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Schrumpfendes Paradies
Das Feuchtgebiet Pantanal in Brasilien ist ein einzigartiges Biotop. Aber es ist akut bedroht
Poconé gilt als das nördliche Tor zum Pantanal. Die Transpantaneira, eine bei Touristen und Wildtierbeobachtern beliebte Straße, nimmt dort ihren Anfang. Wenn man auf ihr unterwegs ist, sieht man aus dem fahrenden Auto, wie sich Dutzende Krokodile an den Flussläufen sonnen, unzählige Vogelarten in den Überflutungsgebieten rasten oder das berühmte Reh des Pantanals nach Futter sucht.
Nur wenige Kilometer entfernt, rund um die Comunidade Zé Alves, eine kleine, traditionelle Gemeinde, sieht man nur noch wenig von diesem Naturparadies. Hier reihen sich große Rinderfarmen aneinander, seit einigen Jahren gibt es auch immer mehr Sojaplantagen. »Früher haben hier in der Region viele Familien von kleinbäuerlicher Landwirtschaft gut gelebt«, sagt der Dorfbewohner Luiz Carlo Souza Ponce. »Heute gibt es nur noch Soja.«
Brasiliens abgewählter Präsident Jair Bolsonaro betonte immer wieder, dass Brasilien mit seiner intensiven Landwirtschaft der Futtertrog der Welt sei, außerdem bringe der Export von Soja Milliardeneinnahmen. Die Bewohner von Zé Alves sind allerdings alles andere als begeistert von der Nachbarschaft zu den Plantagen: »Mit dem Soja sind auch die Pestizide gekommen«, sagt Pedro Ponce, der Vater von Luiz Carlo. Pedro Ponce wohnt schon sein ganzes Leben in der Gemeinde und kann beobachten, wie sich das Leben hier verändert. Zuletzt wurden in der Region wieder vermehrt Rückstände von Pestiziden in Boden und Wasser gemessen. »Das landet auf unseren Tellern«, davon ist Pedro Ponce überzeugt. Für ihn ist auch klar, wer an der Situation schuld ist: Der rechtsextreme Ex-Präsident Bolsonaro habe nur die Reichen im Blick gehabt. Er interessiere sich weder für die einfachen Arbeiter noch für die Bewahrung der Natur.
Dabei ist das Sumpfgebiet Pantanal berühmt. Seine Fläche ist fast halb so groß wie die Deutschlands und wurde von der Unesco als Weltnaturerbe ausgezeichnet. Die Sumpflandschaft erstreckt in den brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul und in Teilen von Paraguay und Bolivien. »Das Pantanal ist ein Mosaik aus verschiedenen Vegetationsarten, so etwas ist selten«, erklärt Clovis Vailant. »Das führt aber auch zu einem sehr sensiblen und fragilen Gleichgewicht im Ökosystem«. Vailant ist Geograf und arbeitet seit vielen Jahren für die Nichtregierungsorganisation Instituto Gaia in Cáceres im Bundesstaat Mato Grosso unweit der Grenze zu Bolivien am Erhalt dieses besonderen Ökosystems. Es fehle nicht mehr viel, dann sei das Pantanal endgültig zerstört. Dabei gilt die Sumpflandschaft als eine der artenreichsten Regionen der Welt. Früher reichte einmal das Amazonasgebiet bis dorthin, heute grenzt es an die Savannenlandschaft Cerrado. Aus beiden Regionen findet man nun Tiere und Pflanzen in dem Feuchtgebiet, der regelmäßige Wechsel aus Überflutung und Trockenheit trägt auch dazu bei, dass seltene Arten gute Lebensbedingungen haben.
Doch das Paradies ist in Gefahr. Zum einen durch die immer stärkere Ausbreitung der intensiven Landwirtschaft wie rund um die Gemeinde Zé Alves. Rinderfarmen sind zwar in der Region nichts Neues, aber die Soja-Monokultur wird ein immer größeres Problem. »Mit den Sojaplantagen geht eine viel intensivere Nutzung des Bodens einher«, beschreibt Clovis Vailant. Unter der Regierung von Bolsonaro hat die intensive Landwirtschaft, das sogenannte Agrobusiness, in ganz Brasilien Aufwind bekommen. In Mato Grosso, dem Bundesstaat, der am meisten Soja produziert, sind die Folgen davon besonders sichtbar. In vielen Teilen der Region sieht man oft nichts anderes als Sojafelder. Wenn man sich Satellitenaufnahmen ansieht, dann wird das Ausmaß deutlich: Quer durch den Bundesstaat zieht sich der sogenannte Bogen der Abholzung als sichtbare Grenze zum intakten Regenwald. Weil es wegen der gesetzlichen Bestimmungen und wegen der Witterungsbedingungen kaum noch Möglichkeiten gibt, die landwirtschaftlichen Flächen im nördlicheren Amazonasgebiet auszuweiten, entsteht ein immer größerer Druck auf die Regionen im Süden, wo auch das Pantanal liegt. Hier wurden in den letzten Jahren immer mehr gesetzliche Grundlagen geschaffen, um die landwirtschaftliche Nutzung auszubauen und auch Sojaanbau zu ermöglichen.
