Pushbacks als Regelfall

Unter den Augen der EU-Grenzschutzagentur Frontex verletzte Griechenland systematisch die Menschenrechte Asylsuchender

  • Dorothée Krämer
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Fabrice Leggeri Ende April als Frontex-Direktor zurücktrat, hatten viele schon nicht mehr an diese Möglichkeit geglaubt. Zu viele Verfehlungen waren ans Licht der Öffentlichkeit gekommen – Lügen gegenüber dem EU-Parlament, die Vertuschung von Pushbacks in der Ägäis, das Umgehen des eigenen Menschenrechtsbeauftragten. Doch lange Zeit schienen alle Vorwürfe am Frontex-Chef abzuperlen. Noch im Januar war er vom griechischen Minister für Migration und Asyl für seinen Einsatz beim »in Angriff nehmen der Migrationskrise« ausgezeichnet worden.

Die griechische Regierung und der Direktor der EU-Grenzschutzagentur verstanden sich gut, wenn es um die Frage ging, wie mit den aus der Türkei über die Ägäis flüchtenden Menschen umzugehen sei. Die griechische Küstenwache machte die Drecksarbeit – und Frontex drückte beide Augen zu. Nach EU-Recht wäre Frontex verpflichtet, Einsätze abzubrechen, wenn es Anzeichen für systematische Menschenrechtsverletzungen gibt. Und die gab es spätestens seit März 2020 zuhauf.

Pushback bezeichnet die oft gewaltsame Rückweisung von Menschen an einer Grenze. Ihr Recht darauf, Asyl zu beantragen, wird dabei missachtet. Diese Praktik an sich war in Griechenland nichts Neues. Aber im Frühjahr 2020, als die Corona-Pandemie aufkam, nahm sie eine nie dagewesene Dimension an. Der Fokus der internationalen Öffentlichkeit lag damals auf der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei. Im Zuge einer neuen Zuspitzung des griechisch-türkischen Verhältnisses hatte der türkische Präsident Erdoğan gedroht, Menschen nicht mehr wie bisher an der Weiterreise nach Griechenland hindern zu wollen.

Tausende hatten sich daraufhin auf den Weg in die Grenzregion gemacht, in der Hoffnung, die Grenze noch rechtzeitig passieren zu können. Aber die griechischen Grenzschützer verhinderten die Einreise: Tränengas wurde eingesetzt, Schüsse fielen. Die frisch zur Präsidentin der EU-Kommission ernannte Ursula von der Leyen bezeichnete Griechenland nach einem Helikopterflug über die Grenze als »Schutzschild Europas«. Die griechische Regierung erklärte angesichts der Lage, einen Monat lang keine Asylanträge annehmen zu wollen und beantragte einen Soforteinsatz von Frontex an der Landes- und Seegrenze.

Zeitgleich änderte sie auch ihren Umgang mit Menschen, die auf Booten über die Ägäis nach Griechenland reisten. Nun begann die griechische Küstenwache damit, Boote systematisch abzudrängen und zurück in türkische Gewässer zu schleppen. Gruppen von Flüchtenden, die bereits auf einer der griechischen Inseln an Land gegangen waren, wurden wieder aufs Meer und in türkische Gewässer befördert. Dabei kamen oft Rettungsinseln – kleine schwimmfähige Zelte – zum Einsatz. Die Menschen wurden darin allein auf dem Meer zurückgelassen und so in Lebensgefahr gebracht. Der griechische Migrationsminister, Notis Mitarakis, erklärte Ende April 2020 stolz, dass es in diesem Monat dank des Einsatzes der Sicherheitskräfte keine Ankünfte auf den Inseln gegeben habe.

Die dafür verantwortliche Methode machte schnell die Runde. Menschen, die selbst Pushbacks erlebt hatten, berichteten über ihre Erfahrung, Journalisten dokumentierten das Verschwinden ganzer Gruppen, NGOs schlugen Alarm. Im Juni 2020 rief das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) Griechenland dazu auf, die Vorwürfe zu untersuchen. Doch bis heute gibt es dazu keine ernstzunehmenden Versuche der griechischen Regierung.

Doch die griechische Küstenwache ist nicht der einzige Akteur in der Ägäis. Im Rahmen von Frontex- und Nato-Einsätzen gibt es eine große Präsenz internationaler Polizei und Militärkräfte. Entsprechend wurde die Frage laut: Was wissen die vom Handeln der griechischen Küstenwache? Frontex geriet dabei bald ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Mögliche Menschenrechtsverletzungen müssen dort dokumentiert, gemeldet und untersucht werden. Im Falle anhaltender Menschenrechtsverletzungen ist der Frontex-Direktor dazu verpflichtet, Einsätze in dem Land abzubrechen. Aber von all dem wollten weder die griechische Regierung noch Frontex-Direktor Leggeri etwas wissen. Das ganze Ausmaß wird nun im EU-Untersuchungsbericht deutlich. Dass sich tatsächlich etwas ändern wird, darf bezweifelt werden, auch wenn Frontex-Interims-Chefin Aija Kalnaja erklärte, die im Bericht geäußerten Vorwürfe seien »Praktiken der Vergangenheit«.

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