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Eine feministische Verfassung für Chile
Die Menschen in dem südamerikanischen Staat stimmen darüber ab, ob sie die neue Verfassung annehmen, die einen klaren emanzipatorischen Charakter hat.
»Wir haben es geschafft, eine feministische Verfassung zu schreiben«, sagt Barbara Sepúlveda bei einem Treffen der Coordinadora Feminista 8M, Chiles größter feministischen Dachorganisation, in der Hauptstadt Santiago. Sepúlveda ist Anwältin, feministische Aktivistin, Mitglied der Kommunistischen Partei und eine der 154 Personen, die den Entwurf für Chiles neues Grundgesetz ausgearbeitet haben.
»Neue Verfassung und feministische Horizonte« heißt die Gesprächsrunde, an der neben Sepúlveda auch Alondra Carrillo und Constanza Schönhaut teilnehmen. Die drei Frauen waren Teil des Colectivo Feminista, einer Gruppe im Verfassungskonvent, die sich vorgenommen hatte, eine feministische Agenda durchzusetzen. Etwa ein Drittel aller Mitglieder gehörte dem feministischen Kollektiv an. »Wir waren das erfolgreichste Kollektiv im Verfassungskonvent. Alle Artikel, die wir vorgeschlagen haben, wurden verabschiedet«, sagt Sepúlveda.
Ein Jahr lang arbeitete der Verfassungskonvent an dem Entwurf für eine neue Verfassung, über den die Menschen in Chile am 4. September bei einem Referendum abstimmen werden. Die Versammlung wurde im Mai 2021 demokratisch gewählt mit 17 reservierten Sitzen für Indigene und Geschlechterparität. Es war die erste verfassungsgebende Versammlung der Welt, die zur Hälfte aus Frauen bestand. Besonders bei der Wahl war außerdem, dass Parteiunabhängige Wahllisten aufstellen durften, nicht nur traditionelle Parteien, wie es zum Beispiel bei den Parlamentswahlen der Fall ist.
Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Mitglieder waren Parteiunabhängige, darunter zahlreiche Mitglieder sozialer Bewegungen, Umweltschützer*innen und feministische Aktivist*innen. Rechte Parteien erhielten hingegen weniger als ein Drittel der Sitze, weshalb sie nicht in der Lage waren, Vorschläge für Verfassungsnormen zu blockieren. Denn alle Normen mussten von einer Zweidrittelmehrheit befürwortet werden. Die Rechten waren von Anfang an gegen die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und rufen jetzt dazu auf, den Entwurf beim Referendum abzulehnen.
Folgen des gesetzlich verankerten Neoliberalismus
Die aktuell in Chile gültige Verfassung stammt aus der Pinochet-Diktatur und wurde 1980 ohne demokratische Mindeststandards verabschiedet. In ihr ist das neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell verankert, das seitdem in Chile vorherrscht. Die Verfassung schreibt dem Staat eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu, Privaten gibt sie den Vorrang. Das hat dazu geführt, dass es in Chile keine staatliche Rentenversicherung gibt, sondern lediglich private Rentenfonds, die mit den individuellen Ersparnissen der Arbeiternehmer*innen spekulieren. Das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem ist unterfinanziert, öffentliche Gelder fließen stattdessen in staatlich subventionierte Privatschulen und in Privatkliniken.
Rechte von Frauen und LGBTIQ+ werden in der Verfassung von 1980 gar nicht erwähnt. Der Entwurf für das neue Grundgesetz beinhaltet hingegen 21 Artikel, die das Leben von Frauen und Queers in Chile verändern könnten. Dazu gehören Geschlechterparität in staatlichen Institutionen, sexuelle und reproduktive Rechte, Sexualerziehung, das Recht auf ein Leben ohne geschlechtsspezifische Gewalt, die Anerkennung von Sorgearbeit, von Geschlechtsidentität und diversen Familien.
