Erwachen in der Umweltbewegung

Unter Aktivisten wächst die Kritik an den Entscheidungen der Grünen zu Kernenergie und Kohleverstromung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kompromisse, welche die Grünen in der Koalition mit SPD und FDP eingehen, führen zu Konflikten mit Teilen der Klima- und Umweltbewegung. Die Initiative »Alle Dörfer bleiben« hat für den Beginn des Bundesparteitags in Bonn am Freitagnachmittag eine Protestaktion vor dem World Conference Center angekündigt, wo das Treffen der Grünen stattfindet. Mit dabei sollen auch Ausgestrahlt, Ortsgruppen von Fridays For Future, der BUND, Greenpeace und viele weitere Initiativen sein. Sie kritisieren die Atomenergie- und Kohlepolitik der rot-grün-gelben Koalition.

Denn obwohl der Ausstieg aus der Kernenergie eigentlich zum Ende dieses Jahres abgeschlossen sein sollte, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im September erklärt, dass zwei von drei noch laufenden Kernkraftwerken in Deutschland für den Notfall bereitgehalten werden. Das bedeutet, dass sie über die geplante Abschaltung zum Jahresende hinaus in Betrieb bleiben. Dabei handelt es sich um die Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2. Sie werden nach den Worten des Grünen-Ministers bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, »um falls nötig über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland zu leisten«. Hintergrund ist die Energiekrise seit dem Krieg in der Ukraine. Die westlichen Staaten haben Sanktionen gegen Russland verhängt und die russischen Energielieferungen nach Deutschland sind drastisch gesunken.

Nicht nur in den Umweltorganisationen ist die Sorge groß, dass die Bundesregierung vor diesem Hintergrund auf atomare und fossile Energieträger setzt. Zu diesem Thema liegen auch einige Anträge von Mitgliedern aus der Basis für den Bundesparteitag vor. So fordert etwa der Berliner Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg die Bundesregierung, insbesondere die Grünen-Fraktion und Robert Habeck dazu auf, am Koalitionsvertrag und somit am geplanten Atomausstieg festzuhalten. »Es geht den Befürworter*innen einer als Streckbetrieb getarnten Laufzeitverlängerung nicht um die sichere oder gar die günstige Versorgung mit Energie, sondern ausschließlich darum, vermeintliche Lebenslügen der Grünen aufzuzeigen und die Energiewende als Ganzes in Frage zu stellen«, kritisieren die Antragsteller. Sie verweisen unter anderem darauf, dass »Atomkraft eine unberechenbare Hochrisiko-Technik ist und für die Energieversorgung mit einem Anteil von etwa einem Prozent am Endenergieverbrauch weder kurz- noch mittelfristig eine wesentliche Rolle spielt«. Stattdessen müsse die Energiewende schneller als bisher vorangetrieben werden.

Auch wegen der Kohlepolitik der Grünen steht Ärger ins Haus. In einem weiteren Antrag wird die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministeriums, der Bundesregierung, des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums und der dortigen Landesregierung bedauert, das Dorf Lützerath abzubaggern. Es hat im Kampf gegen die Kohleverstromung in Nordrhein-Westfalen eine große symbolische Bedeutung. Der Widerstand vor Ort ist groß und man muss davon ausgehen, dass er von der Polizei im Auftrag der schwarz-grünen Landesregierung gebrochen werden soll.

Aus der Basis der Grünen wird die Forderung erhoben, erneut in Verhandlungen mit dem Energiekonzern RWE zu treten, um die Vereinbarung rückgängig zu machen beziehungsweise erneut zu verhandeln. Zwar loben die Antragsteller, dass ihre Parteikollegen Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur den Kohleausstiegstermin 2030 mit RWE verhandelt haben. Allerdings hätten wissenschaftliche Berechnungen ergeben, dass die Energieversorgung auch ohne Kohle unter Lützerath gesichert ist. Es gebe also keinen Grund für die Abbagerung des Dorfes.

Mit diesen Fakten werden sich die Spitzenpolitiker der Grünen wohl nicht nur in der Parteitagshalle auseinandersetzen müssen, wenn über die Regierungspolitik der Partei und die Anträge diskutiert wird. Auch die Umweltaktivisten werden bei ihrer Protestaktion am Freitagnachmittag vor dem Bonner World Conference Center für den Erhalt von Lützerath trommeln.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -