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Noch viel Platz
Was ist und wie klingt eigentlich Underground heute? Eindrücke von einem Berliner Festival
Von Donnerstag bis Sonntag fand in den drei Berliner Veranstaltungsorten Silent Green Kulturquatier, Panke Club und Galerie Gr_und*, das in Boheme-Kreisen schon seit längerer Zeit ästimierte »Underground Institute Festival 2022« statt. Organisiert von den zwei Musiker*innen Mary Ocher und Manu Louis, soll es Auffangstelle und Präsentierteller avantgardistischer Popmusik und Klangkunst sein oder sich dazu entwickeln.
Namhafte Gäste ließen einen wieder mal innewerden, wer denn da eigentlich einen substanziellen Teil dieses bodenlosen, musikalischen »Untergrunds« ausfüllt. Es war wie ein schneller Blick ins Dunkel, um dem zuzuhören, was da unten stattfindet, und zu erkennen, welche internationalen und kosmopolitischen Partys gefeiert werden.
Angedacht war am Donnerstag ein Talk über die kitzlige Frage »Was ist Underground Music?« mit der schwedischen Musikerin Molly Nilsson, die aus Stockholm kommt, aber in Berlin lebt, dem aus Buenos Aires stammenden Industrial-Punk-Duo Mueran Humanos und der New Yorker Punklegende Martin Rev des einstigen Duos Suicide. Sie sollten sich über diese drei bis vier unterschiedichen Metropolen und Kontinente, denen sie entsprungen waren, unterhalten.
Was aber Underground-Ikone Mary Ocher und das Publikum erst einmal eine halbe Stunde lang zu Gehör bekamen, waren langatmige Ausführungen von Tomas Nochteff (Mueran Humanos) und Martin Revs, die sich auf eine unangebrachte, altväterliche Art einzig und allein über männliche Stars ausließen. Wie Überlebende einer angeblich besseren Zeit, in der noch Allen Ginsberg und The Clash agierten, quatschten sie eine ganze Weile an dem vorbei, was eigentlich Thema des Abends war.
Gelegentlich schmetterten sie Kalendersprüche wie: »Leb einfach dein Leben!« oder »Du musst nichts an deinem Leben opfern. Man entwickelt sich von innen heraus!« in den hallenden Saal, bis dann eine gelb gekleidete Intervention namens DJ Marcelle diesen Alte-weiße-Männer-Talk störte und Mary Ocher darum bat, auf das Thema und seine weiblichen Perspektiven zurückzukommen.
Und hier eine Zusammenfassung: Underground ist eine Gemeinschaft, die man erst sieht, sobald sie verschwunden ist, Underground ist eine Alte-Zeiten-Melancholie, Martin Rev meint sogar, Underground zu sein, wäre eine »erdende Erfahrung«. Aber wie kann eine bewusste Entscheidung gegen Massentauglichkeit, eine alltägliche Entscheidung für künstlerische Freiheit in einer unbändigen Welt, eine erdende Erfahrung sein? Es gibt keinen finanziell abgesicherten Boden unter den Füßen der Underground-Künstler*innen, den gab es auch nicht in den vermeintlich guten alten Zeiten.
Aber die Welt dreht sich weiter: Major Labels haben seit den 70er Jahren, als Suicide bekannt wurden durch das Internet, an Bedeutung und Geld verloren. Und waren in den viel gepriesenen 80er und 90er Jahren Kunst- und Kultur-Förderungen oft noch als ein Pakt mit einem Teufel namens »Staat« verpönt, so werden sie heutzutage vielfach angestrebt. In Wettbewerbs-Strukturen auf staatliche Gelder angewiesen zu sein, hat vielleicht nichts mehr mit dem Anarchismus der sexy Seventies zu tun, ist aber das Morgen. Wahrscheinlich auch die Zukunft des »Underground Institute«-Festivals, welches im Übrigen vom Musikfonds gefördert wurde.
Musikalisch wurden diese Ausführungen und Erkenntnisse rund um den Unterground dann von künstlerischen Beiträgen von Ka Baird, El Khat (solo) und DJ Marcelle ästhetisch erweitert. Ich muss zugeben, dass ich nicht viel mit »avantgardistischen Klang-Performances« anfangen kann und ich eher kotze als protze, wenn über sphärische »Klanglandschaften« gesprochen wird. Einfach nicht mein Style. Die erste Performance von Ka Baird klang nach der Zeugung eines Kindes von Computer und Fledermaus, unterlegt mit krächzenden Störgeräuschen, von denen ich nur noch befangener wurde. Doch später hellte es musikalisch auf und El Khat haute mit seiner Solo Performance alle vom Hocker, ließ anschließend Holzstühle singen und spielte seine Laute wie eine Harfe und dann wiederum wie einen Hardcore Bass. DJ Marcelle stand abschließend ganz gelb da, bastelte Soundcollagen und ließ in einer dazu laufenden Video-Installation alle Bewohner*innen ihres Mikro-Organismus sprechen, schreien und jodeln. In den Videos sah man, wie DJ Marcelle Mikros an Männerhintern, The Slits, Karl Marx und in Mülleimer hielt und sie Schreie, Talks und Sirenengesänge von sich geben ließ, welche sie durch bunte Tischdeckchen dämmte. Ein wahrer Pult-Kult, der mich sensationsgierig macht.
Ich hörte und weiß nun also für mich, dass Underground sich von innen nach außen, vielleicht von unten nach oben entwickeln kann. Grenzen verschwimmen, egal ob von Hip-Hop zu Fledermaus-Sounds, oder Zwölftonmusik zu Gabber. Underground ist ein unterirdischer Space ohne Grenzen und Boden, mit noch viel Platz.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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