Soziale Revolte und die Rolle von Feministinnen
»Es ist das erste Mal, dass ein verfassungsgebender Prozess im Kontext einer feministischen Massenbewegung stattfindet«, sagt Alondra Carrillo, Psychologin, ehemalige Sprecherin der Coordinadora Feminista 8M und Mitglied des Verfassungskonvents. Sie war eine der Protagonistinnen der feministischen Bewegung in der Versammlung. Das Programm, das sie dort vertrat, hat seinen Ursprung im »Feministischen Programm gegen die Prekarisierung des Lebens«, das Frauen und Queers aus ganz Chile gemeinsam bei ihren jährlichen Treffen ausgearbeitet hatten. 2022 trafen sie sich zum vierten »Encuentro Plurinacional de Mujeres y Disidencias que Luchan«.
Das erste Treffen fand 2018 statt, in einem Jahr feministischer Massenproteste in Chile. Student*innen besetzten monatelang über 31 Universitäten im ganzen Land, um gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung, Gewalt und Machtmissbrauch an den Bildungseinrichtungen zu protestieren. Auch die Schüler*innen schlossen sich an. Eine ihrer Forderungen war »Bildung ohne Sexismus«. In den Vorjahren hatte es bereits Proteste gegen Femizide gegeben, inspiriert von der argentinischen Bewegung Ni Una Menos (»Nicht eine weniger«) und für die Legalisierung von Abtreibung, die bis 2016 in Chile komplett verboten war und seit 2017 in drei Fällen straffrei ist: bei Vergewaltigung, Lebensgefahr der werdenden Mutter und nicht mit dem Leben vereinbarer Schädigung des Fötus.
Im selben Jahr wurde auch die Coordinadora Feminista 8M gegründet, um 2019 den ersten feministischen Streik in Chile zu organisieren. Mehr als eine Million Frauen und Queers protestierten am 8. März jenes Jahrs in der Hauptstadt Santiago, weitere Tausende in anderen Teilen des Landes. Es war der größte Protestmarsch seit dem Ende der Pinochet-Diktatur.
Als im Oktober 2019 wegen einer Fahrpreiserhöhung der U-Bahn in Santiago eine landesweite soziale Revolte gegen soziale Ungleichheit und Neoliberalismus begann, nahmen Feminist*innen eine wichtige Rolle bei den Protesten ein. Einer der Höhepunkte des Aufstands war die Performance des feministischen Kollektivs Lastesis »ein Vergewaltiger auf deinem Weg«, die anschließend Frauen und Queers in verschiedenen Ländern der Welt aufführten. Der 8. März 2020 war der letzte Massenprotest im Rahmen der Revolte, bevor die Pandemie die Protestbewegung ausbremste.
Das Recht, frei über den eigenen Körper zu entscheiden
Im Oktober 2020 stimmten knapp 80 Prozent bei einem Referendum für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Es war der Druck der feministischen Bewegung, der erreichte, dass die Wahl der Mitglieder des Verfassungskonvents mit Geschlechterparitätsregelung durchgeführt wurde. Es waren auch feministische Organisationen, Frauen und Queers, die dem linken Präsidenten Gabriel Boric im Dezember 2021 zur Wahl verhalfen und so die Bedrohung durch den rechtsextremen und frauenfeindlichen Kandidaten José Antonio Kast verhinderten.
Als im März 2021 der Verfassungskonvent die Normen über sexuelle und reproduktive Rechte diskutierte, organisierten feministische Organisationen Mahnwachen vor dem Gebäude, bauten eine Bühne auf, luden Aktivist*innen und Musiker*innen ein. »Será Ley« (es wird Gesetz sein) stand in großen weißen Buchstaben auf ein grünes Banner geschrieben. Vor der Bühne lag ein mehrere Meter großes grünes Halstuch, das Symbol für den Kampf für legale Schwangerschaftsabbrüche in Lateinamerika, das seinen Ursprung in Argentinien hat.
