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Zwischen Hoffnung, Kampf und Untergang
Der kleine Pazifikstaat Tuvalu ist durch den Klimawandel in seiner Existenz bedroht – und gibt sich nicht geschlagen
Wer von der Ostküste Australiens in nordöstlicher Richtung übers Meer schippert, landet nach 3500 Kilometern in Tuvalu. Der Inselstaat besteht vor allem aus Atollen – ringförmigen Riffen, die eine Lagune umschließen. Die staatlichen Einrichtungen befinden sich im Dorf Vaiaku auf dem Atoll Funafuti. Mit rund 26 Quadratkilometern Landfläche zählt das 1978 unabhängig gewordene, zum Commonwealth gehörende Tuvalu zu den kleinsten Ländern der Welt.
In nicht allzu ferner Zukunft wird man möglicherweise sagen müssen: »zählte«. Tuvalu ragt an seiner höchsten Stelle gerade mal fünf Meter aus dem Wasser. Während andere Länder diskutieren, wie sie Häuser und Infrastruktur vor dem steigenden Meeresspiegel schützen können, geht es bei dem Inselstaat im Pazifik um die Existenz des gesamten Landes. Außenminister Simon Kofe machte dies im vergangenen Jahr in einer Videobotschaft an den UN-Klimagipfel in Glasgow mit einiger Dramatik deutlich: Er stand dabei – in Anzug und Krawatte sowie mit hochgekrempelten Hosenbeinen – bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Es gehe ihm darum, »die reale Situation« zu zeigen, »mit der Tuvalu aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert ist«, sagte Kofe.
Der ernste Hintergrund der auf den ersten Blick witzig anmutenden Aktion: Der durch die globale Erwärmung steigende Meeresspiegel wird die Nation, wenn die Welt beim Klimaschutz weiter trödelt, laut Prognose bis 2100 unter Wasser setzen. Damit wird Tuvalu rund 2000 Jahre nach seiner Besiedelung unbewohnbar werden und die 12 000 Einwohner müssten ihre Heimat verlassen.
Die Folgen des Klimawandels sind längst spürbar: Die Bewohner litten aufgrund der geografischen Lage zwar schon früher unter Zyklonen, deren Häufigkeit hat in jüngster Zeit aber noch zugenommen. Ein weiteres Problem ist das Eindringen von Salzwasser, das, wenn auch noch eine längere Dürreperiode hinzukommt, zu Trinkwassermangel führt. Durch Meerwasserentsalzungsanlagen versucht man, das Problem besser in den Griff zu kriegen.
Auch auf politischer Ebene gibt sich Tuvalu längst nicht geschlagen. Natürlich ist der Mini-Staat trotz spektakulärer Auftritte wie beim Glasgow-Gipfel allein zu schwach, um bei UN-Konferenzen etwas zu bewegen. Aber als Mitglied der 39 Länder umfassenden Allianz der kleinen Inselstaaten (Aosis) hat man eine gewichtige Stimme. Einerseits drängen Aosis-Vertreter Jahr für Jahr unermüdlich darauf, dass Industrie- und große Schwellenländer ihre Klimaschutzanstrengungen endlich gemäß den UN-Klimazielen verstärken. Andererseits waren Aosis-Vertreter häufig wichtig bei der Findung von Kompromissen zwischen den unterschiedlichsten Interessen der einzelnen Staaten, denn Ergebnislosigkeit wäre für die in der Existenz bedrohten Inselstaaten am schlimmsten.
Es war auch insbesondere die Aosis-Gruppe, die das beim bevorstehenden Gipfel in Scharm El-Scheikh ganz vorne auf der Agenda stehende Thema »Verluste und Schäden« vorangetrieben hat. Hierbei geht es um die Frage möglicher Entschädigungszahlungen für Verwüstungen durch die Klimawandelfolgen. Insbesondere die Industrieländer wollten den Bereich lange Zeit aus den Verhandlungen heraushalten. Doch insbesondere den Aosis-Unterhändlern gelang es durchzusetzen, dass »Verluste und Schäden« ins Pariser Klimaabkommen aufgenommen wurde. Wieder mit einem Kompromiss: Dass es hierbei um die Haftung der Industrieländer geht, wird nicht erwähnt.
