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Die Vorhölle Anfang November

Weihnachtsmärkte sind für unseren Kolumnisten ein Graus. Er empfiehlt stattdessen den Gang in ein örtliches Programmkino.

In Hamburg ist schon seit ein paar Wochen Weihnachten. Oder zumindest Weihnachtsmarkt. Im Stadtteil Wandsbek hat der erste Markt der Republik bereits am 4. November aufgemacht, unter dem Tarnnamen »Winterzauber«. Es wird wohl irgendeine Verordnung geben, die Weihnachten kalendarisch genau auf ein bestimmtes Datum im November verortet. Am zurückliegenden Wochenende gab es dann auch bundesweit kein Halten mehr, in den meisten Städten ertönte das erste Mal die musikalische Todesstrafe schlechthin: »Last Christmas«.

Vom Kaff mit ein paar tausend Einwohnern bis nach Berlin schießen jetzt also die Fressstände aus dem Boden. Aus Holzhütten, die eher nicht »von drauss´ vom Walde«, sondern aus der Kunststofffabrik stammen, dringen landauf, landab dicke Wolken aus Frittierfett, musikalisch umrahmt vom Scheußlichsten und Kitschigsten, das hierzulande je komponiert wurde, sieht man einmal von den Untaten des Xavier Naidoo ab. Das Ganze ist so traurig, dass man selbst den Marketingleuten der Stadt Hamburg anmerkt, wie schwer es war, ihren »Winterzauber« auch noch werbend zu bedichten: »In einem romantischen Winterdorf können sich die Besucher mit köstlichen Leckereien von der Bratwurst bis zum Schmalzgebäck und zünftigen Getränken stärken.« Die Bratwurst als »köstliche Leckerei«, so was schreibt keine Pressestelle ohne Tränen in den Augen. Doch da das Signalwort »Bayern« selbst im hohen Norden als Inbegriff von Gemütlichkeit auf eigenen Arschbacken gilt, wird bajuwarisch weitergedichtet: »Alpenländisch gemütliche Atmosphäre bietet besonders die große Alm-Hütte mit offenem Kamin.« Die Alm-Hütte in der grauen Tiefland-Tristesse. Schön ist das nicht. Aber offenbar ein Erfolgsmodell. Wenn Deutsche feiern, egal, ob im Sommer beim Volksfest oder im Winter beim Weihnachtmarkt, muss es bayrisch anmuten. Zumindest so, wie sich Nicht-Bayern Bayern vorstellen. »Auf geht`s, Buam« und so.

Christoph Ruf
Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Die große Uniformität in den Wintermonaten ist allerdings der würdige Abschluss eines Jahres, in dem sicher auch in ihrer Stadt wieder ein paar Handwerksbetriebe dichtgemacht haben, die nächste Burger-Kette aufgemacht, das Sportgeschäft durchs Sport-Geschäft im Internet ersetzt wurde. Die Innenstädte arbeiten mit Hochdruck daran, immer ähnlicher zu werden. Da scheint auch die an sich erfreulichste Nachricht der letzten Wochen nichts daran zu ändern, wonach nicht nur im Hause Twitter, sondern auch bei Amazon die Geschäfte mies laufen.

Zuckriger Glühwein, überteuerter Fraß und Glocken, die süßer nie klingen. Als ob das an einem Werktag gegen 18 Uhr nicht schon die Vorhölle an sich wäre, ist die Alternative derweil noch grausiger: die Fußball-WM in Katar, die laut Umfragen zwischen 39 und 50 Prozent der Menschen hierzulande so wenig interessiert, dass sie kein einziges Spiel sehen wollen – was natürlich löblich ist. Als eine Alternative empfiehlt sich der Gang ins Kino, jenem Ort, den Deutsche so erstaunlich selten aufsuchen – und wenn dann oft nur, um sich irgendwelche Marvel-Filme anzuschauen.

Ich bin jedenfalls regelrecht erschrocken, als ich jüngst eine Statistik gesehen habe, wonach die in Deutschland eh schon stark rückläufigen Kinobesuch in diesem Jahr noch einmal gesunken sein sollen. Im ersten Halbjahr wurden gerade einmal 33 Millionen Eintrittskarten verkauft. Zumal die 53 Millionen, die im ersten Halbjahr 2019 verkauft wurden, schon wenig waren. Es gehört auch nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass es dann um die kleinen Off-Theater und die ebenfalls von der Politik weitgehend ignorierte Club-Szene ähnlich stehen dürfte. In diesem Sinne also: Raus aus dem Haus, rein ins Konzert. Wenn von dieser WM das Signal ausginge, dass den Leuten ihre Subkultur vor Ort doch noch etwas wert ist, wäre sie wenigstens zu irgendwas nütze gewesen.

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