Ein weiteres Problem ist der Transport der vielen Tonnen Soja. Dafür sollen am Rio Paraguai, einem der Hauptflüsse der Region, Häfen gebaut werden. »Damit auch große Schiffe hier lang fahren können, müssten die Flüsse begradigt und am manchen Stellen Fahrrinnen ausgebaggert werden«, erklärt Vailant diese Vorhaben. »Das verändert das fragile Ökosystem erheblich«. Zusätzlich verändern auch rund hundert Wasserkraftwerke in der Region des Pantanals den natürlichen Rhythmus von Trockenheit und Flut in der Region.
Zu all diesen direkt menschengemachten Herausforderungen kommt noch der Klimawandel. Seit 1985 hat das Pantanal laut einer Studie von Mapbiomas rund 80 Prozent seiner Wasseroberfläche verloren, Flussstände sinken, es wird immer trockener. 2020 kam es dann zu einer der bisher schlimmsten Umweltkatastrophen in der Region: Bei Waldbränden brannte rund ein Drittel der Fläche des Pantanals, etwa 17 Millionen Tiere verendeten in den Feuern.
Porto Limão, eine kleine Fischergemeinde unweit von Cáceres, spürt diese Einflüsse. Als eine Wasserkraftanlage Anfang des Jahres entschied, Wasser abzulassen, standen dort plötzlich fast alle Häuser unter Wasser, und die Bewohner mussten evakuiert werden. Aber auch der Klimawandel ist immer deutlicher zu spüren: »Keiner hier kann mehr richtig von Fischfang leben. Selbst zum Essen ist es manchmal kaum genug«, sagt die Anwohnerin Sandra Luci. »Wenn du dich heute nur auf Fischerei stützt, dann verhungerst du«. Immer wieder sei ihr Mann zum Fischen unterwegs und fange fast nichts.
Auch Clovis Vailant teilt die Beobachtung, dass es heute weniger Fisch gibt. »In meiner Kindheit hatten wir noch einen wahren Überfluss. Manchmal hat man einen Fisch geangelt, der war so groß, dass er für mehrere Mahlzeiten reichte und man den Nachbarn noch die Hälfte abgegeben hat«, erinnert er sich. Diese Zeiten seien nun vorbei. An manchen Stellen gebe es gerade mal noch ein Drittel des ursprünglichen Bestands. Das ist ein wirtschaftliches Problem, denn im Pantanal schafft nichts mehr Arbeitsplätze als der Fischfang, sowohl direkt für die lokalen Familien als auch indirekt durch den Angeltourismus.
Noch immer hat sich die Natur nicht vollständig von den verehrenden Waldbränden vor zwei Jahren erholt – auch wenn die Flusslandschaft inzwischen wieder begrünt ist. »Wenn man die Flächen heute ansieht, sieht man kaum noch, dass es vor zwei Jahren gebrannt hat«, sagt Alexandre Enout, Ökologe beim brasilianischen Sozialdienst des Handels am Rande eines großen Schutzgebiets, das er betreut. Dort haben die Feuer 2020 besonders unerbittlich gewütet. »Auch wenn man das nicht direkt sieht, das Ökosystem ist noch stark beschädigt«. Denn schnell wachsende Sträucher bedecken jetzt viele Stellen, während ältere Bäume den Feuern zum Opfer fielen und die Tierbestände empfindlich schrumpften.
Waldbrände gibt es jedes Jahr im Pantanal. Am stärksten wüten sie am Ende der Trockenzeit im August und September. In diesem Jahr hat es mehr geregnet als 2020, trotzdem liegt Ende September immer wieder ein beißender Brandgeruch in der Luft, und am Horizont steigen Rauschwaden auf.
