Alle Preise gehen hoch

Warum geht es den Zeitungen so schlecht? Eine Bestandsaufnahme

  • Johannes Reinhardt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Produktions- und Vertriebskosten steigen exorbitant an, während die Abonnementzahlen und Anzeigeneinnahmen sinken: Zeitungsverlage sind – nicht nur hierzulande – in einer scheinbar unauflösbaren Abwärtsspirale gefangen. Das Phänomen ist gewiss nicht neu, hat aber in diesem Jahr noch einmal an Tempo gewonnen.

Die enormen Preissteigerungen für Energie und fast alles andere treffen auch die Zeitungsbranche hart. Innerhalb eines Jahres hat sich der Einkaufspreis für Papier mehr als verdoppelt. Ende 2021 kostete eine Tonne Papier zwischen 400 und 500 Euro, derzeit liegt der Preis zwischen 900 und 1100 Euro. Einerseits sind die Papierpreissteigerungen unmittelbar auf die gestiegenen Energiekosten zurückzuführen, denn die Trocknung der recycelten Papiermasse, aus der Tageszeitungen hergestellt werden, benötigt sehr viel Energie. Andererseits haben viele Papierfabriken in den vergangenen Jahren auf die Produktion von Wellpappe umgestellt, denn mit Verpackungsmaterialien lassen sich aufgrund des weiterhin wachsenden Online-Handels höhere Gewinne erzielen als mit Zeitungspapier.

Daneben sind in den vergangenen zwölf Monaten aber auch die Preise für Druckplatten und -farben gestiegen. Zudem berichten Verlage, dass viele Druckereien mittlerweile monatlich ihre Preise weiter erhöhen beziehungsweise Materialaufschläge verlangen. Die gestiegenen Produktionskosten können die Verlage allerdings nicht vollständig an ihre Leser*innen weitergeben, denn die Abonnementzahlen sind ohnehin rückläufig. Millionen Menschen sind hierzulande von der anhaltend hohen Inflation so existenziell bedroht, dass sie kaum noch ausreichend Lebensmittel kaufen können. Ein Tageszeitungsabonnement ist für sie bereits heutzutage ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Um möglichst viele zahlende Leser*innen zu halten, bemüht sich ein Großteil der Verlage daher, die Preise ihrer Zeitungen nur moderat zu erhöhen.

Insbesondere regionale Tageszeitungen haben in den vergangenen Monaten ihren Seitenumfang reduziert, um die gestiegenen Produktionskosten anders auszugleichen. Doch auch sie haben ein weiteres Problem: Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde haben die Kosten für die Zustellung der Tageszeitungen einen großen Sprung gemacht. Nachts bei Wind und Wetter Zeitungen auszutragen, ist, gelinde gesagt, ein Drecksjob. Obwohl der tatsächliche Skandal ist, dass für diese Tätigkeit bisher unter zehn Euro in der Stunde gezahlt wurde, beschwerten sich die deutschen Verlagsverbände darüber, dass Zeitungsausträger*innen nicht von der Mindestlohnerhöhung ausgenommen sind. Als 2015 hierzulande der Mindestlohn eingeführt wurde, war das noch anders. Damals schuf die Bundesregierung eine dreijährige Übergangsregelung für Zeitungszusteller*innen, in der eine schrittweise Anhebung des Lohns stattfand; erst seit 2018 gilt für diese Arbeit der generelle gesetzliche Mindestlohn.

Die Ausbeutung geringqualifizierter Lohnabhängiger gehört seit Jahrzehnten zur morgendlichen Zeitung am Frühstückstisch – und sie ist, wenn man ehrlich ist, auch nicht vorbei, nur weil nun zwölf Euro in der Stunde gezahlt werden. Denn die letzte Mindestlohnerhöhung gleicht bei den derzeitigen Verbraucherpreissteigerungen von über 20 Prozent auf Lebensmittel und über 40 Prozent auf Energie, wenn überhaupt, gerade mal das Nötigste aus.

Um die Kosten wieder zu senken, fordert unter anderem der Verband Deutscher Lokalzeitungen von der Bundesregierung eine Subventionierung der Zeitungszustellung. Eine derartige Förderung hatte die Bundesregierung sogar bereits in ihrem Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt, und Mitte September forderte der Bundesrat die Ampelkoalition auf, »schnellstmöglich (…) Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen auch tatsächlich weiterhin gewährleisten zu können«. Der Bundesrat verwies dabei auch darauf, dass die freien Medien »ein wesentliches Element unserer demokratischen Ordnung, ein besonders schützenswertes Kulturgut und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit einer herausgehobenen Verantwortung« seien.

