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Ein Fiebermärchen
Klassiker ohne Trost: Karin Henkel zeigt »Macbeth« am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg
Klar, Shakespeare geht immer. Und zu behaupten, sein »Macbeth« würde auf deutschen Bühnen vernachlässigt, wäre natürlich auch Unfug. Die regelrechte »Macbeth«-Schwemme, die derzeit auf deutschen Bühnen zu erleben ist, sticht dann allerdings doch ins Auge: In Dresden und Wuppertal, Esslingen und München, Ludwigshafen und Hamburg steht der Klassiker in dieser Saison in neuen Inszenierungen auf dem Spielplan der Schauspielhäuser. Dazu wäre noch eine ganze Reihe von Premieren der gleichnamigen Verdi-Oper zu zählen. Kann das denn noch ein Zufall sein?
Ein Schelm, wer dabei an Putin denkt – denn so tagesaktuell werden Spielpläne ja dann doch nicht geschrieben. »Macbeth« dürfte vielmehr schon deswegen so etwas wie das Stück der Stunde sein, weil der Ruf nach starken Männern fraglos Konjunktur hat. Wobei allerdings schwer zu entscheiden ist, ob das einfach nur mal wieder so ist – oder nicht doch eher eine unschöne Konstante darstellt. Die sich im Übrigen keineswegs nur mit Blick auf autokratische Tendenzen in aller Welt notieren ließe. Auch in lupenreinen Demokratien wird Zögerlichkeit bei Entscheidungsträgern eher kritisiert, Führungs- und Entscheidungsstärke umso mehr gelobt. Wo es um Macht geht, darf man eben einfach nicht zimperlich sein. Dabei ist egal, ob es um die Spitzenposten im Staat oder um die Konkurrenz der Staaten untereinander geht. Und deren Ultima Ratio ist nun einmal: Gewalt.
Immerhin: Als die Spielpläne für die neue Saison geschrieben wurden, mag noch kein Gedanke an einen Krieg mitten in Europa gewesen sein. In den Proben zu den aktuellen und in nächster Zeit anstehenden »Macbeth«-Inszenierungen dürfte derweil kaum ein Vorbeikommen gewesen sein an dem Gedanken, wie sich der ewige Klassiker zum Tagesgeschehen verhält.
Die Regisseurin Karin Henkel, regelmäßig mit Arbeiten am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zu sehen, hat am Mittwoch ihre Fassung des Stoffs in Hamburg vorgestellt. Zu aufdringlichen Aktualisierungen oder moralischen Zeigefingerspielen hat sie sich zumindest nicht hinreißen lassen. Mit ihrem Dramaturgen Roland Koberg destillierte sie aus dem Shakespeare-Klassiker eine straffe, nicht einmal zweieinhalbstündige Fassung, die Macbeth als krankhaft Getriebenen porträtiert, ohne sich indes Assoziationen zum Tagesgeschehen ganz und gar zu verweigern. So setzt der frischgebackene König von Schottland in seiner Antrittsrede zuförderst die »Sicherheitsbelange unseres Landes« auf die politische Tagesordnung.
Der Raum, in dem Aufstieg und Fall des Macbeth spielt (Bühne: Katrin Brack), ist schwarz, kahl, abschüssig, später wallt ein Wald aus weißen Girlanden herab, und auch die Kostüme (Adriana Braga Peretzki) bringen weder Farbe noch historisches Kolorit ins Spiel – ein zeitloser Albtraum-Raum. Macbeth allerdings sieht von Anfang an, da ist er noch ganz nackt und allein auf der großen Bühne, überall schon Blut und Geister. Die Gesellschaft, die er bereits bald bekommt, scheint nicht sonderlich geeignet, ihn auf den Boden der Vernunft zurückzuholen: Wie einem japanischen Horrorfilm entsprungen, entert eine uniform, natürlich in Schwarz-Weiß gekleidete Kinderschar mit ebenso uniformen Perücken die Bühne und feiert den noch Ahnungslosen als König von Schottland. »Das war in der Zukunft«, orakelt der Chor. »Wir haben es in der Schule gelesen«. Die Welt, sie ist aus den Fugen. Und wenn es nur im Kopf des Macbeth ist – so ganz sicher dürfen wir uns an diesem Abend in dieser Hinsicht nie sein.
