Frieden mit der Rüstungsindustrie

Parteitag der Grünen beschließt, dass die Ukraine weiter militärisch unterstützt werden soll

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Andächtig trägt eine Frau ein Plakat durch die Bonner Parteitagshalle. Darauf sind eine weiße Friedenstaube und der Slogan »Frieden ernst nehmen, jetzt abrüsten« zu sehen. Es handelt sich um ein Plakat aus dem Jahr 1983. Damals zogen die Grünen erstmals in den Bundestag ein. Die Zeiten haben sich geändert. In Bonn sind viele Vertreter einer neuen Generation der Partei, die inzwischen auf mehr als 125 000 Mitglieder gewachsen ist. Rund 40 Prozent der Delegierten nehmen erstmals an einem Parteitag teil. Widerstand gegen das Parteiestablishment und pazifistisches Engagement, wie es die junge Frau mit dem Plakat zeigt, sind eine Seltenheit, als am Samstag über die Außenpolitik diskutiert wird.

Den größten Beifall bekommt Omid Nouripour. Der Parteivorsitzende spricht ohne Pult und Manuskript. Er hat ein Ohrmikrofon und tigert über die Bühne. Wie so viele andere Redner vor und nach ihm spricht er über die Ukraine und fordert, ihr im Krieg mit Russland mehr Waffen zu liefern. »Diese Waffen retten Menschenleben«, meint Nouripour. Dabei sei die Entscheidung zur Unterstützung der Regierung in Kiew »für eine Friedenspartei nicht einfach«. »Manche Leute sagen, dass wir staatstragend geworden sind. Ja, wir tragen diesen Staat«, ruft der Parteivorsitzende. Viele Delegierte sind aufgestanden. Der Saal tobt vor Begeisterung. Wer will schon die Kabinettsmitglieder und die Parteiführung kritisieren, die es geschafft haben, dass die Grünen in Umfragen und bei Wahlen jüngst teils deutlich hinzugewonnen haben?

Zumal die Grünen als Unterstützer ihrer Ukraine-Politik zwei Gewinnerinnen des Friedensnobelpreises aufbieten können. Irina Scherbakowa von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, die seit Jahren unter Repressionen leidet und nach einem Moskauer Gerichtsbeschluss Ende des vergangenen Jahres aufgelöst wurde, fordert auf Deutsch, dass der Krieg mit einem Sieg der Ukraine enden müsse. Denn der russische Präsident Wladimir Putin halte sich an keine Abmachungen und Verträge. »Sein Ziel ist, die ukrainische Nation, Sprache und Kultur zu vernichten«, konstatiert Scherbakowa.

Ähnlich äußert sich die Ukrainerin Oleksandra Matwijtschuk vom »Center for Civil Liberties«, das ebenso wie Memorial kürzlich mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie verlangt in einer Videobotschaft, dass die Ukraine ihr gesamtes Staatsgebiet von Russland zurückerhalten solle, auch die Halbinsel Krim. Matwijtschuk erinnert daran, dass die Regierung in Moskau für ihre Verbrechen in den Kriegen in Georgien, Tschetschenien und Syrien nie zur Verantwortung gezogen worden sei. Dass das auch für zahlreiche westliche Staaten gilt, erwähnt sie nicht.

Außerdem ist nirgendwo in der Halle Widerspruch zu hören, als zahlreiche Redner ihren Beitrag mit dem Schlachtruf »Slawa Ukrajini« beenden, darunter Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Dieser Ausspruch, der »Ruhm der Ukraine« bedeutet, ist seit 2018 der offizielle Gruß der ukrainischen Streitkräfte. In den 1930er und 1940er Jahren wurde er von der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten verwendet, die zeitweise mit den Nazis kollaborierte.

Änderungsanträge von vereinzelten linken Grünen, die sich mehr diplomatische Bemühungen von Deutschland wünschen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, und Waffenlieferungen ablehnen, werden von der Parteitagsmehrheit abgelehnt. Vielmehr setzt sich die Parteispitze mit ihrer Forderung durch, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu verstärken.

Weitaus kontroverser als über die Ukraine wird vor allem hinter den Kulissen über Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien diskutiert. Die Grünen in der Bundesregierung hatten kürzlich einem Gemeinschaftsprojekt mit Italien, Spanien und Großbritannien zugestimmt. Demnach werden Kampfjets und Munition an die Diktatur in Riad geliefert, die Krieg im Jemen führt und dort nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen bombardiert. Trotz dieser Kriegsverbrechen verteidigt Annalena Baerbock die Exporte. »Das war schwierig für Robert Habeck und mich«, bekennt die Außenministerin in ihrer Parteitagsrede. Allerdings gehe das Geschäft noch auf einen Altvertrag der Großen Koalition zurück. Das könne man nicht einfach ignorieren. »Außerdem brauchen wir mehr europäische Zusammenarbeit bei Rüstungsfragen«, sagt die Außenministerin.

Einige Basis-Grüne verlangen auf dem Parteitag, dass die Entscheidung der Koalition zurückgenommen werden soll. Doch diese Forderung hat keine Chance. Stattdessen einigen sich die namhaften Kritiker der Rüstungsexporte, darunter einige Mitglieder der Bundestagsfraktion aus unterschiedlichen Flügeln der Partei, und die Spitze der Grünen in vertraulichen Gesprächen auf einen Kompromiss. Darin werden die Menschenrechtsverletzungen von Saudi-Arabien und die Rolle des Königreichs im Jemen-Krieg angeprangert. »Deswegen lehnen wir jegliche Rüstungsexporte an Saudi-Arabien ab«, so der Parteitagsbeschluss. Die Grünen »streben auch einen europäischen Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien und ein europäisches Waffenembargo gegenüber anderen Staaten an, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind«.

Besonders stark ist diese Formulierung nicht. Sie lässt der Bundesregierung weiterhin viele Spielräume beim Umgang mit Saudi-Arabien. Zumal auch die Grünen wissen, dass die Bundesrepublik Öl und Wasserstoff aus dem Land gut gebrauchen kann. Außerdem scheint die Partei schon lange ihren Frieden mit der deutschen Rüstungsindustrie gemacht zu haben. Sie bedankt sich auf einem Schild, das vor dem Tagungsraum steht, bei den Sponsoren und Ausstellern des Parteitags. Mit dabei ist unter anderem der Chemie- und Pharmakonzern Bayer, obwohl dieser auf seiner Website unter anderem den Einsatz des Pflanzengifts Glyphosat rechtfertigt.

Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, in dem Rüstungsschmieden organisiert sind, wird aufgeführt. Diese profitieren von der sogenannten Zeitenwende, die Kanzler Olaf Scholz ausgerufen hatte. Zum einen ist damit die Aufrüstung der Bundeswehr gemeint und zum anderen der Export von Rüstungsgütern in Kriegsgebiete. In Bonn wird einmal mehr deutlich, dass diese Politik nicht an den Grünen scheitern wird.

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