»Eine Partei ist kein Selbstzweck«

Die Menschenrechtsaktivistin Margarita Salas Guzmán über den konservativen Rückschlag in Costa Rica

  • René Thannhäuser
  • Lesedauer: 7 Min.
Margarita Salas Guzmán ist Menschenrechtsaktivistin und Vorsitzende der feministischen Partei "Vamos" in Costa Rica.
Margarita Salas Guzmán ist Menschenrechtsaktivistin und Vorsitzende der feministischen Partei "Vamos" in Costa Rica.

Im Frühjahr wurde Rodrigo Chaves zum neuen Präsidenten Costa Ricas gewählt. Mit welchem Gefühl legten Sie sich an diesem Tag schlafen?

Interview

Margarita Salas Guzmán ist Menschenrechtsaktivistin aus Costa Rica. Seit vielen Jahren ist sie in den sozialen Bewegungen des zentralamerikanischen Landes aktiv und gründete 2016 die progressiv-feministische Partei Vamos. Ab Juni 2020 war sie unter Präsident Carlos Alvarado bis zu ihrem Rücktritt für elf Monate die Regierungsbeauftragte für LGBTIQ-Angelegenheiten.

Mit großer Besorgnis. Rodrigo Chaves wurde als Kandidat des Partido Progreso Social Democrático (PPSD) gewählt, einer Partei, die wir in Costa Rica »Taxi-Partei« nennen. Das ist ein Wahlverein, der vor den Wahlen praktisch nicht aktiv war und über keinerlei Programmatik verfügte. Chaves trat dieser Partei erst kurz vor den Wahlen bei. Es war also unklar, was für eine konkrete Politik von ihm zu erwarten sei. Hinzu kommt, dass Chaves nach internen Ermittlungen während seiner Zeit als Angestellter der Weltbank, für die er 27 Jahre lang arbeitete, der sexuellen Belästigung für schuldig befunden und zwangsversetzt wurde. Seine Wahlkampagne drehte sich darum, dieses Thema kleinzureden und war durch und durch machistisch. Es ist also kein Zufall, dass Chaves im Wahlkampf mit evangelikalen und konservativen Sektoren paktierte und diesen versprach, die »Gender-Ideologie« zu bekämpfen.

Seit mehr als einem halben Jahr ist Chaves Präsident Costa Ricas. Wie sieht Ihr Zwischenfazit aus?

Es ist schlimmer gekommen, als ich befürchtet hatte. Die Regierung zeigt ein klar autoritäres Politikverständnis und verfolgt eine populistische Strategie wie aus dem Lehrbuch. Chaves hat seine Attacken gegen die Medien im Präsidentenamt fortgeführt und beschimpft Journalist*innen als »Gesindel und Ratten«, was in Costa Rica früher unvorstellbar war. Gleichzeitig delegitimieren Regierungsmitglieder das Parlament und die Justiz, während Fraktionsmitglieder der PPSD fordern, dass dem Präsidenten zugestanden werden müsse, Probleme direkt per Dekret zu lösen, weil die Parlamentsverfahren zu kompliziert seien. Die ersten drei in Kraft getretenen Regierungsdekrete begünstigten Finanziers von Chaves’ Wahlkampagne. Obwohl er sich im Wahlkampf als politischer Außenseiter inszenierte, unterhält er beste Verbindungen zu mächtigen Wirtschaftskreisen.

Und wie sieht es mit dem Versprechen aus, die »Gender-Ideologie« zurückzudrängen?

Der Einfluss bestimmter evangelikaler Kreise ist deutlich zu erkennen. Nach einer Konferenz mit Evangelikalen zeichnet sich ab, dass die Bildungsministerin die umfassende Sexualerziehung aus den Lehrplänen öffentlicher Schulen streichen wird. Und die Regierung sucht auch die Nähe zur katholischen Kirche. So hat sie mit der Bischofskonferenz von Costa Rica beschlossen, eine Kommission einzurichten, um die Abtreibungsgesetzgebung zu überprüfen.

Anfang des Jahres beteiligten Sie sich an der Gründung der ResistenciaLGBTIQA+. Worum geht es dabei?

Angesichts des sich abzeichnenden Rechtsrucks bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wollten meine Mitstreiter*innen und ich vorbereitet sein. Mittlerweile sind rund 40 Organisationen und unzählige Einzelpersonen an der Resistencia beteiligt. Uns geht es vor allem darum, uns zu organisieren und gemeinsame Aktivitäten zu koordinieren. So stehen wir etwa mit bestimmten Parlamentsfraktionen in Kontakt und versuchen, die wichtige Zusammenarbeit mit dem Bildungs- und Gesundheitsministerium so weit es möglich ist fortzusetzen. Zentral für uns ist es, die Bildungs- und Informationsarbeit im ländlichen Raum außerhalb der Hauptstadt San José zu intensivieren. Hier hat Chaves bei den Wahlen besonders stark abgeschnitten.

Unter dem vorherigen Präsidenten Carlos Alvarado wurden Sie 2020 zur LGTBQIA-Beauftragten der Regierung ernannt, legten das Amt jedoch nach einem Jahr nieder. Warum?

