• Berlin
  • Nachtragshaushalt Entlastungspaket

Die Bezirksämter kommen ins Schwitzen

Nach der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes geht es nun an die Umsetzung der Entlastungspakete

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Land lässt sich nicht lumpen. Mit dem am Montag verabschiedeten drei Milliarden Euro schweren Nachtragshaushalt wird viel Geld in die Hand genommen, um den Berlinern in der aktuellen Krise unter die Arme zu greifen. Es gehe darum, eine Stadt, die von Armut geprägt ist, nicht weiter in die Armut abrutschen zu lassen, betonte Silke Gebel, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, zuletzt auch noch einmal bei einem Fachgespräch zum Nachtragshaushalt diese Woche. »Am Ende steht und fällt aber alles mit der Umsetzung«, räumte Gebel ein.

Genau bei der Umsetzung sehen Experten trotz allen Lobes für den Nachtragshaushalt noch einige Baustellen. »Das Netzwerk der Wärme löst bei uns mehr Fragezeichen als Hurra-Schreie aus«, sagte Andrea Asch vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz beim Fachgespräch der Grünen-Fraktion. Elf Millionen Euro will der Senat dafür ausgeben, um ein Netzwerk an Begegnungsorten in der Stadt zu schaffen.

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»Es reicht nicht, Orte zu schaffen, wo man zusammen Kaffee trinkt. Das ist auch gut, da muss man aber nicht elf Millionen Euro reinstecken«, findet Asch. Für sie ist es wichtig, dass das Netzwerk »qualifiziert« wird, also Sozialarbeiter vor Ort sind, um die Berliner über ihre Leistungsansprüche zu informieren. Derzeit würde auch die Diakonie sehr viel an Beratungen übernehmen, die die Behörden nicht leisten. Bestes Beispiel ist das Sozialamt Neukölln, das wegen Überlastung derzeit geschlossen ist.

Anette Siegert, die selbst von Grundsicherung lebt und sich in der Kampagne »Ich bin Armutsbetroffen« engagiert, kennt den Kampf mit den Behörden nur zu gut. »Viele von uns warten jetzt schon wochen- und monatelang auf Bescheide. Teils funktionieren Sachen erst nach Beschwerde«, berichtet sie. Wenn der nötige Bescheid auf sich warten lässt, gibt es beispielsweise auch keinen Berlinpass, von dem zahlreiche Ermäßigungen abhängen. Auch die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, mit dem für Kinder aus finanzschwachen Haushalten Kosten beispielsweise für Klassenfahrten oder den Schulbedarf übernommen werden, kämen oft zu spät an. Über Monate müssten diese teils vorgestreckt werden, erklärt Siegert. Die Aktivistin stellt auch die Frage, ob das Netzwerk der Wärme am Ende auch die Menschen erreicht, für die es gedacht ist. »Will man es vielleicht am Ende lieber einfach nur zu Hause warm haben?«

Im Grunde will das Land mit dem Nachtragshaushalt beides leisten. Dabei sei nicht nur die Schnelligkeit, mit der der Haushalt ausgearbeitet wurde, eine Besonderheit, meint Jana Borkamp (Grüne), Staatssekretärin in der Senatsfinanzverwaltung. Es seien nicht lauter Einzelhaushalte verabschiedet worden, stattdessen gibt es mehrere Schwerpunkte, zu denen auch später noch Ausgabeposten zugeordnet werden können, falls auffällt, dass man Wichtiges vergessen habe, so Borkamp. Auch die Rücklagen, die für Energiekosten im Haushalt vorgesehen sind, können noch aufgestockt werden, betont sie. Jetzt gehe es darum zu schauen, was Hilfen sind, die ankommen und nicht »überbürokratisch« sind. Doch auch sie gab zu bedenken: »Wenn wir nicht genug Stellen haben, kommen die Hilfen auch nicht bei den Menschen an.«

Vor welchen Herausforderungen auch die Bezirke stehen, wird vor allem beim Wohngeld deutlich. Die vom Bundestag beschlossene Wohngeldreform sieht vor, dass sich ab Januar die Höhe des durchschnittlich ausgezahlten Wohngeldes verdoppelt. Auch eine deutliche Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten ist vorgesehen. Die Bundesregierung plant, dass sich die Zahl der Wohngeldempfänger verdreifacht. Bearbeiten müssen die Wohngeldanträge in Berlin die Bezirksämter. »Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl der Antragssteller vervierfacht oder verfünffacht, weil es am Anfang Unklarheiten geben wird, wer berechtigt ist«, sagte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) zuletzt im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Zwar ist der Nachtragshaushalt des Landes letztlich auch dafür vorgesehen, den finanziellen Beitrag Berlins zu den Entlastungsmaßnahmen des Bundes zu leisten. Ein kleiner Teil des drei Milliarden schweren Pakets wird somit auch dafür verwendet werden, damit in den Bezirksämtern das nötige Personal eingestellt werden kann, um die Wohngeldreform des Bundes umzusetzen. Insgesamt sind 20 Millionen Euro für »administrative Strukturen« vorgesehen. Diese gehen aber weit über zusätzliche Stellen für die Wohngeldbearbeitung hinaus.

Bisher gibt es berlinweit dafür etwa 100 Stellen in den Bezirksämtern. Mit der Wohngeldreform könnte eine doppelte Anzahl zusätzlich notwendig werden. Da selbst schnelle Besetzungsverfahren im öffentlichen Dienst drei bis vier Monate dauern können und bereits ab Januar Wohngeldanträge bearbeitet werden sollen, kündigte Geisel an, dass das Personal aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, das für die Umsetzung des im vergangenen Jahr vor Gericht gescheiterten Mietendeckels zuständig war, in den Bezirken für die Wohngeldbearbeitung eingesetzt werden soll. Neueinstellungen sind dennoch nötig.

Im Vorfeld der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes warben die Bezirke dafür, ausreichend Stellen einzuplanen. »Dem Wunsch der Bezirke ist zum Teil entsprochen worden«, sagt der Lichtenberger Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) zu »nd«. Von den beantragten 20 Vollzeitstellen hätte man in Lichtenberg 13 bekommen. Die Stellen sind zunächst befristet, sollen aber mit dem nächsten Haushalt entfristet werden. Das sei wichtig, damit diese für Bewerber auch attraktiv sind, meint Hönicke. »Die größte Herausforderung wird aber sein, genügend Personal für die Bezirksämter zu finden. Der Markt für Behördenmitarbeiter in Berlin ist leergefegt«, so der Stadtrat. Am Ende würden noch längere Bearbeitungszeiten für Wohngeldanträge drohen, befürchtet er.

Schon jetzt dauert es berlinweit im Durchschnitt über acht Wochen, bis ein Wohngeldantrag bearbeitet ist – mit einigen extremen Ausreißern nach oben. Einer davon ist Neukölln: Hier kann es sogar über 18 Wochen dauern, wie zuletzt eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Klara Schedlich ergab.

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