Wo die armen Alten wohnen

In der Schweiz wird am Sonntag über ein sogenanntes Rentensicherungspaket abgestimmt. Bei einer Mehrheit dafür würden arme Frauen verlieren

  • Florian Sieber
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch in der Schweiz ist Altersarmut sehr oft weiblich. Dennoch wird am Sonntag über eine Vorlage des Bundes abgestimmt, bei der vor allem die Frauen für die Sanierung des Rentenwesens aufkommen sollen. Mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters der Frauen von 64 auf 65 Jahre und damit einer Angleichung an das der Männer sollen Milliardenbeträge gespart werden. Eine frühere Vorlage war 2017 gescheitert.

Die neue krankt dabei immer noch an denselben Problemen wie die vorige, unter anderem daran, dass über mehrere Maßnahmen zusammen abgestimmt werden muss. So soll gleichzeitig zwecks Finanzierung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) trotz der aktuellen Teuerungskrise die Mehrwertsteuer angehoben werden, und zwar von 7,7 auf 8,1 Prozent. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz, der etwa für Lebensmittel gilt, soll von 2,5 auf 2,6 Prozent erhöht werden. Beides zusammen, also die Anhebung des Renteneintrittalters der Frauen und die Mehrwertsteuererhöhung, sollen die AHV für die nächsten zehn Jahre um 17 Milliarden Schweizer Franken (17,8 Milliarden Euro) entlasten.

Trotz der Verknüpfung mehrerer Maßnahmen stehen die Chancen für die Annahme des Gesamtpakets in der Volksabstimmung am Sonntag gut. Einer aktuellen Umfrage zufolge unterstützen es 55 Prozent der Bürger*innen, 44 Prozent lehnen sie ab. Allerdings lehnen 58 Prozent der Frauen die Vorlage ab, während nur 29 Prozent der Männer dagegen votieren wollen.

Als »arm im Alter« gilt in der Schweiz offiziell, wer neben der Rente noch weitere Unterstützung benötigt, um über die Runden zu kommen. Aktuell betrifft das 17 Prozent der Rentner*innen. In den letzten Jahren stieg dieser Anteil dabei um ein bis zwei Prozent pro Jahr.

Wie in anderen Industrieländern ist dieser Wert auch in der Schweiz vermutlich noch zu niedrig angesetzt. In einer OECD-Studie zu Einkommensarmut im Alter im Jahr 2015 hielt die Schweiz den europäischen Negativrekord: Fast jede*r Vierte*r war im Alter von Einkommensarmut betroffen. Ob Menschen im Alter zu niedrige regelmäßige Einkünfte wegstecken können, hängt dabei von verfügbaren Ersparnissen ab. Da sieht es, glaubt man einer Studie des Schweizer Bundesamts für Statistik von 2020, gar nicht so übel aus.

Addiert man aber die Werte jener Gruppen, die im Alter über kaum oder keine Mittel für unvorhergesehene Ausgaben verfügen, kommt man auf insgesamt 35,6 Prozent der Rentner*innen, die neben ihren zu geringen Altersbezügen auch keine Ersparnisse haben. Dabei bedeutet eine plötzliche Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, dass innerhalb von Monaten Ersparnisse von Hunderttausenden Franken aufgefressen werden. Die Altersarmut betrifft dabei viel mehr Frauen als Männer.

Dass Frauen in der Schweiz im Alter so viel schlechter dastehen, liegt an den hohen Lebenshaltungskosten, an der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern und am Rentensystem: Die AHV soll als erste Säule über ein Umlageverfahren über Beiträge von Berufstätigen die unmittelbaren Lebensbedürfnisse sichern. Die Bezüge aus der AHV wurden aber seit ihrer Einführung nicht nennenswert erhöht und die aktuell geltende Mindestrente von 1195 Franken (1244 Euro) liegt weit unter der anhand der Lebenshaltungskosten ermittelten Armutsgrenze von 2279 Franken (2371 Euro) pro Monat.

Für viele Frauen ist die AHV-Rente das einzige nennenswerte Einkommen im Alter. Aus der zweiten Säule, den Pensionskassen (die Beiträge der Arbeiter*innen investieren und über Renditen die Rentenbeiträge finanzieren), erhalten sie viel seltener Geld, wie die Ökonomin Nora Meili im Schweizer Fernsehen bestätigte: »Da Frauen nicht gleich viel Erwerbsarbeit leisten wie Männer und auch nicht gleich viel verdienen, erhalten sie eine bedeutend tiefere Rente. Im Schnitt verfügen sie über 67 Prozent weniger Einkommen aus der Pensionskasse als Männer.«

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