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Das Schunkeln ist vorbei
Mit neuem Album sind die alten Sterne wieder da
Nach dem Ausstieg von Bassist Thomas Wenzel und Drummer Christoph Leich im Jahr 2018 hatten viele langjährige Fans das Projekt Die Sterne wohl insgeheim abgeschrieben. Alles, was jetzt noch kommen würde, so die verbreitete Annahme, wäre nur noch museale Selbstverwaltung auf dem Weg in den Ruhestand. Doch Sänger und Gitarrist Frank Spilker ließ sich nicht beirren, scharte eine Reihe neuer Musiker*innen um sich, mit deren Hilfe nun das bereits zweite Album der neuen Sterne-Ära erscheint. Und nach Jahren, in denen die Band mit ihren Outputs nur noch ein wohlig-gemütliches Schunkeln auszulösen vermochte, weiß das neue Album »Hallo Euphoria« plötzlich wieder zu begeistern.
Das liegt gar nicht so sehr daran, dass Die Sterne sich auf dem neuen Album neu erfunden hätten, wie dieser Tage zuweilen kolportiert wird. Zwar gibt es einige wenige musikalische Experimente – etwa die Streicher-Arrangements im Opener »Stellt mir einen Clown zur Seite« –, die in dieser Form ein Novum im Sterne-Kosmos darstellen. Doch alles in allem ist »Hallo Euphoria« ein klassisches Sterne-Album: ein gleichermaßen funky wie melodischer Bass, eine schlanke wie filigrane Orgel, Schlagzeug und Gitarre, die sich angenehm im Hintergrund halten, und dazu Spilkers unverkennbare Stimme mit Texten, die sich zwar theoretisch gut auf Häuserfassaden machen würden, dafür aber eigentlich viel zu schlau sind.
Es ist also alles beim Alten bei Die Sterne – und doch hat man diese Energie und Spielfreude in solch geballter Form seit mindestens 15 Jahren auf keinem Sterne-Album mehr erlebt. Keines der Stücke lädt zum Skippen ein, wenngleich es natürlich wieder einige Hits gibt, die besonders herausragen: Gleich der bereits angesprochene Opener mit seinem treibenden Beat gehört dazu, ebenso wie das poppige »Alles was ich will«, das einen würdigen Nachfolger für den Überraschungshit »Du musst gar nix« des vorangegangenen Albums abgeben würde. Auch das zurückgenommene, traurige »Niemand kommt unschuldig raus« lädt zum Abspeichern in der Sterne-Playlist ein.
Textlich dreht sich ein Großteil der Songs auf »Hallo Euphoria« um die Verstrickungen des einzelnen Individuums in übermächtigen Strukturen und die Kulturpraxis der Sühne. Spilker betrachtet die heute so weit verbreiteten Formen der individuellen Kompensation jedoch äußerst kritisch: Hier mal ein bisschen Biogemüse gekauft, dort auf den siebten Flug des Jahres verzichtet, und als Zeichen der besonderen Awareness werden die Brötchen morgens beim Bäcker neuerdings mit dem Elektrorad abgeholt.
All dies kann jedoch nicht von der kollektiven Verantwortung befreien, so Spilker vor Kurzem im Podcast »Rebecca räumt auf« – zumal sich die meisten Formen des individuell-ökosozialen Ablasshandels ohnehin nur die Besserbetuchten der Gesellschaft leisten können. Bei all dem beißenden Spott am gegenwärtigen Zeitgeist nimmt er – und das macht die Sache am Ende besonders sympathisch und rund – seine eigenen Kompensationsstrategien jedoch nicht aus. So besingt er in der Vorabsingle »Spilker immer mittendrin« seine blinden Flecken und die kleinen Fallen des Alltags, in die man doch bei allem Bewusstsein immer wieder tappt: Kapitalismus? »Warum nicht«. Umweltzerstörung? »Ich bin alt, mich kriegt ihr nicht«. Revolution? »Es wird schon werden«.
Für Apathie aber sind Die Sterne immer noch zu humorvoll, selbstironisch und im Kern auch zu politisch. Vielmehr laden die Texte ein zum Philosophieren und Gedankenverknoten auf der Tanzfläche – die Zeit des Schunkelns scheint also vorbei. Hurra, Die Sterne sind zurück!
Die Sterne: »Hallo Euphoria« (Pias)
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