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- DDR-Laden
Schatzkammer der Republik
Mit seiner Auswahl an Originalprodukten aus der Vorwendezeit sorgt ein kleines Geschäft in Berlin für Kundschaft aus aller Welt
Es war einer dieser Besuche, an die sich die Arndts noch lange erinnern werden. Wie sonst auch geht Bärbel Arndt ihren Tätigkeiten im Vorwendeladen nach, als plötzlich ein junger Mann das Geschäft an der Friedrichshainer Thaerstraße betritt. Er erzählt, dass er seit zwei Jahren Maschinenbau in den Niederlanden studiert, eigentlich aber aus China kommt. In den kleinen Berliner Laden ist er gekommen, weil er wissen will, wie es denn damals so war, in der ehemaligen DDR. Den beiden gelingt es, sich mithilfe einer Übersetzungs-App, Mimik und Gestik zu verständigen, erinnert sich die 79-jährige Bärbel Arndt. »Wir haben uns bestimmt eineinhalb Stunden lang unterhalten.« Thema unter anderem: der Filmklassiker »Good Bye, Lenin!«. »Ich musste erst einmal erklären, dass der Film mit Satire und Ironie arbeitet und nicht eins zu eins übertragen werden kann.«
Seit bald 20 Jahren betreibt das Ehepaar Arndt das Geschäft – ohne dabei ein Geschäft zu machen. »Als wir angetreten sind, hatten wir eine Zielstellung von 100 Euro im Monat«, sagt Frank Arndt. Ums Geld geht es dem 78-Jährigen, der mit seiner Frau den Vorwendeladen neben der Rente am Laufen hält, aber ohnehin nicht. Früher, als im Kiez noch viele Menschen mit wenig Geld gelebt hätten, habe er bisweilen Ratenzahlungen für Produkte im Wert von gerade einmal sechs Euro möglich gemacht.
»Man musste sich bei uns nicht schämen«, sagt Frank Arndt. Das Verhältnis zur Kundschaft habe schon immer auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Und so kämen bis heute immer wieder Leute vorbei, einfach nur um zu reden. »Der Laden gibt einem etwas Emotionales«, erklärt Arndt. »Die DDR war einfach mehr als nur ›Wir ham nüscht‹ und Stalin.«
Dabei haben die Arndts weit mehr zu bieten als warme Worte für die gute alte Zeit. Das Angebot im Vorwendeladen stapelt sich bis unter die Decke: Bücher und Magazine, Wimpel, Fahnen und Parteiorden, Bierkrüge, Instrumente, Gemälde und Lampenschirme. »Es sollte im Grundsatz ein Laden werden, der nur Originalwaren aus der DDR führt. Keine aus der Bundesrepublik und auch keine nach der Wende«, sagt Arndt. Nur ein paar ältere Dinge aus den 20er und 30er Jahren hätten sich eingeschlichen. »Aber deswegen heißt das hier ja auch ›Vorwendeladen‹.« Ausgenommen ist die Ecke mit DDR-Lebensmitteln wie Mokkabohnen und Brockensplitter, die bis heute produziert werden.
Das Herzstück des Sortiments aber ist aus Porzellan: Nach der Wende ersteigerte Frank Arndt Unmengen an Geschirr aus dem Palast der Republik. Rund 2000 Tassen, Teller und Kannen, mit denen einst die Gäste im Palast bedient wurden, befinden sich heute in seinem Besitz. »Eigentlich wollte ich damit eine Gaststätte aufmachen«, sagt Arndt. Als ihm die dazugehörigen Tische und Stühle kurzfristig doch nicht zur Verfügung gestellt wurden, entschied er sich dagegen.
»Das Ganze hat sich aus meinem Beruf entwickelt«, erklärt der Ladenbesitzer. Zu DDR-Zeiten arbeitete Arndt für den Ingenieurhochbau Berlin, der in der Hauptstadt für die Konzeption von Gesellschaftsbauten, beispielsweise Schulen und Kaufhäuser, zuständig war. Arndt selbst übernahm damals die Planung der Heizungsanlagen in »Erichs Lampenladen«. An alldem, was im abgerissenen Palast der Republik schließlich zum Verkauf stand, hing Arndt zu sehr, als dass er bei der Versteigerung einfach nur hätte zusehen können: »Ich wollte nicht, dass das alles irgendwo verschwindet.« Manches Stück, das er heute in seinem Laden anbiete, werde im Internet bisweilen für das Doppelte angeboten.
Glaubt man den Arndts, hat das Interesse an ihren DDR-Produkten in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Kundschaft aus aller Welt fände ihren Weg in den Vorwendeladen, zum Teil dank Reiseführer. Frank Arndt erkennt ein Muster: »Schweizer kaufen grundsätzlich DDR-Design, die Franzosen eher politisch gefärbte Sachen, also alles, was irgendwie links ist.« Auch eine Japanerin schaue zweimal im Jahr vorbei. Sie selbst betreibe einen DDR-Laden in Tokio.
Fündig im Vorwendeladen wird natürlich auch, wer in eigenen Jugenderinnerungen schwelgen möchte. In mehreren Kartons lagern alte Ausgaben der Comiczeitschrift »Mosaik«. »Wir haben nicht nur die späteren Abrafaxe, sondern auch frühere Hefte von Hannes Hegen«, sagt Arndt. Gerade letztere gelten unter Sammlerinnen und Sammlern als begehrt. Je nach Zustand können die Heftchen bis zu mehreren Hundert Euro wert sein.
Frank Arndt weiß aber auch, dass es nicht nur die berüchtigte Ostalgie ist, die Neugierige in den Laden treibt: »Nehmen wir zum Beispiel den RG28.« Das ist ein elektrisches Handrührgerät, das einst vom VEB Elektrogerätewerk Suhl hergestellt wurde. »Viele haben ihr altes RG nach der Wende weggeschmissen und sich ein neues Gerät gekauft, mit dem sie dann nicht zufrieden sind. Die kommen dann zu mir und wollen ihr altes RG 28 zurück.«
Die Arndts hoffen, eines Tages würdige Nachfolger für ihr Geschäft zu finden. »Es muss jemand werden, der den Laden mit der gleichen Einstellung weiterführt«, sagt Bärbel Arndt, auch wenn das nicht allzu leicht werden dürfte. Zunächst geht es für das Ehepaar aber darum, mit einem Teilräumungsverkauf Platz zu schaffen im engen Laden. Der Hinterraum, in dem ein kleines Museum mit weiteren Kostbarkeiten untergebracht ist, soll endlich wieder begehbar werden. Klar ist den Arndts aber auch: »Wir werden nichts verschleudern.«
Der Vorwendeladen befindet sich in der Thaerstraße 16, nahe dem Besarinplatz. Er hat von Dienstag bis Freitag zwischen 12:30 Uhr und 18 Uhr geöffnet.
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