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Rote-Liste-Arten im Wohnzimmer
Citizen Conservation vermittelt geschützte Frösche und Lurche an private Halter. Geschäftsführer Björn Encke erklärt, warum Arterhaltung nicht mehr alleine Sache von Zoos bleiben kann.
Herr Encke, viele Menschen haben ja eine eher kritische Haltung gegenüber Zoos, in denen Tiere in Gefangenschaft gehalten werden. Warum sind die Zoos so wichtig?
Björn Encke ist als Sohn des Zoodirektors im Krefelder Zoo aufgewachsen. Er studierte Volkswirtschaftslehre sowie Kultur- und Medienmanagement, berichtete über ein Jahrzehnt im ZDF u.a. über Tiere und Zoos, bevor er als Marketingleiter des Zoos Magdeburg die Seiten wechselte. 2014 gründete er mit Mitstreitern aus Medien und Wissenschaft Frogs & Friends e.V., eine Art PR-Agentur für Amphibien sowie in der Folge Citizen Conservation.
Zoos sind die einzigen Institutionen, die weltweit vernetzt und aktiv sind, die sich konkret mit den Lebensansprüchen und Bedürfnissen von Wildtieren beschäftigen und die sich seit den 1980er Jahren darum bemühen, stabile Reservepopulationen für bedrohte Arten aufzubauen. Diese Infrastruktur werden wir in den kommenden Jahrzehnten zwingend brauchen, wenn wir eine Chance haben wollen, dem Kollaps der Systeme im Bereich der Biodiversität etwas entgegenzusetzen. Das schaffen wir nur, wenn wir alle Kompetenzen zusammenbringen, d.h. in diesem Fall die Wissenschaft, den Naturschutz mitsamt den Menschen vor Ort und die Expertise im Bereich der Tierhaltung. Der Diskurs über die Frage, ob wir als Menschen Tiere halten dürfen und wenn ja, wie, spielt sich auf einer anderen Ebene ab, da sind wir im Bereich der Ethik. In dieser Frage stehe ich ganz klar auf einem verantwortungsethischen Standpunkt. Wir allein sind verantwortlich für die aktuelle Situation, und wir allein haben jetzt die Pflicht zu intervenieren und zu versuchen, den Schaden zu begrenzen. Dabei werden wir uns die Hände schmutzig machen, aber letztlich geht es auch dabei um die Zukunft unserer eigenen Spezies.
Ihr Verein Frogs & Friends hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Situation von Fröschen und Salamandern in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Warum ausgerechnet Amphibien?
Weil die Amphibien es nötig haben – und natürlich verdienen. Keine Tierklasse ist so stark vom Aussterben bedroht, inzwischen sind es über 40 Prozent aller Amphibienarten. Und das hat natürlich einen Grund. Das fand ich spannend, weil es total unter dem Radar läuft. Bei uns gibt es erst mal nicht so wahnsinnig viele Amphibien, und in Zoos werden sie auch wenig gezeigt, weil die Viecher sich ja nicht bewegen. Die machen in der Regel 364 Tage im Jahr nichts und am 365. Tag etwas Spektakuläres. Wenn man den Menschen diese Geschichte erzählen und nahebringen will, kommt man mit analogen Terrarien nicht sehr weit. Deswegen brauchen sie digitale Verstärkung. Und das ist das, was wir uns bei Frogs & Friends – einer Combo aus Medienschaffenden, Wissenschaftlern und Tierhaltern – auf die Fahnen geschrieben haben.
Und wie weit sind Sie nach acht Jahren Frogs & Friends mit der Problemlösung?
Oh, fast fertig … Nein, leider nicht, das neueste Amphibien-Assessment der Weltnaturschutzunion zeigt im Gegenteil, dass sich die Situation weiter zuspitzt. Wir versuchen, sowohl im digitalen als auch im analogen Bereich das Thema voranzubringen. So haben wir in verschiedenen Zoos kleinere Ausstellungen realisiert – derzeit bauen wir im Erlebniszoo Hannover ein 250 Quadratmeter großes Amphibienhaus, in so einer Dimension gibt es nichts Vergleichbares im deutschsprachigen Raum. Parallel dazu kommunizieren wir in den sozialen Medien und haben verschiedene Online-Angebote entwickelt, die man auf der Homepage finden kann. Unsere interaktive Exkursion in die Welt der Lurche ist inzwischen sogar offizielles Lehrmaterial im Freistaat Bayern. Dort kann man auf spielerische Art eintauchen und auch etwas über die Bedrohungsursachen erfahren.
