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Der komplette Basketballer

Dank Jungstar Franz Wagner hat das deutsche EM-Team eine realistische Titelchance

Keine Angst vor großen Namen: Franz Wagner (r.) traf sogar gegen den weltbesten Verteidiger, Giannis Antetokounmpo.
Keine Angst vor großen Namen: Franz Wagner (r.) traf sogar gegen den weltbesten Verteidiger, Giannis Antetokounmpo.

Angst kennt Franz Wagner keine. Jedenfalls nicht auf dem Basketballfeld. Gleich zweimal stand er am Dienstagabend dem großen Star Giannis Antetokounmpo direkt gegenüber. Experten wie Fans sehen in dem 2,11 Meter großen Griechen mit der Armspanne von 2,21 Metern den aktuell besten Basketballer der Welt, auf jeden Fall den besten Verteidiger. Wagner setzte trotzdem zwei Dreipunktwürfe gegen ihn an – und versenkte beide. Dabei war eine Stunde vor dem EM-Viertelfinale in Berlin noch unklar gewesen, ob der Lokalmatador überhaupt würde spielen können. Doch dann folgten eine irre Wurfshow, Rebounds, Steals, Slam-Dunks und am Ende ein 107:96-Erfolg fürs Team des Deutschen Basketball-Bunds (DBB). Einmal mehr zeigte sich, was für ein Juwel der DBB plötzlich in seinen Reihen hat, mit dem sogar die Chance auf den Titel besteht. Dazu fehlen jetzt nur noch zwei Siege.

Im Achtelfinale war der vergangene Woche 21 Jahre alt gewordene Flügelspieler der Orlando Magic umgeknickt. Drei Tage lang wurde Wagner intensiv behandelt. »Wir hatten sogar Experten von meinem NBA-Team aus Florida hier. Die haben einen super Job gemacht«, freute sich Wagner später, denn als das Sprunggelenk auch beim Einspielen schmerzfrei blieb, war klar, er würde es versuchen. Wie oft bekommt man schon die Gelegenheit, in der Heimat ein EM-Viertelfinale vor ausverkauftem Haus gegen den besten Basketballer der Welt zu spielen.

Wagners erster Dreipunktwurf saß sofort, er war der vierte Deutsche, der einen probierte, und auch der vierte, der einen traf. Nach Wagners zweitem stand es schon 22:11 – ein Traumstart, von Nervosität zumindest äußerlich keine Spur. »Jeder Spieler ist ein bisschen nervös. Aber es ist eine gute Nervosität. Ich bekomme nicht so viele Gelegenheiten, hier in Berlin zu spielen, also versuche ich, jeden Moment zu genießen. Dann kommt das Spiel von ganz alleine zu mir«, sagte Wagner dem »nd« nach der Partie. »Wenn man in dem Moment bleibt, macht alles ein bisschen mehr Spaß.«

Das spaßige Offensivfeuerwerk fand in Halbzeit eins einfach kein Ende, nun jedoch zündeten auch die Griechen ihre Raketen und übernahmen zur Pause sogar erstmals die Führung (61:57). So viele Punkte hatte es in einer EM-Hälfte zuletzt vor 35 Jahren gegeben. Den 14 073 Fans in der Arena am Ostbahnhof wurde also einiges geboten. Doch es war klar: Gewinnen würde das Team, das zum Schluss den eigenen Korb besser verteidigen kann.

Und das war eindeutig das deutsche, erneut angeführt von Wagner. Schon mehrmals hat der 2,08 große Berliner in der EM-Vorrunde mit Defensivaktionen die Fans in der Kölnarena zum Ausrasten gebracht. Nun blockte er auch im eigenen »Wohnzimmer« beim Stand von 62:61 Griechenlands dreimaligen Euroleague-Gewinner Kostas Sloukas. »Die Leute übersehen oft, wie gut Franz verteidigt, besonders gegen kleinere schnelle Spielmacher. Oft lass ich ihn sogar gegen den besten Schützen verteidigen, denn er schafft es mit seiner Schnelligkeit, vor ihnen zu bleiben«, lobte Bundestrainer Gordon Herbert seinen Jungstar. »Franz ist einfach ein kompletter Basketballer.« Wie alle Trainer, die mit Wagner bislang arbeiteten, betont auch der Kanadier gern dessen umgängliche Art: »Franz ist bescheiden, dazu lässt er sich sehr gut coachen. Und trotzdem hat er auf dem Feld einen gewissen Biss.«

