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- Razzia gegen Reichsbürger
BKA rechtfertigt Zeitpunkt von Razzien
Auch US-Geheimdienste könnten Ermittlungen zur Reichsbürger-Szene unterstützen
Nach den Durchsuchungen und Festnahmen in der Reichsbürger-Szene gehen die Ermittlungen weiter. Das BKA habe weitere Personen identifiziert, »von denen wir noch nicht genau wissen, welchen Status sie im Bezug auf diese Gruppe haben«, sagte dessen Präsident Münch am Donnerstag.
Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich insgesamt 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen sollen Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Alle 23 in Deutschland Festgenommenen sind nunmehr in Haft. Wann die beiden im Ausland gefassten Männer den Ermittlungsrichtern vorgeführt werden, konnte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag nicht sagen.
Man habe nicht bis zum letzten Moment warten, aber genug Beweise sammeln wollen, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele, erklärte BKA-Präsident Münch zum Zeitpunkt der Razzien. Laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatten die Behörden die Gruppe seit dem Frühjahr im Visier. Ihre Planungen seien dann immer konkreter geworden, es seien Waffen beschafft worden. Generalbundesanwalt Peter Frank verteidigte den Termin für die Großrazzia ebenfalls. Innerhalb der Vereinigung soll es Diskussionen gegeben haben, ob bestimmte Anlässe von außen nicht Grund zum Losschlagen hätten sein können.
Auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte davor, die Gruppe zu unterschätzen. Sie sei gefährlich, weil sie »einen militärischen Arm« habe, »mit Menschen, die früher in der Bundeswehr waren, also auch mit Waffen umgehen können«, sagte die SPD-Politikerin. Bei Behörden, die mit Waffen zu tun hätten, etwa bei Bundeswehr oder Bundespolizei, müsse man »noch mal genauer hingucken«. Bisherige Analysen des Verfassungsschutzes haben hierzu allerdings nur niedrige Zahlen gefunden. Ein Lagebericht vom Mai zählt zwar 48 Fälle bei Polizeien von Bund und Ländern sowie der Bundeswehr. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz selbst und dem Bundesnachrichtendienst wurde indes kein einziger Reichsbürger entdeckt.
Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, forderte ein konsequenteres Vorgehen gegen rechte Netzwerke in den Behörden: »Darunter sind Menschen, die ausgebildet sind im Umgang mit der Waffe, die Zugang zu Waffen und zu sensiblen Daten haben. Deswegen ist es so wichtig, rechte Netzwerke innerhalb von Bundeswehr und Polizei konsequent aufzuklären und zu zerschlagen.« Es zeige sich hier einmal mehr, dass die Gefahr von rechts existiere und seit Jahren wachse. »Die AfD spielt dabei eine gefährliche Rolle«, ergänzte Wissler. In der Vergangenheit habe es viele Versäumnisse gegeben. So zeige etwa die Tatsache, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) diesmal wieder eine Rolle spiele, dass man in der Vergangenheit nicht konsequent gegen bekannte rechte Strukturen und Fehlentwicklungen vorgegangen sei.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) machte indes auf Verbindungen der Reichsbürger zur in seinem Bundesland vom Verfassungsschutz beobachteten AfD aufmerksam. Die AfD habe sich immer weiter radikalisiert, sagte Maier. Noch deutlicher wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), die die AfD als »parlamentarischen Arm der Neofaschist*innen« bezeichnet. Was das bedeute, könne man sich unschwer ausmalen: »Linke, politisch Andersdenkende, als ›fremd‹ Stigmatisierte und alle, die für eine friedliche, freie und gerechte Gesellschaft einstehen, finden sich auf Feindeslisten der rechten Umstürzler und sind in Gefahr.«
Verwunderung gab es indes darüber, dass die Behörden mehrere Investigativressorts deutscher Medienhäuser vorab über die Großrazzia informiert hatten. Dies hatte die Linken-Abgeordnete Martina Renner bereits am Mittwochmorgen auf Twitter kritisiert. Die Razzia sei seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis gewesen. »Das ist aus Lesersicht ja ganz praktisch, aber für den Fahndungserfolg vielleicht doch problematisch?«, schrieb der Gründer des Portals Übermedien, Stefan Niggemeier, ebenfalls auf Twitter.
Ein unerwartetes Angebot zur Unterstützung gegen die Reichsbürger-Szene kommt von der US-Regierung. Die dortigen Behörden stünden bereit, »um zu helfen, wenn wir darum gebeten werden«, antwortete eine Sprecherin des Weißen Hauses auf die Frage, ob die USA Deutschland auch Geheimdienstinformationen anböten. Washington begrüße die Sorgfalt der deutschen Regierung und ihrer Strafverfolgungsbehörden im Kampf »gegen gewalttätigen Extremismus«.
Reichsbürger könnten davon besonders enttäuscht sein: Nach ihrer Ansicht wird Deutschland derzeit von Angehörigen eines »Deep State« regiert, so schreibt es jedenfalls die Bundesanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung zu den Razzien am Mittwoch. Befreiung verspreche demnach das unmittelbar bevorstehende Einschreiten einer »Allianz«, eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Geheimdiensten und Militärs verschiedener Staaten, darunter auch Russland und die USA. Mit Agenturen
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