Als die Norm schließlich von einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde, feierten Frauen und Queers ausgelassen auf der Straße, fielen sich in die Arme, jubelten und weinten. »Jede Person hat sexuelle und reproduktive Rechte. Diese bestehen unter anderem im Recht, frei, autonom und informiert über den eigenen Körper zu entscheiden, über die Ausübung der Sexualität, Reproduktion, Lust und Verhütung«, heißt es in Artikel 61 des Entwurfs für eine neue Verfassung. Der Staat wird dazu verpflichtet »allen Frauen und gebärenden Personen die Bedingungen für eine Schwangerschaft, einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch, eine Geburt und eine freiwillige und beschützte Mutterschaft« bereitzustellen.
»Wir haben viel von den Argentinierinnen gelernt«, sagt Sepúlveda. Dort erreichte die feministische Bewegung im Dezember 2020 nach einem jahrelangen Kampf, dass der Senat das Gesetz für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verabschiedete. »Wir haben das nur geschafft, weil wir Feministinnen überall sind: Feministinnen auf der Straße, Feministinnen in den Universitäten, Feministinnen im Verfassungskonvent, Feministinnen in Machtpositionen«, sagt sie.
Das Thema Abtreibung steht im Mittelpunkt der Desinformationskampagne der chilenischen Rechten. »Wir wären das einzige Land, das Abtreibung bis zum neunten Monat erlaubt«, sagte Felipe Kast, der für die rechtsgerichtete Partei Evópoli im Senat sitzt, im Radio. Dabei garantiert der Entwurf für die neue Verfassung lediglich das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Die Details wie eine mögliche Fristenregelung werden hingegen erst im Anschluss in einem entsprechenden Gesetz festgelegt.
Anspruch auf menschenwürdigen Wohnraum
»Ich muss ständig den Leuten erklären, dass ihnen niemand das Haus wegnehmen wird«, sagt Alondra Carrillo, die regelmäßig an Versammlungen und Veranstaltungen von Basisorganisationen teilnimmt, um über die neue Verfassung zu informieren. Soziale und feministische Organisationen hatten sich dafür eingesetzt, dass das Recht auf menschenwürdigen Wohnraum in der Verfassung verankert wird. Und sie waren erfolgreich: »Jede Person hat das Recht auf würdigen und angemessenen Wohnraum, der die freie Entwicklung des persönlichen, familiären und gemeinschaftlichen Lebens ermöglicht«, heißt es in Artikel 51.
Das Recht auf Wohnraum sei auch Teil des feministischen Programms, sagt Carrillo. »Es geht um einen angemessenen Raum, in dem die Produktion und Reproduktion des Lebens stattfindet«, sagt sie. »Ein großer Fortschritt, um die materiellen Bedingungen der geschlechtsspezifischen Unterdrückung zu überwinden ist außerdem die Anerkennung und Umverteilung der Sorgearbeit.« Nach der Verabschiedung der Verfassung soll ein nationales Sorgesystem aufgebaut werden.
Am meisten Widerstand habe es im Verfassungskonvent gegen den Artikel über Geschlechterparität in staatlichen Institutionen gegeben. »Die Männer wollen ihre Machtposition nicht aufgeben«, sagt Barbara Sepúlveda. Aber die Norm wurde trotzdem verabschiedet. Die Frauen, die Teil des Verfassungskonvents waren, waren außerdem konstant Bedrohungen, Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt, insbesondere im digitalen Raum. Manche erhielten sogar Morddrohungen. Hinzu kamen rassistische Attacken gegen indigene Frauen, vor allem gegen die erste Präsidentin des Verfassungskonvents, die Mapuche Elisa Loncon.
Im Colectivo Feminista kamen Feministinnen aus unterschiedlichen politischen Umfeldern zusammen. Aus den Parteien der Frente Amplio und der Kommunistischen Partei, die Teil der Regierungskoalition von Gabriel Boric sind, aus den sozialen Bewegungen, der Coordinadora Feminista 8M sowie aus der Umweltbewegung. Die Umweltaktivistin Camila Zarate bezeichnet sich selbst als Ökofeministin. Auch sie war Mitglied des Verfassungskonvents und des Colectivo Feminista.