Was machen die Amphibien zum Beispiel Spektakuläres?
Mein Chef Mark-Oliver Rödel sagt immer »Frösche können alles«. Das fängt beim Fortpflanzungsverhalten an, da sind Amphibien unvergleichlich viel kreativer als Säugetiere. Es gibt Dutzende verschiedener Reproduktionsmechanismen. Da wären zum Beispiel unsere heimischen Moorfrösche, bei denen die Männchen sich im Frühjahr für die Paarungszeit umfärben und für zwei, drei Tage ganz türkis-blau leuchten. Gruselig faszinierend ist zum Beispiel die Wabenkröte. Das Paarungsritual endet damit, dass die befruchteten Eier von der Rückenhaut der Mutter überwachsen werden. Wenn die fertigen Frösche aus dem Rücken der Mutter schlüpfen, ist das ein wahrer Alien-Effekt. Bei einigen von den Blindwühlen – das ist eine kleine Gruppe innerhalb der Amphibien – knabbern die Jungtiere in der ersten Zeit ihre Mutter an, indem sie ihr mit speziellen Zähnen die Schuppen vom Leib raspeln. Diese besonders fetthaltigen Zellen produziert die Mutter eigens für diesen Zweck. In gewisser Weise ist das eine Urform des Säugens. In dieser Beziehung gibt es bei Amphibien wirklich fast nichts, was es nicht gibt.
Gibt es auch Arten, bei denen der Vater eine Rolle spielt bei der Aufzucht der Jungen?
Ja, zum Beispiel beim Darwinfrosch aus Chile. Die Weibchen legen die Eier auf ein Moospolster im Wald. Und wenn die Quappen aus den Eiern schlüpfen, kommen die Männchen, schlucken die Quappen herunter und lagern sie in ihrem Kehlsack. Dort durchlaufen die Kleinen die Metamorphose und nach ca. sechs Wochen spuckt der Vater die fertigen Jungfrösche aus.
Das Artensterben trifft ja alle Tierklassen, wieso sind die Amphibien besonders stark gefährdet?
Eine Erklärung ist, dass sie aufgrund ihres Lebenszyklus und der Metamorphose gleich von zwei Seiten angreifbar sind. Die Metamorphose baut diese Tiere komplett um, von der kiemenatmenden Larve oder Quappe zum lungenatmenden Lurch. Dadurch sind sie extrem angreifbar durch kleinste Veränderungen, sowohl im Wasser als auch an Land. Nebenbei bemerkt sind sie auch die älteste Wirbeltierklasse, die vor fast 400 Millionen Jahren an Land gegangen ist, und haben sich wahrscheinlich zum Teil evolutionär sehr stark an Nischen angepasst, wie zum Beispiel diese lebend gebärende Nimbakröte, die nur auf dem Hochplateau der Nimba-Berge in Westafrika lebt. Über dieser Eisenerzschicht liegt von April bis September oder Oktober Nebel und die Kröten sind aktiv. Wenn der Nebel weggeht, verschwinden die Kröten in den Spalten. Aber sie leben auf wenigen Quadratkilometern oben auf den Plateaus, bei anderthalb Grad Klimaerwärmung ist der Nebel weg. Dann sind die Frösche auch weg.
Ein Hauptgrund des Artensterbens ist ja, dass der Lebensraum verschwindet. Welchen Sinn macht Arterhaltung, wenn dieser gar nicht mehr wiederhergestellt werden kann?
