- Politik
- Linke Proteste
Funke springt noch nicht über
Das Interesse an den Sozialprotesten der Berliner Linkspartei bleibt überschaubar
Die Linke als Protestpartei, so will sie in diesen Tagen wieder erscheinen. Am Samstag organisierte die Partei ihren ersten bundesweiten Aktionstag gegen die hohen Preise in Folge des Krieges in der Ukraine. »Die Linke lässt die Menschen in diesen schweren Zeiten nicht allein, sondern steht an ihrer Seite und kämpft mit ihnen gemeinsam dafür, dass die Bundesregierung dem Preiswahnsinn endlich Einhalt gebietet, statt Konzerne auf Kosten der Bevölkerung zu verhätscheln«, erklärte der Bundesvorsitzende Martin Schirdewan, der auf Kundgebungen in Halle und Naumburg an der Saale sprach.
In Berlin organisierte die Linkspartei Protestaktionen an mehreren Orten, darunter im Wedding, in Treptow und Neukölln. Die Zahl der Teilnehmer*innen war allerdings überall eher bescheiden. Im Wedding und in Neukölln waren zirka 60 bis 70 Personen gekommen. »Wir haben unsere Mitglieder erreicht«, beginnt Carla Assmann von der Linken Neukölln mit den positiven Aspekten der Kundgebung. Jene Menschen, die unter den hohen Preisen leiden, aber nicht politisch organisiert sind, waren dagegen kaum vertreten.
Seit Wochen wird über den »heißen Herbst« geredet, der in Deutschland anstehe. In Berlin hatten unterschiedliche außerparlamentarische linke Bündnisse mit Protestkundgebungen vor den Bundeszentralen von FDP und Grünen den Anspruch erhoben, den »heißen Herbst« bereits gestartet zu haben. Auch in Leipzig und Erfurt hatte es Proteste gegeben, die Linke war jeweils mit Bundesprominenz wie beispielsweise Gregor Gysi und Bodo Ramelow vor Ort. Doch die Teilnehmer*innenzahlen vom Samstag zeigen: Der Funke ist noch nicht übergesprungen.
Diese Erfahrung machte auch die Weddinger Linkspartei bei ihrer Kundgebung am Leopoldplatz. Landeschefin Katina Schubert kritisiert, dass die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung nicht ausreichen. »Vor allem Transferleistungsbeziehende und Menschen mit niedrigem bis mittlerem Einkommen bleiben auf der Strecke, aber gerade sie brauchen zielgerichtete, spürbare Entlastungen und Hilfen. Es kann doch nicht sein, dass Konzerne mit der Krise horrende Gewinne einstreichen und die Menschen dafür die Zeche zahlen sollen«, erklärt sie unter Applaus und warnt vor einer massiven Verarmungswelle, die es zu verhindern gilt. Die Bundesregierung müsse an die Krisenprofiteure ran und beispielsweise eine ernsthafte Übergewinnsteuer einführen. Schubert betont die Verantwortung, die die Linke als Regierungspartei in Berlin hat. Sie müsse dafür sorgen, dass Menschen mit geringem Einkommen im Winter nicht entscheiden müssen, ob sie die Heizung aufdrehen oder Essen kaufen.
»Miete, Heizen, Strom und Lebensmittel müssen für alle bezahlbar sein«, betont ein Vertreter der Stadtteilinitiative »Hände weg vom Wedding«, die seit mehr als zehn Jahren Mieter*innen und Menschen mit geringem Einkommen organisiert. Sie plädiert für ein Ende der Gasumlage, die Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sowie die Vergesellschaftung der Energiewirtschaft als auch des Gesundheits- und Sozialwesens. Die Initiative »DW Enteignen« fordert, dass der von einer großen Mehrheit der Berliner*innen unterstützte Volksentscheid endlich umgesetzt wird. Auch Redner*innen der Gewerkschaften Verdi und IG Metall kommen mit kurzen Beiträgen zu Wort. Neben unterschiedlichen Reden serviert die Linkspartei im Wedding auch Essen. »Eigentlich wollten wir damit eine bessere Gesprächsatmosphäre schaffen, aber wir haben schnell gemerkt, dass da Menschen kamen, die auf ein solches Essen angewiesen sind«, erklärt der Linken-Politiker Tobias Schulze.
Man habe deutlich gemacht, dass man die Sozialproteste nicht den Rechten überlassen werde. Die haben sich auf den Kundgebungen auch nicht blicken lassen. Es sei zudem klar gewesen, dass es auf den Veranstaltungen weder verschwörungstheoretische noch putin-freundliche Beiträge geben werde, betont Schulze.
Für den Berliner Abgeordneten ist noch offen, wie es mit den von der Linkspartei organisierten Protesten weitergeht. Darüber soll in der nächsten Woche beraten werden. Die Neuköllner Linke ruft dagegen für den 1. Oktober bereits zu einer weiteren Kundgebung auf. Dort will sie nicht nur gegen hohe Preise, sondern auch Militarismus und Krieg protestieren. »Wir verurteilen den russischen Angriff auf die Ukraine, aber wir lehnen auch die weitere Aufrüstung der Nato ab«, betont Carla Assmann. Im Wedding wird es am 8. Oktober unter dem Motto »Preise runter« eine Stadtteildemonstration vom Bündnis »Hände weg vom Wedding« geben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.