Der Block gegen Sloukas war am Dienstag die Initialzündung zum entscheidenden deutschen Zwischenspurt, an dessen Ende es 77:62 stand, inklusive zweier Dreier von Wagner. Sein fünfter und letzter folgte im Schlussviertel, als die Griechen noch einmal auf neun Punkte herangekommen waren – im direkten Duell mit Antetokounmpo. Am Ende sammelt Wagner 19 Punkte ein, noch einmal drei mehr als sein EM-Schnitt. »Franz ist unglaublich: 21 Jahre jung, und er spielt mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er schon seit 15 Jahren in der NBA«, freute sich Center Johannes Thiemann. »Franz ist schon jetzt einer unserer Leistungsträger. Das ist wirklich beeindruckend.«

Dabei ist Wagner erst ein Jahr lang in der NBA aktiv. Schon mit 16 spielte er für Alba Berlin in der Bundesliga. 15 Monate später wechselte er im Sommer 2018 ans College in die USA und schlug dabei das Angebot eines Profivertrags von Alba aus. Auch in Michigan blieb er nur zwei der üblichen vier Studienjahre, denn sein Talent hatten nun auch die Scouts der NBA entdeckt. Im Mai 2021 wurde er von den Orlando Magic verpflichtet – kein Team, das um die Meisterschaft spielt, doch das war perfekt für Wagner. Statt auf der Bank zu versauern, bekam er in Florida viel Spielzeit, um sich weiterzuentwickeln und sein Repertoire fast täglich an den Besten der Welt zu messen. Davon profitiert nun der DBB, für den Wagner in diesem Sommer zum ersten Mal überhaupt spielt.

Spielmacher Maodo Lô, wie Wagner ein geborener Berliner, kommt aus dem Staunen über seinen acht Jahre jüngeren Kollegen kaum noch heraus. »Was mich so beeindruckt, ist die Reife, mit der Franz schon spielt. Da ist eine gewisse Ruhe in seinem Spiel. Er hat Vertrauen in seine Fähigkeiten. Natürlich ist er körperlich gesegnet mit seiner Größe und Beweglichkeit. Aber er hat auch einen hohen Basketball-IQ und viele Fähigkeiten erlernt: Er kann gut werfen, dribbeln und passen. Er hat alles drauf, was man in diesem Sport benötigt«, so Lô. Hinzu käme eine außergewöhnliche mentale Stärke. Tatsächlich lässt sich Wagner nie einschüchtern, spielt mit einer gesunden Aggressivität, reißt zudem die Fans mit großen Gesten mit. Und als Lô noch kurz über weitere Segnungen in Wagners Spiel nachdenkt, fängt er plötzlich an zu lächen: »Auf gewisse Weise sind auch wir jetzt gesegnet, ihn in unserem Team zu haben. Er ist einfach ein toller Mensch, und ich bin glücklich, sein Teamkamerad zu sein.«

Das Viertelfinale von Berlin war das beste Spiel einer deutschen Basketball-Nationalmannschaft seit dem EM-Halbfinalsieg gegen Spanien 2005, damals noch mit dem überragenden Dirk Nowitzki. Auch an diesem Freitag kann sich das DBB-Team nun mit einem Sieg gegen die Iberer eine Medaille sichern. Der Unterschied zu damals: Die Deutschen sind dank ihrer nun viel größeren Ausgeglichenheit sogar leichter Favorit. »Wir sind hergekommen, um unser Potenzial voll auszuschöpfen«, sagte Wagner kurz vor Mitternacht. Mit ihm scheint jenes Potenzial im DBB-Team kaum noch Grenzen zu kennen.

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