Wir erhalten Optionen für die Zukunft. Ich möchte die Entscheidung nicht fällen, eine Tierart aussterben zu lassen. Wir wissen heute nicht, welche Möglichkeiten es in 50 Jahren gibt. Was wir aber wissen: Was weg ist, ist weg. Ein gutes Beispiel ist der Magenbrüterfrosch aus Australien. Bei dieser Froschart haben die Weibchen ihre Quappen wirklich heruntergeschluckt. Die haben dann ihre gesamte Entwicklung im Magen ihrer Mutter vollzogen. Wie schaffen es diese Tiere, ihre Magensäure so zu regulieren, dass sie ihren Nachwuchs nicht verdauen? Das war natürlich total spannend für die medizinische Forschung. Die Wissenschaftler haben das Geheimnis leider nicht lüften können, weil ihnen der letzte Magenbrüterfrosch im Labor gestorben ist, an einer Pilzseuche, der gerade weltweit Amphibien zum Opfer fallen. Wir wissen überhaupt nicht, was gerade in den tropischen Regionen mit der höchsten Biodiversität an Lösungen für unsere Probleme schlummert. Wenn wir diese Information verlieren, können wir sie nicht wiederherstellen.
Wir versuchen mit dem Artenschutz also in erster Linie so viel Information wie möglich zu retten?
Ja, wir befinden uns bereits in der Phase des Katastrophenmanagements, was aber im ganzen Bereich des Natur- und Artenschutzes einen riesigen Paradigmenwechsel bedeutet. In den 1980er Jahren dachte man noch, um Natur und Tiere zu schützen, errichtet man am besten einen Zaun um ein Gebiet, wirft die Menschen raus und dann wird alles gut. Heute wissen wir, dass das obsolet ist, dass die Zeiträume dafür nicht mehr ausreichen. Wir haben zum Beispiel das Problem, dass die Arten in den Bergen durch den Klimawandel immer weiter nach oben wandern, und irgendwann ist der Berg zu Ende. In Australien wurde schon diskutiert, die Tiere dann auf einen anderen, höheren Berg zu bringen und dort auszusetzen. Im Grunde genommen passiert überall genau das, was wir vom heimischen Wald kennen. Die Anpassung an den Klimawandel bedeutet eine weitgehende Umgestaltung von Lebensgemeinschaften und letztlich ganzen Ökosystemen. Das wird ein Ritt auf dem Vulkan, ist aber leider unvermeidlich.
Bei Citizen Conservation verschreiben sich nun Privatleute der Arterhaltung. Wie kam es zur Gründung und was wird dort genau gemacht?
Ausgangspunkt ist die von den Zoos erprobte koordinierte Erhaltungszucht für bedrohte Arten, bei der europaweit über 400 Arten erhalten werden. Die Kapazitäten der Zoos sind aber begrenzt, der Bedarf steigt gleichzeitig rasant. Innerhalb der letzten 50 Jahre sind zwei von drei wild lebenden Wirbeltieren von der Erde verschwunden. Wenn wir auf die Aussterbekurven schauen, sehen wir einen exponentiellen Verlauf. Darauf kann man nicht linear antworten. Mit anderen Worten: Wir brauchen alle, die mithelfen können. Und das ist der Ansatz von CC. Es gibt gerade in Deutschland sehr viele engagierte und äußerst versierte Privathalter. Wir können es uns nicht leisten, dieses Wissen und diese Kapazitäten ungenutzt zu lassen. CC hat also angefangen, Erhaltungszuchtprogramme aufzusetzen, bei denen private Tierhalter mitmachen können. Und das funktioniert auch. Nach fast fünf Jahren betreuen wir rund 1400 Tiere in 17 Arten, die sich auf über 160 Haltungen verteilen. Zwei Drittel davon sind private Teilnehmer, der Rest zoologische Einrichtungen und Schulvivarien.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Klingt einfach, ist aber eine Menge Arbeit. Im ersten Schritt wählen wir gemeinsam mit entsprechenden Experten-Beiräten geeignete Arten für CC aus, dann werden Haltungsempfehlungen und spezifische Ziele verfasst, dann brauchen wir sachkundige Interessenten, die die Tiere übernehmen würden, und schließlich müssen die Tiere irgendwo herkommen, veterinärmedizinisch gecheckt und an die Teilnehmer vermittelt werden. Und wenn es mit der Zucht losgeht, was glücklicherweise inzwischen fast überall der Fall ist, fängt die logistische Herausforderung an, die Nachzuchten wieder zu verteilen und gegebenenfalls entsprechend zu steuern.