»Feuer hat es hier immer gegeben«, sagt Enout. Die meisten von ihnen legt der Mensch. Immer wieder geraten die Brände außer Kontrolle, meint der Ökologe. Es werden kleine Feuer entfacht, um Flächen zu roden, sich einen Weg zu bahnen oder auch nur, um altes, trockenes Gestrüpp loszuwerden. Einige Brände entstehen auch durch schlecht gewartete Stromleitungen. Bei extremer Trockenheit geraten die Brände dann außer Kontrolle.
Wer verantwortlich für die Katastrophe von 2020 ist, lässt sich nicht so einfach sagen. Im Pantanal schieben sich viele Akteure einander die Schuld zu, die Farmer sagen, Indigene hätten ihr Land angezündet, Indigene behaupten, Farmer hätten versucht, Flächen zu roden. Für Enout sind es mehrere Faktoren, die dazu geführt haben, dass sich die Situation so tragisch entwickelte: Das Pantanal war besonders trocken, gleichzeitig waren viele Mittel zur Brandprävention gestrichen worden. »Solche Katastrophen wären vermeidbar«, sagt der Ökologe. Durch ausreichende Finanzierung von Feuerwehrleuten in der Region und auch durch gezieltes Abbrennen von trockenem Unterholz könne man die Feuer im Griff halten.
Brände, sinkende Wasserstände und die Folgen von Landwirtschaft und Infrastrukturprojekten sind für die Natur problematisch, und es ist schwierig, dafür Lösungen zu finden. Das wissen auch die Akteure vor Ort. Der Sozialdienst des Handels setzt auf nachhaltigen Tourismus. Er betreibt ein großes Ökohotel am Rande des Schutzgebietes. Dem Sozialdienst ist es dabei wichtig, dass die Gäste nicht nur einen schönen Aufenthalt haben, sondern auch etwas über die Region und die Herausforderungen lernen. »Für uns ist der Tourismus Teil eines sozialökologischen Projekts«, meint Alexandre Enout. Da die Touristen ins Pantanal kommen, um intakte Natur zu bewundern, entsteht ein Anreiz, sie auch zu erhalten. Außerdem arbeitet der Sozialdienst des Handels eng mit der lokalen Bevölkerung zusammen – beispielsweise, um Menschen für eine freiwillige Feuerwehr zur Bekämpfung von Bränden auszubilden.
Die lokale Bevölkerung steht auch im Zentrum der Anstrengungen vom Instituto Gaia. Die Nichtregierungsorganisation führt an verschiedenen Stellen im Pantanal Renaturierungen durch, immer in Kooperation mit den Anwohnern. »Wir arbeiten vor allem auch an der Restaurierung der Flussquellen«, erklärt der Geograf Vailant. »Weil wir überzeugt sind, dass es für ein gesundes Pantanal erst mal gesunde Flüsse braucht«. Eine wichtige Säule für das Instituto ist zudem die Stärkung von familiärer Landwirtschaft.
Auf Landwirtschaft im kleinen Stil konzentriert sich die Gemeinde Zé Alves. Ein großes Beet versorgt die Grundbedürfnisse der Bewohner, überdies bauen Luiz Carlo und Pedro Ponce seit Jahren den lokalen Handel der Tonkabohne aus: Mehr als 400 Familien sammeln inzwischen die nussartige Bohne. Sie knacken zu Hause deren harten Schalen, rösten und verkaufen sie. Aus Sicht von Luiz Ponce, ist das ein nachhaltiges Geschäft. Ökologisch unbedenklich, weil die Tonkabohne an einheimischen Bäumen wächst. Und sozial und wirtschaftlich sinnvoll, weil Familien in der Region dadurch ein Einkommen haben.
Alle Probleme löst der Handel mit der Tonkabohne aber nicht. Luiz Carlo Ponce, Pedro Ponce und die anderen Einwohner von Zé Alves sind überzeugt, dass es auch politische Veränderung braucht. »Wir müssen Bolsonaro loswerden«, sagt Pedro Ponce. »Der will nur Zerstörung«. Clovis Vailant vom Instituto Gaia stimmt dem zu, aber er weiß auch, dass sich mit dem jetzt gewählten Präsidenten Lula da Silva nicht alle Probleme der Region lösen lassen. »Ich hoffe aber, dass es wenigstens wieder Möglichkeiten zum Dialog gibt«, sagt er.
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