Aber natürlich ist allen Beteiligten klar, dass es genau darum geht. Um dies zu unterstreichen, gründete Tuvalu gemeinsam mit dem kleinen Karibikstaat Antigua und Barbuda während der Glasgow-Konferenz in einem mutigen Schritt eine Kommission, deren Aufgabe es sein wird, die großen Treibhausgasemittenten für Verluste und Schäden durch Extremwetterereignisse rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. »Die Verursacher müssen zahlen«, sagte Tuvalus Premierminister Kausean Natano. Und beschwichtigte gleich: Dies sei nicht als Akt der Aggression gemeint. Beide Staaten wehren sich aber auch gegen Begehrlichkeiten vieler anderer Länder. Der geplante Fonds, der in Scharm El-Scheikh vorangebracht werden soll, müsse vor allem denen zur Verfügung stehen, die am unmittelbarsten mit der Klimakrise konfrontiert seien. Das gilt natürlich besonders für die in ihrer Existenz bedrohten Inselstaaten.
In Tuvalu wird seit Jahren darüber diskutiert, was aus den Bewohnern – es handelt sich vor allem um Polynesier – werden soll, wenn der Meeresspiegel zu stark ansteigt. Der Vorschlag eines Wissenschaftlers, diese sollten nach Fiji umziehen, wurde verworfen. Die Regierung hat bisher eine andere Idee: Da nicht alle Inseln gleichzeitig überflutet werden, sollen die Bürger nach und nach in Neuseeland oder Australien Asyl beantragen. Dies wurde dort zunächst skeptisch bis ablehnend aufgenommen. Immerhin hat Neuseeland als erstes Industrieland den Klimawandel als Fluchtgrund anerkannt und eine Familie aus Tuvalu aufgenommen. Noch aber hält sich die Emigration in Grenzen: Zuletzt wurde das Ansteigen des Meeresspiegels durch Anspülungen und Sedimentierung ausgeglichen. Dies sorgt zwar für Probleme, da sich die Form der Inseln verändert, aber auch für Hoffnungen, dass es doch eine Zukunft gibt.
Dass diese womöglich trügerisch sind, dessen ist man sich in Tuvalu bewusst. Daher wird derzeit auch mit der Planung begonnen, wie im Falle des Untergangs das Erbe des Pazifikstaates bewahrt werden kann. Eselealofa Apinelu, Tuvalus ehemalige Generalstaatsanwältin, sagte während einer Pazifik-Konferenz kürzlich, die Tuvaluaner bräuchten etwas, »an dem sie sich festhalten« könnten. Als eine Möglichkeit nannte sie einen sogenannten digitalen Zwilling des Inselstaates, in dem auch Tuvalus Kultur und Werte verankert würden.
Digitale Zwillinge sind virtuelle Nachbildungen der physischen Welt. Darin gespeichert sind über Sensoren und Drohnen gesammelte Informationen und Daten, die dann mit Analyse-Tools, maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz kombiniert werden. Digital-affin ist Tuvalu ohnehin längst. Dem Land wurde einst die Internet-Domain-Endung ».tv« zugewiesen. Und weil einige Online-Unternehmen und andere Medien für sich die Domain ».tv« als gängige Abkürzung für »Television« gewählt haben, erlöst Tuvalu aus der Vermarktung jährlich rund fünf Millionen US-Dollar, was etwa acht Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes entspricht.
»Es muss irgendwo gespeichert werden, dass es ein Land namens Tuvalu gab«, sagte Apinelu in ihrer Ansprache. Das Ganze sei so etwas wie »die letzte Option« für den Inselstaat. Sollte die schlimmste Katastrophe tatsächlich eintreten, könnten spätere Generationen von Tuvaluanern wenigstens noch die digitalisierte Idee des Landes ansehen. Auch Außenminister Kofe erwähnte, dass sein Land nach legalen Wegen suche, um ein Staat zu bleiben, selbst wenn der Inselstaat physisch verschwinde.
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