Unter Präsident Alvarado hat es wichtige Fortschritte gegeben, wie die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Aktualisierung des Abtreibungsparagrafen, die schwerlich zurückgenommen werden können. Mir ging es während meiner Amtszeit vor allem darum, die Schulung der Staatsangestellten voranzubringen. Für eine Reform des öffentlichen Dienstes paktierte Präsident Alvarado dann leider mit den Evangelikalen, die einen Passus der Gewissensfreiheit im Reformpaket durchsetzten. Angestellte des öffentlichen Dienstes können also aus Gewissensgründen Schulungen ablehnen. Das hat schwerwiegende Folgen. Nicht nur für LGTBQIA-Personen, sondern für jede Bevölkerungsgruppe, die Exklusion erlebt. Welchen Sinn hat es, Bildungsprogramme voranzutreiben, wenn man nicht garantieren kann, dass die Leute, die es nötig haben, daran teilnehmen? Ich versuchte in persönlichen Gesprächen die Regierung darauf hinzuweisen, welchen Schaden sie damit dem von ihr selbst vorangetriebenen Fortschritt zufügt. Ohne Erfolg.

Bereits bei den Wahlen 2018 erlebte Costa Rica eine aggressive antifeministische und homophobe Wahlkampagne des evangelikalen Predigers Fabricio Alvarado. Ist diese politische Stimmung auch im Alltagsleben spürbar?

Ganz eindeutig. Diese politischen Kampagnen kanalisieren nur eine in der Bevölkerung bestehende Spannung. Es gibt leider Bevölkerungsgruppen, die das Gefühl haben, dass Fortschritte für andere Bevölkerungsgruppen auf ihrem Rücken erzielt würden. Wenn es im ökonomischen Bereich keine Fortschritte gibt, dann machen diese häufig ärmeren Menschen Fortschritte im Bereich der Frauenrechte oder für LGBTIQA-Personen dafür verantwortlich. Das ist schon ironisch, da genau diese ja überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind. Deshalb betone ich immer, dass Gesetze dabei helfen, sozialen Fortschritt zu erreichen, diese aber nicht ausreichen. Es scheint mir fundamental, dass wir Akteur*innen aus den sozialen Bewegungen weiter an einer kulturellen Transformation arbeiten. Wir müssen weiter erklären und aufklären, Referenzmodelle schaffen und uns Menschen mit Vorbehalten annähern.

2016 zählten Sie zu den Mitgründer*innen der feministischen Partei Vamos, deren Vorsitzende Sie heute sind. Warum entschieden Sie sich, in die Parteipolitik zu gehen?

Ich komme ja aus den sozialen Bewegungen und wäre früher nie auf die Idee gekommen, parteipolitisch aktiv zu werden. Unsere Unterschriftenkampagne für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe vor sechs Jahren war jedoch eine einschneidende Erfahrung. Wir sammelten deutlich mehr Unterschriften als erwartet und durften unser Anliegen sogar im Parlament vortragen, das sich dann nicht weiter mit dem Thema beschäftigte. Nach der Kampagne hatte ich die Möglichkeit, ein Master-Studium an der Universität von Harvard zu beginnen. Die Distanz ermöglichte es mir, eine kritische Perspektive auf mein bisheriges Tun zu werfen. Einige Mitstreiter*innen und ich erkannten die zentrale Bedeutung des Staates dabei, gesellschaftlichen Fortschritt zu bewirken. Außerdem waren wir es leid, stets bei anderen an die Tür klopfen zu müssen, um sie darum zu bitten, für uns zu sprechen.

Und warum haben Sie sich keiner der bestehenden progressiven oder sozialistischen Parteien angeschlossen?

Damals waren diese Parteien noch weit davon entfernt, sich einer feministischen Agenda und den Anliegen der LGTBQIA-Community anzunehmen. Die Partido Acción Ciudadana (PAC) sprach schüchtern von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Die Frente Amplio war wie viele traditionelle Linksparteien sehr auf ökonomische Themen fokussiert und betrachtete unsere Anliegen als Nebensächlichkeiten. Das hat sich mit der Gründung von Vamos geändert.

Dennoch hat Vamos bis heute bei keiner Wahl einen Parlamentssitz erlangt.

Nein. Wir dürfen uns aber auch keine Illusionen über unser Wähler*innenpotenzial machen. Ich glaube aber, dass wir es geschafft haben, bestimmte Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist ein großer Erfolg. Für mich persönlich ist eine Parteigründung eine weitere Strategie, um die Sache der Gerechtigkeit voranzubringen. Aber eine Partei ist kein Selbstzweck.

Wagen wir eine Prognose: Was für ein Land wird Costa Rica am Ende von Chaves Amtszeit sein?

2026 werden wir leider in einem deutlich ungleicheren Land leben. Costa Rica zählt schon jetzt weltweit zu den 15 Ländern mit der größten Einkommensungleichheit. Die Politik, die sich unter Chaves anbahnt, wird dies verschärfen. Ich glaube, dass dies enormen Unmut und Sozialproteste verursachen wird. In der Vergangenheit ist Costa Rica ein sehr friedliches Land gewesen. Das könnte sich ändern. Ich weiß, dass es von außen häufig schwerfällt, dies zu glauben, aber Menschen-, Umwelt- und Arbeitsrechte sind hier einer enormen Bedrohung ausgesetzt. Um diese Angriffe abzuwehren, braucht es Druck. Auch von Seiten der internationalen Gemeinschaft.

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