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Aus Information wird Beteiligung

Im Rahmen eines Wissenschaftsfestivals in Berlin wurde der »Kodex für Public Engagment« vorgestellt

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf der »MS Wissenschaft« konnten Besucher Einblicke in Forschungsmethoden gewinnen.
Auf der »MS Wissenschaft« konnten Besucher Einblicke in Forschungsmethoden gewinnen.

Wie können wir es schaffen, Gehirnkrankheiten wie Multiple Sklerose zu heilen?« Aber auch: »Warum gibt es keine Rolltreppe zum Mond?« Zwei Fragen von insgesamt über 14 000, die Bürger im Rahmen des »Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!« an die deutsche Forschung gestellt haben.

Die Initiatoren der Aktion »Meine Frage für die Wissenschaft« im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatten nicht nur alle Hände voll zu tun, um auf den Wissensdrang aus der Bevölkerung direkt und verständlich zu antworten. Sondern ein politischer Nebeneffekt war es auch, aus dem zivilgesellschaftlichen Interesse herauszulesen, welche neuen Forschungsthemen sich anbahnen und diese etwa in die derzeit verhandelte »Zukunftsstrategie Forschung und Innovation« des Ministeriums aufzunehmen. Die Rolltreppe ist allerdings mit Sicherheit nicht dabei.

Die Befragung ist ein Beispiel für den Instrumentenkasten der »Wissenschaftskommunikation«, die sich in den letzten Jahren – vor allem aus den Hochschulen kommend – stark verbreitet hat und ständig erweitert. Streng genommen gehört auch der Wissenschaftsjournalismus unter dieses Dach. Der Journalismus hat aber nicht nur den »Erklär-Bär« zu bieten, um den Fachjargon der Forscher in verständliche Sprache zu übersetzen. Für die Demokratie noch wichtiger ist die Kontrollfunktion und kritische Begleitung dessen, was in den Universitäten und Forschungszentren geschieht und von den Verantwortlichen lieber hinter dem Vorhang gehalten wird: Verschwendung von Forschungsmitteln, fragwürdige Berufungen, strukturelle Fehlentscheidungen bei der Entwicklung von Themengebieten.

An dieser Stelle hat sich der Weg von Wissenschaftskommunikation zum Wissenschaftsjournalismus in den letzten zwanzig Jahren gegabelt. Waren die Pressestellen der Hochschulen davor in erster Linie damit befasst, über die Fragen der Medien das Thema Wissenschaft in die Gesellschaft zu tragen, so werden heute eine Vielzahl von eigenen Kanälen bespielt: Social Media, eigene Hochglanzzeitschriften, Wissenschaftsjahre oder Lange Nächte der Wissenschaft.

Und die Szene entwickelt sich ständig weiter. Der ursprüngliche Ansatz der Wissenschaftskommunikation, nämlich Bildung und Belehrung, ist inzwischen passé. Politik und Stiftungen, Vereine und Initiativen fördern Forschungsprogramme mit partizipativen Schwerpunkten – etwa in »Reallaboren«, bei denen wissenschaftliche Untersuchungen in städtischen Quartieren mit Beteiligung der Anwohner stattfinden. Andere Beteiligungsformate sind Diskussionen und Debattenforen, etwa der »Bürgerrat Forschung«, den das BMBF ebenfalls organisiert hat.

Ein Treiber für mehr Partizipation ist die zunehmende Verbreitung der Wissenschaft und der aus ihr hervorgehenden Technik in alle Ecken der Gesellschaft. Bestes Beispiel ist die Digitalisierung immer weiterer Lebensbereiche. Paradoxerweise helfen digitale Medien aber auch dabei, dass sich Falschinformationen und Misstrauen gegenüber der Wissenschaft rasend schnell verbreiten können. »Wir müssen stärker darauf achten, dass das Vertrauen in die Wissenschaft erhalten bleibt«, betonte die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Katja Becker, beim Start der »MS Wissenschaft«, der schwimmenden Ausstellung des Wissenschaftsjahres.

In den 32 Exponaten unter Deck stellten Hochschulen und Forschungsinstitute nicht nur Ergebnisse dar, sondern erklärten die Methoden und Prozesse, wie sie gewonnen werden. »Die Besucher können hier hautnah erfahren, wie Forschung funktioniert«, sagte die DFG-Chefin. Auch in ihrer eigenen Organisation, die vor allem Projekte der Grundlagenforschung in Hochschulen fördert, ist die gesellschaftliche Partizipation auf dem Vormarsch. Wie Becker mitteilte, ist es inzwischen möglich, bei der DFG Mittel zu beantragen, um Laien an der Forschung zu beteiligen.

