende Fachkräftemangel ist ein weiteres Argument dafür, mit einer flächendeckenden Einrichtung solcher Stellen Familien zu entlasten und Müttern die Berufstätigkeit zu ermöglichen.

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