Allerdings hat die Bundesregierung bislang nicht gehandelt. Der kürzlich beschlossene Haushalt für das Kalenderjahr 2023 enthält keinen entsprechenden Posten. Problematisch dürfte vor allem die Frage sein, wer die Förderung erhalten soll, denn derartige Subventionen könnten den Printmedien einen Wettbewerbsvorteil gegenüber reinen Online-Medien verschaffen. Im Frühjahr 2021 stampfte die damalige Bundesregierung von Union und SPD bereits ein Medienförderungsprojekt ein, das Printmedien bei der Digitalisierung unterstützen sollte – obwohl der Bundestag bereits 220 Millionen Euro für das Projekt bewilligt hatte. Aber es gab die berechtigte Befürchtung, dass reine Online-Medien wegen Wettbewerbsverzerrung klagen könnten und damit wohl auch Erfolg gehabt hätten.

Die verkaufte Auflage vieler Tageszeitungen hat sich hierzulande allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als halbiert. Damit einhergehend sind auch die Werbeeinnahmen stark gesunken – nicht zuletzt, weil gerade jüngere Menschen, also die werberelevante Zielgruppe, Medien vor allem online konsumieren. Die Erlöse aus Kleinanzeigen waren bereits in den Nullerjahren eingebrochen, als sie günstig und überregional im Internet inseriert werden konnten.

»Wenn nicht zeitnah eine sachgerechte Förderung kommt, ist in vielen Teilen Deutschlands die Zustellung der Presse wirtschaftlich nicht mehr darstellbar«, heißt es auch in einer gemeinsamen Pressemitteilung des Medienverbands der freien Presse, des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDVZ) sowie des Bundesverbands Deutscher Anzeigenblätter. Denn insbesondere für lokale Tageszeitungen gibt es keine realistischen Alternativen zu den Austräger*innen. Der Versand mit der Deutschen Post wird ebenfalls immer teurer und ist zudem noch unzuverlässig. Überregionale Tageszeitungen und Wochenzeitungen, die mit der Post versenden, berichten von extremen Verzögerungen bei der Lieferung an die Abonnent*innen, die wiederum zu Unmut und Kündigungen führen.

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Wenn also die Ausgabe vom Dienstag erst Mittwochmittag im Briefkasten liegt und dazu nur die Informationen liefert, die man montags bereits im Internet lesen konnte, ist es geradezu schade um das teure Papier. Andererseits können die von den meisten Medien angebotenen Online-Abonnements, obwohl sie zunehmen, nicht die Kündigungen im Printbereich auffangen. In der Folge droht einer Studie des BDVZ zufolge eine Pleitewelle bei den lokalen Zeitungen, bis 2025 könnte es demnach in 40 Prozent der deutschen Kommunen keine lokalen Medien mehr geben. Welche fatalen Folgen das haben könnte, zeigt ein Blick in die USA, wo die Phänomene des Spätkapitalismus bekanntlich immer ein paar Jahre früher als hierzulande greifen. Wie in Deutschland hat sich dort in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der verkauften Zeitungen etwa halbiert, in über 200 Counties gibt es keine Lokalmedien mehr. Im vergangenen Jahr kam eine Studie der Universität Harvard zu dem Schluss, dass in den Kommunen ohne Lokalpresse Wirtschaftskriminalität und Umweltverschmutzung stark zugenommen hätten.

Allerdings ist zweifelhaft, inwiefern diese Erkenntnisse übertragbar sind. Denn auch wenn die ökonomische Krise der Printmedien hierzulande derzeit noch einmal besonders akut ist, hält sie bereits seit Jahren an. Und selbst die lokalen Tageszeitungen, die es noch gibt, haben bereits vor Jahren ihre Redaktionen zusammengekürzt und teilweise auch zusammengelegt. Einzelne Teile der Zeitungen werden bereits zentral von sogenannten Redaktionsnetzwerken erstellt, dann findet sich beispielsweise derselbe Artikel jeweils in der regionalen Tageszeitung von Rostock und Osnabrück. Hingegen sind die tatsächlichen regionalen Redaktionen so klein, dass Aufträge für investigative Recherchen gar nicht mehr vergeben werden können.

Auch dieser Trend zur Zusammenlegung dürfte die Pressevielfalt gefährden. Zudem haben die Verlage mit diesem Konzept die Lokalzeitungen, deren Rettung sie nun verlangen, selbst gewissermaßen obsolet gemacht. Sie haben für eine Entfremdung von den Leser*innen gesorgt. Ohne exklusive Reportagen oder Hintergrundberichte, die aus der Perspektive der jeweiligen Region geschrieben sind, ist jede Lokalzeitung überflüssig. Denn die in Berlin aus Agenturmeldungen zusammengeschriebenen Berichte kann man bereits einen Tag früher online lesen.

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