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- Film »Sonne«
Zwischen Social Media und Selbstfindung
In ihrem Film »Sonne« stellt die irakisch-österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub die Frage nach der Zugehörigkeit
Wenig bekannt ist, dass Ulrich Seidl nicht nur als Regisseur, sondern auch als Produzent in Erscheinung tritt. Neben seinen eigenen Filmen produziert er regelmäßig auch die Werke anderer Filmemacher. Voraussetzung für sein Interesse ist, dass diese Regisseure seine künstlerische Weltsicht teilen und wie er versuchen, »das Widersprüchliche in unserem Handeln und Denken als Essenz des Menschseins zu ergründen«, wie er es in Bezug auf seine eigenen Filme formulierte.
Auf die junge österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub trifft diese Einschätzung offenkundig zu. Ayub ist Kurdin, im Irak geboren, aufgewachsen in Wien, wo sie Kunst und Experimentalfilm studierte. In ihren Filmen be- und hinterfragt sie ihre Identität als zwischen den Welten Lebende, so zum Beispiel 2016 in Form eines Dokumentarfilms, in dem sie ihren Vater in den Irak begleitet, dessen Enthusiasmus allerdings nur schwer teilen kann (»Paradies! Paradies!«). »Sonne« ist ihr erster langer Spielfilm. In der sehr persönlichen Geschichte dreier Wiener Teenagerinnen aus einem Stadtteil, der überwiegend von Migranten bewohnt wird, stellt sie wiederum die Frage nach der Zugehörigkeit.
Yesmin ist als einzige der drei Freundinnen kurdische Muslimin, steht ihrer Kultur aber zunehmend distanziert gegenüber. Dafür sind Nati und Bella umso faszinierter von der ihnen fremden Welt, den nach tradierten Regeln ablaufenden Hochzeits- und anderen Festen und den feschen kurdischen Jungs. In der Nachmittagslangeweile nach der Schule verkleiden sie sich eines Tages mit den Hijabs von Yesmins Mutter und nehmen zu dritt einen Popsong auf, der in der lokalen kurdischen Community sogar ein veritabler Social-Media-Hit wird.
Am Ende werden Nati und Bella sich in zwei junge kurdische Patrioten verliebt haben und auf dem Weg in den Irak nach Erbil sein. Was sie dort suchen und wollen, bleibt unklar, wie es überhaupt falsch wäre, einen stringenten und dramaturgisch logischen Handlungsstrang zu erwarten. Was den Film außergewöhnlich macht, ist der authentische Einblick in eine Jugendkultur zwischen Social Media und Selbstfindung. Nicht nur sind die meisten der Darsteller Laien, sie spielen praktisch ihr eigenes Leben.
Die drei Hauptdarstellerinnen wirken extrem authentisch, viele ihrer gemeinsamen Szenen haben einen fast dokumentarischen Charakter. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwinden nicht nur einmal; so werden Yesmins Eltern von den wahren Eltern der Regisseurin gespielt.
Dass die Welt der digitalen Medien einen großen Platz im Leben der jugendlichen Darsteller einnimmt, dürfte niemanden mehr verwundern. Mit dem Smartphone gefilmte Clips sind ein wesentliches narratives Stilmittel des Films. Bewusst nimmt die Regisseurin den vermeintlichen Qualitätsverlust in Kauf, um dafür mit der Street Credibility der von den Jugendlichen selbst gedrehten Videos zu punkten.
»Sonne« umkreist durchaus schwere Themen wie Flucht, Fremdheit und Nationalismus, ohne deshalb zu einem Problemfilm zu werden. Im Gegenteil merkt man ihm das Bestreben an, sich selbst nicht so furchtbar ernst zu nehmen. Diese Eigenschaft zeichnet offenkundig auch die Regisseurin aus, die im Presseheft von einer Probevorführung des Films vor Frauen, ähnlich wie die Hauptfigur Yesmin, erzählt: »Zum Schluss haben manche die Handlung des Films zwar nicht verstanden, aber fanden ihn glaubwürdig. Reicht für mich. Ist halt Arthouse.«
»Sonne«: Österreich 2022. Regie und Buch: Kurdwin Ayub. Mit: Melina Benli, Law Wallner, Maya Wopienka, Kerim Dogan, Omar Ayub, Awini Barwari. 88 Min. Start: 1. Dezember.
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