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Kinderintensivstationen überlastet
Aktuelle Klinikumfrage belegt dauernde Notlage bei der Versorgung schwerkranker Heranwachsender
»Ein normaler Tag auf unserer Kinderintensivstation beginnt häufig damit, dass wir feststellen, dass von sechs betreibbaren Betten sieben belegt sind.« Das berichtete der Kinderintensivmediziner Florian Hoffmann am Donnerstag auf dem Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Die Fachgesellschaft war in der Covid-Pandemie dadurch bekannt geworden, dass sie ein tagesaktuelles Register der verfügbaren Intensivbetten einrichtete, das sie bis heute betreibt. Die Beschreibung des an einer Münchner Klinik tätigen Oberarztes Hoffmann erfasst die immer häufigere Situation, dass Kinderintensivstationen keine weiteren Patienten aufnehmen können. Weil das auch regional gleichzeitig in vielen Krankenhäusern so ist, gibt es Zwangsaufnahmen. Für diese zusätzlichen Patienten müssen die Abteilungen alle Kräfte mobilisieren. Die Dauerbelastung der dort Tätigen wird zur Überlastung.
An dem geschilderten »normalen Tag« wüssten die Intensivmediziner und -pflegekräfte, dass eigentlich zwei Operationen geplant seien, so Hoffmann: Einem Kind müssten Metastasen in der Lunge entfernt werden, für ein weiteres stehe ein komplizierter kiefermedizinischer Eingriff an. Ein anderes Kind könnte vermutlich an diesem Tag in eine andere Abteilung verlegt werden. Gleichzeitig aber, so berichtet der Mediziner, lägen in der Notaufnahme in Behandlungszimmern noch drei Kinder, die in ganz Bayern keinen Platz in einer Kinderintensivmedizin gefunden hätten. Eines davon werde seit 48 Stunden mit Sauerstoff versorgt. In der Nacht des »normalen Tages« müsse noch ein Kind mit akutem Lungenversagen aufgenommen werden, um Mitternacht seien dann acht von sechs regulären Betten belegt. »Das können wir an einem Tag pro Jahr machen, aber nicht auf Dauer. Wenn wir immer weit über dem Limit arbeiten, leidet bald die Qualität«, resümiert Hoffmann.
Für die auf dem Kongress versammelten Kinderintensivmediziner sind die geschilderten Zustände keine Ausnahme. Vor wenigen Tagen wurden 130 Kliniken angeschrieben, von denen 110 Auskünfte über die Lage in ihren pädiatrischen Intensivtherapiestationen (ITS) gaben. Bei optimalen Bedingungen könnten dort insgesamt 607 Betten betrieben werden. Aktuell, also am Tag der Befragung nutzbar waren aber nur 367, also etwa 40 Prozent weniger. An diesem 24. November gab es in ganz Deutschland 83 freie Kinderintensivbetten. Jede zweite Klinik hatte in den vorangegangenen 24 Stunden die Aufnahme eines jungen Patienten ablehnen müssen. Von den 110 Kinderkliniken hatten 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei.
Die schwierige Lage ist nicht allein dem aktuellen Peak bei den akuten schweren Atemwegserkrankungen kleiner Kinder zu verdanken. »Die Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen«, moniert Hoffmann. Die Intensivmediziner haben durchaus Vorstellungen davon, wie die Probleme gelindert werden könnten. So fordern sie, dass Kinderkliniken zur Ausbildung in der Kinderkrankenpflege verpflichtet werden müssen. Durch die generalisierte Pflegeausbildung kommen viele potenzielle Interessentinnen für die Kinderkrankenpflege nicht mehr in den Beruf. Der allgemeine Ausbildungsgang hat nur einen kurzen Teil, der den Jüngsten gewidmet ist. Die Krankenhäuser, die spezialisierte Kräfte brauchen, müssen selbst weiterbilden, mit mindestens noch einmal 200 Stunden. Das ist dann allerdings aus den Mitteln der Kliniken zu finanzieren.
Ein weiterer Punkt sind bessere Arbeitsbedingungen, auch mit Konzepten für den Personalausfall. Freizeit müsse Freizeit bleiben, Urlaub störungsfrei. In der Praxis gibt es laut Karin Becke, leitende Anästhesistin einer Kinderklinik in Nürnberg, einige Stellschrauben, an denen jetzt schon gedreht werden könnte: Unter anderem geht es um Bettenschließungen und die Verschiebung einfacher, planbarer Operationen. Größere Kinder könnten zur Not in Erwachsenenstationen behandelt werden. Eine verlässliche Finanzierung bleibt Grundforderung an die Politik, unter anderem für Personal, das Spezialpflegekräfte entlasten könnte.
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