Der neueste Dreh, um die Gesellschaft stärker für die Wissenschaft zu interessieren, wurde vorige Woche auf dem Festival »Berlin Science Week« vorgestellt: das sogenannte »Public Engagement«. Absicht ist es auch hier, die Bürger aktiv in den Forschungsprozess einzubeziehen. Dieser Ansatz zur Partizipation, in der Wissenschaftslandschaft der USA und Großbritanniens schon seit mehr als einem Jahrzehnt üblich, ist in Deutschland neu. Ein wesentlicher Impuls dafür kam aus Tübingen, wo sich gegen den Aufbau des »Cyber Valley« rund um die Universitäten Tübingen und Stuttgart sowie das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in den letzten Jahren ein kritischer Protest aus der Studentenschaft und der Zivilgesellschaft formierte. Befürchtungen, die KI-Technik könne, etwa durch Forschungen zur Gesichtserkennung, in der Tendenz zum Überwachungsstaat führen, setzten Demonstrationen in Gang.

Für Patrick Klügel, Kommunikationsexperte im Leitungsstab der Uni Tübingen, war damals klar, dass in dieser aufgeladenen Situation die gewohnte Wissenschaftskommunikation nichts mehr bewegen konnte. Neue Ansätze waren gefragt, wie sie etwa das »Public Engagement« verkörpert. Der süddeutsche Impuls traf sich mit Entwicklungen am Berliner Museum für Naturkunde, dessen Direktor Johannes Vogel nach Wegen suchte, über die punktuelle Beteiligung von Bürgern in »Citizen Science«-Projekten hinaus zu einer dauerhaften Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Arbeit der Wissenschaftler zu gelangen. Daraus entstand die »Berlin School for Public Engagement and Open Science« innerhalb des Museums, die seit zwei Jahren tätig ist.

Klügel, der inzwischen zum ersten »Public Engagement Manager« an einer deutschen Universität aufgestiegen war, machte sich zusammen mit seiner Kollegin Rebecca Beiter von der Universität Stuttgart und der Berlin-School daran, die Grundlagen für die neue Kommunikationsrichtung zu legen. »In einem Bottom-up-Prozess mit anderen engagierten Professionals«, so Klügel, wurde ein »Kodex« erarbeitet, der »als Leitfaden für die tägliche Arbeit und als Orientierung für den Kulturwandel in der Wissenschaftskommunikation« dienen soll.

»Public Engagement bringt Wissenschaft und Gesellschaft in einen Dialog und beteiligt die Öffentlichkeit an Wissenschaft und Forschung« – so lauten die ersten Zeilen des 20 Seiten umfassenden Kodex, der vorige Woche im Museum für Naturkunde vorgestellt wurde. Angesprochen sind auf Seiten der Gesellschaft »Bürger:innen, Expert:innen, NGOs, Schulen, Kinder, Vereine, Politiker:innen oder Unternehmen«. Von wissenschaftlicher Seite treten Forschende, Studierende, Professoren und Vertreter von wissenschaftlichen Institutionen »mit diesen Personen in einen wertschätzenden Austausch«, heißt es in den Leitlinien. Wichtig ist die »aktive Rolle«, die den Bürgern zugestanden und von ihnen erwartet wird. »Die Teilnahme an Studien oder passive Datenspenden sind beispielsweise keine Public-Engagement-Formate«, wird klargestellt. Die Forschungsfreiheit dürfe jedoch nicht eingeschränkt werden.

Public Engagement könne in dieser Konstellation »dazu beitragen, dass die Forschung sozial und ethisch reflektierte Innovationen hervorbringt«. Zudem wirke sich Public Engagement »vorteilhaft auf die Demokratie aus: Wenn viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen aktiv in Forschungsprozesse eingebunden sind, gewinnt Forschung an Rückhalt in der Gesellschaft«.

Ob sich dieser Ansatz für eine neue Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland durchsetzt, muss sich noch zeigen. »Citizen Science« – Forschungsprojekte, die von Berufswissenschaftlern gemeinsam mit Laien betrieben werden, gibt es hingegen bereits weit über 200 mit zusammen rund 100 000 Bürgern, die Spaß an wissenschaftlicher Forschung haben.

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