Sie setzte sich dafür ein, dass die neue Verfassung die Rechte der Natur garantiert, Wasser entprivatisiert, Umweltschutz und Klimagerechtigkeit festschreibt – und auch diese Vorhaben waren erfolgreich. »Chile ist ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat. Er ist plurinational, interkulturell, regional und ökologisch«, lautet der erste Artikel des Entwurfs für die neue Verfassung. Ein gesamtes Kapitel ist »Natur und Umwelt« gewidmet.
»Wir wollen das extraktivistische Wirtschaftsmodell überwinden«, sagt Camila Zarate. Mit Extraktivismus meint sie das in Chile vorherrschende Wirtschaftsmodell, das auf intensivem Abbau und Export natürlicher Ressourcen basiert. »Einer der zentralen Punkte, um mit dieser Überwindung anzufangen, ist die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt«, sagt sie. Damit werde »die Verdinglichung der Natur überwunden, die nur Ressourcen in ihr sieht, um zu verstehen, dass sie ein Subjekt ist mit eigenen Rechten.«
Chile ist das einzige Land der Welt, in dem sich die lebensnotwendige Ressource Wasser fast vollständig in Privatbesitz befindet – eine Folge der aktuell gültigen Verfassung. Das Land erlebt gerade eine der schwersten Dürren seiner Geschichte. 188 Gemeinden leiden unter Wasserknappheit, betroffen ist fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes. Die Hälfte der Oberfläche Chiles ist von Erosion betroffen, und die Wüste breitet sich mit einer Geschwindigkeit von drei Kilometern pro Jahr Richtung Süden aus. Ursache für die Dürre ist zwar der globale Klimawandel, aber verschärft wird die Situation durch die Wasserprivatisierung.
Besonders betroffen von der Wasserknappheit sind Frauen in ländlichen Gemeinden, die meistens die Aufgaben der Gemeinde- und Sorgearbeit übernehmen. »Wir haben es geschafft, im Verfassungskonvent Forderungen von Frauen, die gegen Exktraktivismus kämpfen, mit feministischen Forderungen zu verbinden«, sagt Zarate.
Kleinbäuerinnen und indigene Frauen der Organisation Anamur hatten sich dafür eingesetzt, die Ernährungssouveränität und den freien Austausch von Saatgut in der Verfassung zu verankern. Sie konnten sich durchsetzen: »Der Staat muss die Ernährungssouveränität und -sicherheit absichern. Dafür wird er die Produktion, Verteilung und den Konsum von Lebensmitteln fördern, die das Recht auf eine gesunde und ausreichende Ernährung, fairen Handel und ökologisch verantwortungsbewusste Ernährungssysteme garantieren«, heißt es in Artikel 54 des Verfassungsentwurfs. Der folgende Artikel verpflichtet außerdem den Staat dazu, das »Recht von Kleinbäuerinnen, Kleinbauern, indigenen Völkern und Nationen auf den freien Nutzen und Austausch von traditionellem Saatgut« zu garantieren.
Die Stärke des Colectivo Feminista im Verfassungskonvent entstand aus der Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen, die Verbindungspunkte zum Feminismus haben. Eine davon ist die Umweltbewegung, eine andere die Bewegung für die Rechte der LGBTIQ-Community. Érika Montecinos ist lesbofeministische Aktivistin und Gründerin der lesbischen Organisation Rompiendo el Silencio. Mit weiteren LGBTIQ-Aktivist*innen setzte sie sich im Kollektiv DURAS (Disidencias Unidas Reconstruyendo Alianzas Sexopolíticas) dafür ein, dass die Rechte von Lesben, Schwulen, trans Personen, Bi- und Intersexuellen sowie Queers und non-binären Personen in der neuen Verfassung beschützt werden.
Sie erreichten, dass die Anerkennung der Geschlechtsidentität in der Verfassung verankert wurde. »Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung und volle Anerkennung der Identität in all ihren Dimensionen und Erscheinungsformen, einschließlich der Geschlechtsmerkmale, der geschlechtlichen Identität und der Lebensweise, des Namens und der sexuell-affektiven Orientierung«, heißt es in Artikel 64. Außerdem werden vielfältige Familienformen anerkannt und »jede Form der Diskriminierung« verboten, insbesondere wenn sie auf »Geschlecht, sexuelle affektive Orientierung, Geschlechtsidentität und -ausdruck« zurückgeht (Artikel 25).