Wie kann denn jemand, der bei CC mitmachen will, das nötige Fachwissen erlernen und nachweisen?
Zum einen gibt es die anerkannten Sachkundenachweise, die man im Rahmen von Schulungen und entsprechenden Prüfungen erwerben kann. Die sind aber noch nicht allzu weit verbreitet, und vor allem die älteren Halter haben diese Prüfungen nie gemacht, sind aber selbstverständlich sachkundig. Das wird dann im direkten Gespräch und durch Übermittlung entsprechender Unterlagen dokumentiert und geklärt. Für die nachwachsende Generation werden Sachkundenachweise eine entscheidende Rolle spielen. Aus diesem Grund bemühen wir uns mit unseren Partnern, der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde und dem Verband der Zoologischen Gärten, um eine stärkere Bewerbung entsprechender Angebote.
Wie kommen die Tiere, die unter strengem Schutz stehen, überhaupt zu den potenziellen Haltern nach Deutschland? Zum Beispiel die Nimba-Kröten aus Guinea?
Das ist ein Riesenprojekt, das ist am oberen Ende der Kompliziertheitsskala. Die Nimba-Berge sind Weltnaturerbe, unter anderem wegen der Nimba-Kröten, die nur da vorkommen. Aber dort oben wird im Tagebau Eisenerz abgebaut und es können immer Unfälle passieren. Die Tiere sind natürlich streng geschützt nach CITES, dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit Tieren und Pflanzen. Der Vorsitzende von Frogs & Friends, Mark-Oliver Rödel, einer der angesehensten Experten für kontinental-afrikanische Amphibien, hat seit 15 Jahren ein Monitoring in den Nimbabergen durchgeführt. Inzwischen spitzt sich die Situation so zu, dass es dringend angeraten erscheint, jetzt zügig eine Reservepopulation in Menschenobhut aufzubauen. Im Rahmen von CC haben wir die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, um zeitnah Tiere aufnehmen und bestmöglich versorgen zu können, parallel dazu laufen mit den Behörden in Guinea sowie mit dem Bundesamt für Naturschutz Gespräche, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu klären und letztlich die Genehmigungen zu erhalten, Tiere aus dem gefährdeten Verbreitungsgebiet zu entnehmen.
Naheliegend wäre ja auch, sich um heimische Amphibien zu kümmern. Wie steht es damit bei CC?
Seit zwei Jahren haben wir tatsächlich auch den heimischen Feuersalamander im Programm. Hintergrund ist die seit etwa 15 Jahren grassierende »Salamanderpest«, eine eingeschleppte Pilz-Infektion, die, wo sie auftaucht, die Bestände der Feuersalamander praktisch vollständig auslöscht. Angefangen hat es im Dreiländereck Deutschland – Niederlande – Belgien, vor zwei Jahren tauchte der Pilz auch bei den ersten Tieren in Bayern auf. Damit war klar, dass wir es mit einer flächendeckenden Bedrohung für den Feuersalamander zu tun haben. So haben wir begonnen, ein Netzwerk aus Zoos, Wissenschaftlern und Naturschutzverbänden zu knüpfen, um zu einer national koordinierten Strategie zu kommen. Da der Pilz im Freiland binnen kürzester Zeit ganze Gebiete praktisch salamanderfrei macht, führt momentan kein Weg daran vorbei, Reservepopulationen in Menschenobhut aufzubauen, bis das Phänomen besser erforscht ist. Wir wissen schlicht nicht, ob die Salamander irgendwann Resistenzen gegen den Pilz entwickeln oder man in irgendeiner Form dazu beitragen kann, den Pilz in Schach zu halten. Auch hier geht es letztlich wieder darum, Optionen für die Zukunft zu erhalten. Und wir reden hier nicht von einem Zeitraum von fünf Jahren, sondern wohlmöglich von 20 oder 40 Jahren. Als Experten-Netzwerk wollen wir aufzeigen, wie ein effektiver Schutz funktionieren kann. Das Ganze auf nationaler Ebene in entsprechender Dimension umzusetzen, wird allerdings ohne staatliche Mittel nicht gehen.
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