Was kommen muss, deutet sich schon sehr früh an, als Macbeth an einem Stuhl herumsägt, erst ein Bein kürzt, dann das nächste und nacheinander auch noch die übrigen. Ganz so, wie er später vergeblich versuchen wird, durch immer neue Morde, auch die mitunter mit der Säge verübt, seiner Macht eine stabile Grundlage zu geben. Bekanntlich gibt Macbeth der Einflüsterung, er werde König von Schottland sein, schnell nach und tötet König Duncan. Angefeuert wird er dabei vom Chor der Kinder und zwei Frauenfiguren, die – in gleichen Teilen Lady Macbeth und Hexe – ihm Zuckerbrot und Peitsche geben. »Stop competing for the sad-fuck-part«, herrscht ihn Kate Strong, eine der beiden Frauen, an: Hör auf, der traurige Verlierer sein zu wollen. Skrupel kennt Macbeth dann bald auch keine mehr, der Wahn hat ihn fest im Griff – was Kristof Van Boven virtuos mit fragiler Körperlichkeit und grotesker Komik spielt, im weiten Feld zwischen Klaus Kinski und Horst Schlämmer.
Zwischen blutigem Splatter und grimmigem Witz schillert die Inszenierung, die immerhin noch Platz für eine ganz klassische Betrunkenennummer bietet, in der Jan-Peter Kampwirth, in diesem »Macbeth« auch als Malcolm zu sehen, als Nachtwächter glänzt. Überhaupt ist das mit sechs Personen bemerkenswert reduzierte Ensemble durch die Bank das Anschauen wert: Bei Michael Weber und Lars Rudolph sind die übrigen Herrenrollen in besten Händen, Kate Strong und Angelika Richter verschmelzen Lady Macbeth und die berühmten Hexen wie bereits angedeutet zu einem glanzvoll infernalen Duo. Und der Kinderchor tupft immer wieder schrecklich schöne Pointen hin, wenn er zum Beispiel nach Duncans Tod das »Ding, dong«-Lied von der toten Hexe aus dem »Zauberer von Oz« anstimmt.
Bei aller Freiheit im Umgang mit Shakespeare, die sich Henkel und Koberg genommen haben: Den Kampf um die Macht muss Macbeth natürlich auch hier verlieren, der Wald von Birnam kann eben doch auf Dunsinane marschieren. In Hamburg tut er das allerdings in Form ein paar herbstlicher Blätter, angetrieben von einem Laubbläser. Was Macbeth möglicherweise doch noch aus seinem Blutrausch erwachen lässt: Zumindest ist er am Ende gar nicht tot, sondern trottet mit den Worten »Ja … Schluss« ganz verloren von der Bühne. Eine mitleiderregende Gestalt.
Steckt in diesem so ganz und gar unpathetischen Ende also gar ein Fünkchen Hoffnung? Nämlich auf Ernüchterung – und damit auf ein Ende dieses blutigen Gewaltreigens? Wir dürfen leider daran zweifeln. Kurz zuvor nämlich durften wir schon einen Blick in die Zukunft erhaschen: Malcolm, der als Duncans Sohn der rechtmäßige Thronfolger ist, gesteht Macduff seine Wollust und Gier ebenso umstandslos wie die völlige Abwesenheit etwaiger charakterlicher Stärken. Nein, es steckt doch wenig Trost in diesem »Macbeth«, der zugleich ein formal spannender, stilistisch origineller, handwerklich brillanter und obendrein auch noch unterhaltsamer Theaterabend.
So ganz lässt es einem dann aber doch keine Ruhe: Kommt man solch einem grausamen Herrscher denn wirklich auf die Schliche, indem man ihn pathologisiert, als Irren beschreibt? Derlei Deutungen stehen schließlich gerade auch im Zusammenhang mit der aktuellen Weltlage hoch im Kurs. Henkels »Macbeth« erschöpft sich zum Glück nicht darin. Ihr »Macbeth« weiß zugleich so einiges über das Wesen von Machtkämpfen mitzuteilen, und damit über Konkurrenz ganz grundsätzlich, nicht nur im politischen Sinne. Bei aller Straffung und Fokussierung auf den Wahn ihrer Hauptfigur einerseits, bleibt andererseits die brutale Eigendynamik sichtbar, die den Keim der Eskalation stets in sich trägt – und damit vielleicht sogar den des Wahnsinns selbst.
Nächste Vorstellungen: 13.10., 12.11., 20.12.
www.schauspielhaus.de
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