Montecinos arbeitet seit etwa einem Jahr im Programm für sexuelle Diversität der Stadtverwaltung von Santiago. Irací Hassler, die erste kommunistische Bürgermeisterin der Gemeinde, die viele Jahre lang von Konservativen verwaltet wurde, hatte Montecinos eingeladen, diese Aufgabe zu übernehmen. Hassler will von der Stadtverwaltung aus eine feministische und gendergerechte Politik umsetzen.
Montecinos ist froh darüber, dass der Linke Gabriel Boric die Präsidentschaftswahlen im Dezember vergangenen Jahres gewonnen hat. Sein Gegner José Antonio Kast ist extrem konservativ, frauenfeindlich und homophob. »Eine konservative Regierung kann alle unsere erkämpften Rechte zunichtemachen«, sagt die Aktivistin. »Wenn die neue Verfassung verabschiedet wird, wird sich das ändern. Der Staat wird dazu verpflichtet sein, Politik zu machen, die uns alle miteinbezieht«, sagt Montecinos.
Sie ist Journalistin und setzt sich seit vielen Jahren für die Sichtbarkeit von Lesben in Chile ein. Ein großes Problem für die Verabschiedung der neuen Verfassung sei die starke Medienkonzentration in Chile. Fast alle überregionalen Zeitungen und großen Fernsehsender befinden sich im Besitz von einer kleinen Gruppe von Unternehmen. »Die Medien manipulieren. Man sieht nur negative Schlagzeilen über die neue Verfassung«, sagt Montecinos.
Auch wenn die neue Verfassung verabschiedet werde, werde die Umsetzung viel Zeit und Kraft in Anspruch nehmen. »Ich bin der Meinung, dass alles besser ist als die Verfassung von Pinochet. An der neuen Verfassung können wir noch Veränderungen vornehmen, aber wenn die alte bleibt, dann wäre das furchtbar für uns«, sagt sie.
Kampagne gegen die neue Verfassung
Den letzten Umfragen zufolge würde die Verfassung beim Referendum am 4. September abgelehnt werden. Ein Grund dafür könnten die Falschnachrichten der Rechten sein, die Ängste und Verunsicherung schüren. Mehr als 98 Prozent der vom chilenischen Wahldienst Servel registrierten Spenden für die Wahlkampagnen vor dem Referendum sind von der Kampagne des Rechazo, also gegen die Annahme der neuen Verfassung. Ein Großteil dieses Geldes fließt in bezahlte Anzeigen in sozialen Netzwerken. Dort werden besonders viele Falschinformationen verbreitet. An der Spitze der Spendenliste findet man die Nachnamen von Chiles reichsten Familien und Unternehmer*innen.
Feministische Organisationen machen deshalb unermüdlich Basisarbeit und informieren über die neue Verfassung und die erkämpften Rechte, die sie garantieren würde. Manche gehen von Tür zu Tür, um direkt mit den Menschen zu sprechen, andere verteilen Flugblätter und Verfassungen, ziehen mit Bannern und Plakaten durch die Städte. Die Wahlentscheidung von Frauen und Queers wird ausschlaggebend für das Ergebnis des Referendums am 4. September sein. Denn es sind ihre Rechte, die in der neuen Verfassung verankert werden würden.
Aber auch wenn das neue Grundgesetz angenommen wird, werden sich nicht alle Probleme sofort lösen. Es wartet schon die nächste Herausforderung: die Umsetzung der neuen Verfassung. »Wir als feministische Bewegung haben bereits die Koordinaten definiert. Für die Umsetzung der Verfassung wird es eine politische Debatte geben müssen, zum Beispiel über die Verbindung zwischen dem Sorgesystem und dem sozialen Sicherungssystem«, sagt Alondra Carrillo bei dem Treffen der Coordinadora Feminista 8M in Santiago. »Wir müssen gemeinsam mit anderen Organisationen einen Plan erstellen, um das feministische Programm zu verwirklichen.«
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