Grundkurs Dummdeutsch

»Zeitenwende« wurde zum Wort des Jahres 2022 gekürt

Seit Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung im Februar 2022 von "Zeitenwende" sprach, findet die Formulierung inflationären Gebrauch.
Seit Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung im Februar 2022 von "Zeitenwende" sprach, findet die Formulierung inflationären Gebrauch.

Alljährlich kürt die in Wiesbaden ansässige Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) das Wort des Jahres. Und ein Exempel aus der Phrasenwelt von Polit- und Medienbetrieb wird dann gleich nochmal durch Radio, Zeitungsredaktionen und Online-Kanäle rausposaunt – als hätte man dessen inflationären Gebrauch nicht schon über Monate ertragen müssen. Unter 2000 Einsendungen fiel die Wahl nun auf Olaf Scholz’ Formulierung »Zeitenwende«, die die Diskussionen des zurückliegenden Jahres laut Jurorenvotum geprägt habe. Die GfdS beschreibt ihre Worte des Jahres selbst als »verbale Leitfossilien« und zeigt damit, dass das Sprachgefühl in der hessischen Landeshauptstadt etwa auf dem Niveau eines durchschnittlichen Werbetexters liegt.

»Zeitenwende« ist eine leere Phrase, und es ist ein schönes Paradox, dass sie umso bedeutungsärmer wird, je häufiger sie in Gebrauch ist. Scholz hat in seiner Regierungserklärung im Februar dieses Jahres mit dem Wort die veränderte weltpolitische Lage nach Russlands Angriff auf die Ukraine beschrieben. Nun ist der Kanzler bisher nicht durch Originalität aufgefallen, und so hat er bereits 2017 in seinem Buch »Hoffnungsland. Eine neue deutsche Wirklichkeit« den Begriff in alle Richtungen gedehnt und damit wahlweise die Digitalisierung aller Lebensbereiche oder die Ankunft Geflüchteter in Europa bezeichnet.

Wie nutzlos die Einrichtung Wort des Jahres ist, wird daran deutlich, dass nun zwar über eine Formulierung öffentlich diskutiert wird, aber weder das sprachliche Unvermögen der politischen Klasse ausreichend analysiert und kritisiert, noch der verschleiernde Charakter speziell dieser Begrifflichkeit offengelegt würde. »Zeitenwende« ist ein Euphemismus für Aufrüstung, Waffenlieferungen und diplomatisches Versagen. Vor dieser »neuen deutschen Wirklichkeit« sollte man sich in Acht nehmen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.