»Gib immer nach!«

Pete Dohertys Drogenzeiten liegen hinter ihm – ein Glück, denn so kann man ihn in einer Berliner Ausstellung als bildenden Künstler kennenlernen

  • Kristof Schreuf
  • Lesedauer: 4 Min.

Peter »Pete« Doherty ist ein 43-jähriger, englischer Kreativling, der mit seinen Talenten um sich schmeißt. Bevor er begann, seine Bilder auszustellen, wurde er als Sänger und Gitarrist der Libertines berühmt. Dabei hat ihn Musikmachen zunächst gar nicht so fasziniert. Doch die Aussicht, eine Mitschülerin mit einer Gitarre zu beeindrucken, ließ den damals Elfjährigen seine ersten Akkorde lernen. Ähnliche Gründe spornten ihn bald darauf an, Verse zu schreiben. Prompt gewann er einen Poesiewettbewerb, der ihm eine Reise durch Russland und Begegnungen mit anderen Dichtern einbrachte. Der Schulzeit schloss sich eine bohemische Biografie an. Dazu gehört auch ein Nebenjob als Totengräber, welcher Doherty viel Gelegenheit bot, auf Grabsteinen Platz zu nehmen und dort zu lesen, zu schreiben und zu zeichnen.

Mit 18 lernte er Carl Barat kennen, der mit Dohertys älterer Schwester an der Universität von London studierte. Die beiden jungen Männer gründeten die Libertines, ein Quartett, welches Anfang der 2000er Jahre so klang wie eine hinreißende Garagenband aus den 60ern. Nach ein paar Minuten im Proberaum lag ihnen das Publikum zu Füßen. Die Kritiker verkündeten die Zukunft des Rock’n’Roll und für Doherty sah alles glänzend aus. Dabei hätte es sogar noch besser für ihn laufen können, wenn er sich nicht dazu entschieden hätte, ein notorisches Rockstarleben zu leben. So erregte Doherty in den folgenden Jahren zwar weiter Aufmerksamkeit in den Medien, aber die Veröffentlichungen der Libertines und weiterer seiner Bands lieferten höchstens noch den Anlass dazu. Viel lieber stürzten sich Berichterstatter auf Dohertys Hang zu harten Drogen, auf seine Bereitschaft, diese sogar vor einer Kamera zu konsumieren und seine On-off-Beziehung mit Kate Moss.

Zu den wenigen Menschen, welche sich dagegen schon früh für Dohertys Produktionen als bildender Künstler interessieren, gehört die Berliner Galeristin Janine Bean. »Man merkte Peter sofort an, dass die Kunst wie ein breiter Strom durch ihn durchfließt«, sagt Bean über ihren ersten Eindruck von Doherty. Dass der Gedanke, dessen Bilder zu zeigen, sich trotzdem nicht gleich umsetzen ließ, ist kein Zufall: »Erstmal ging das nicht, weil Peter, salopp gesagt, noch drauf war.«

Erst seit Doherty geheiratet, seinen Manager gewechselt, seinen Wohnsitz in ein Dorf in der Normandie verlegt und Ende der 2010er Jahre mit dem Drogenkonsum aufgehört hat, ist wieder Organisation möglich. Termine müssen nicht mehr platzen, Vernissagen können in Anwesenheit des Künstlers stattfinden. Allerdings wittern Drogendealer beim Hinweis auf Dohertys Auftauchen nach wie vor eine Chance auf einen Geschäftsabschluss mit ihm – oder mit jemandem aus seiner jeweiligen Umgebung: »Peter war gerade mal in unserer Galerie angekommen«, sagt Bean, »da tauchten schon ein paar zielstrebige Nachteulen auf, die meinen jugendlichen Sohn auf der Toilette fragten, ob er Ketamin kaufen wolle.«

Die Jahre mit den Substanzen liegen nun hinter Doherty, deshalb können sie der Ausstellung »Contain yourself (seriously)« eins ihrer Themen liefern. Es zeigt sich unter anderem in der mit Dohertys heroinversetztem Blut gemalten englischen Flagge. In gezeichneten Spritzen. In Löffeln, die zum Aufkochen des Rauschgifts benötigt werden. Nicht zuletzt dokumentiert Doherty seine Vergangenheit mit Totenschädeln, die einmal den Titel »Always succumb« tragen und ein anderes Mal »It’s a mortal sin« heißen.

Dass Doherty Zeiten erlebte, in denen es darum ging, »immer nachzugeben«, wenn er sich eine weitere, lebensgefährliche »Todsünde« in eine Vene drückte, mag Betrachtende auf den ersten Blick betroffen zurücklassen. Auf den zweiten Blick aber lässt sich erkennen, dass Dohertys Bilder weder als Mahnung oder Warnung noch als glamourös morbide Feier der Wirkung von Schlafmohn gedacht sind. Vielmehr zeigt sich hier eine grundsätzliche Haltung: Einer hält es nicht für nötig – und sei es um den Preis der Entfremdung vom gesamten Freundeskreis, der zwischenzeitlichen Auflösung seiner Bands und der folgenden fast vollständigen Skandalnudelisierung –, auf etwas zu verzichten. Weder auf das Glück, Collagen, Bilder aus Acryl- und Pigmentfarben sowie Zeichnungen mit Kohle und Bleistift zu schaffen noch, auf die kühle Entschlossenheit, sich psychisch und körperlich selbst zu zerstören.

Die Ausstellung »Contain yourself (seriously)« ist auch deshalb gelungen, weil sie Hinweise gibt, wie sich Doherty mit einer geradezu jungenhaften Begeisterung für Künstlertum retten konnte. Diese Begeisterung zeigt sich etwa in den auf Tischen abgestellten Olympia-Schreibmaschinen, in den mit ihnen geschriebenen Texten an den Wänden und an einem Phonografen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, aus dessen Lautsprecher Doherty die Wandtexte vorliest. Alles sieht aus, als wäre es gerade so hinterlassen worden. Der Künstler kommt gleich wieder.

Peter Doherty – »Contain yourself (seriously)«, bis zum 31. Dezember, janinebeangallery, Berlin

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