- Politik
- »Alle Dörfer bleiben«
An der Abbruchkante von Lützerath
Über 2000 Menschen demonstrieren für den Erhalt des kleinen Dorfes
Samstagmittag in Lützerath, die Sonne strahlt, der Himmel ist blau, und in dem kleinen Dörfchen an der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler ist es richtig voll. Über 2000 Menschen sind dem Aufruf von Umweltverbänden, Fridays for Future, der Initiative »Alle Dörfer bleiben« und der Gruppe »Lützerath lebt« gefolgt. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Lützerath soll nicht abgebaggert werden, auch wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, seine ebenfalls grüne Amtskollegin Mona Neubaur aus Nordrhein-Westfalen und RWE-Chef Markus Krebber Anfang Oktober etwas anderes verkündet haben. Seit der Entscheidung gegen Lützerath wächst der Widerstandswille wieder an.
Viele, die an diesem Samstag nach Lützerath gekommen sind, sind zum ersten Mal da. Mit einigem Staunen und Bewunderung spazieren sie durch die Gegend und sind fasziniert von Baumhäusern und Türmen, die von den Besetzer*innen gebaut wurden. Auch die vielen Graffiti, die alle Häuser, die noch stehen, schmücken, werden lange betrachtet. »The first Pride was a riot« steht an einem Haus. An einer zur Skaterhalle umfunktionierten Lagerhalle stehen die Namen der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau. Bezüge, die nicht von jedem sofort erkannt werden. Aber oft stehen freundliche Besetzer*innen in der Nähe und erläutern, worum es geht. Etwa, dass man in Lützerath einen intersektionalen Ansatz habe und sich sicher sei, dass Geschlechtergerechtigkeit und die Anerkennung aller Geschlechter sowie der Kampf gegen Rassismus genauso wichtig seien wie der Kampf gegen die Kohle.
Mit einiger Faszination laufen auch viele Menschen an die Abbruchkante des Tagebaus. »Weg der Radikalisierung« steht auf einem Hinweisschild in Richtung des Kohlelochs. Und wer noch nie an einem Tagebau stand, der ist erschrocken über die Ausmaße des Tagebaus. Hier das bunte Lützerath, dort das monotone Loch. Die Gegensätze könnten kaum deutlicher sein.
Einen Teil zur Mobilisierung nach Lützerath dürfte RWE beigetragen haben. Michael Müller, Finanzvorstand des Energiekonzerns hatte am Donnerstag erklärt, dass er eine Räumung Lützeraths in diesem Winter für notwendig hält. Es sei »erforderlich, dass der Tagebau wie geplant« fortschreite, die Kohle werde gebraucht, um Kraftwerke, die aus der Sicherheitsbereitschaft zurückgeholt wurden, zu versorgen. Bei den Demonstrant*innen ist man ganz anderer Meinung. Mit der aktuellen Entscheidung habe man RWE einen »Freifahrtschein« für die Förderung von 280 Millionen Tonnen Kohle allein aus dem Tagebau Garzweiler II erteilt. Das sei nicht mit dem 1,5 Grad-Ziel vereinbar. So bringe der vorgezogene Kohleausstieg nichts. Von der nordrhein-westfälischen Landesregierung fordert das Demo-Bündnis, mit RWE ein Räumungs-Moratorium für Lützerath zu vereinbaren.
Wann wirklich geräumt wird, ist derzeit noch völlig unklar. Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach, ein Grüner, der auch die Räumung des Hambacher Forsts im Spätsommer 2018 leitete, gab sich kürzlich jedenfalls äußerst zurückhaltend. Der »Rheinischen Post« sagte Weinspach, dass vor einer Räumung die »Rechtsgrundlage absolut gesichert« sein müsse. Ein Einsatz wie in Hambach dürfe sich nicht wiederholen. Eine Räumung noch in diesem Winter hält Weinspach für schwierig. Der Polizeieinsatz brauche mehrere Wochen Vorbereitungszeit und soll rechtssicher erfolgen. Möglicherweise schließt sich bald das Zeitfenster der bis Ende Februar dauernden Rodungssaison.
Doch nicht nur um Lützerath ging es den Demonstrant*innen. In Redebeiträgen wurde immer wieder auf die Klimakonferenz in Ägypten und Deutschlands Verantwortung Bezug genommen. Der eindrücklichste Redebeitrag kam dabei von Kaossara Sani, einer Aktivistin aus Togo, die im Act on Sahel Movement aktiv ist. Sani schilderte die Situation in ihrer Heimat, dort verstärke der Klimawandel bereits jetzt Armut, Konflikte und Terrorismus. Sie habe Zweifel, ob sie in der Lage sei genug zu tun, um »das System zu ändern«. Ihre Privilegien seien limitiert. Gleichzeitig habe sie aber auch Hoffnung, dass man gemeinsam etwas ändern könne. An die Demonstrant*innen appellierte Sani, ihre Stärke und Privilegien als »in einem der reichsten Länder der Welt« lebende Menschen zu nutzen. »Ihr seid in der Lage dieses traurige Schicksal für das Leben auf diesem Planeten umzukehren, wenn ihr euer Privileg nutzt und weiter kämpft«, so die Hoffnung der Aktivistin aus Togo. Eine kraftvolle Botschaft und eine Aufforderung an die Menschen, nach Lützerath gekommen sind.
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