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Metropole der Freiheit

Die frühere britische Kronkolonie Hongkong ist immer noch Hort des Widerstands gegen die Zentralregierung in Peking

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.
Offiziell gibt es in der Gastronomie Covid-Kontrollen. Doch viele Hongkonger umgehen sie.
Offiziell gibt es in der Gastronomie Covid-Kontrollen. Doch viele Hongkonger umgehen sie.

»Leider haben wir nur ein einziges Handy dabei«, behauptet der Anführer einer Gruppe durstiger Männer gegenüber dem Kontrolleur. Im zentralen Hongkonger Viertel Sham Shui Po herrscht Feierabendlaune. So fragt der Mann in kumpelhaftem Ton: »Reicht es, wenn du nur mich abscannst?« Der Aufpasser, der ausschließlich Personen in die Trinkhalle lassen darf, die den entsprechenden QR-Code auf ihrem Smartphone haben, reagiert grimmig. Einen kurzen Moment überlegt er.

Dann wendet er seinen Blick vom Scanner neben sich und der Tür dahinter ab und murmelt: »Okay. Viel Spaß. Prost!« Die Gruppe nickt ihm geschlossen zu: »Danke. Wir trinken auf dich!« Wer in Hongkong ein gefälschtes Dokument vorlegt, das Covid-Impfnachweise und dergleichen vorgaukelt, um sich den Eintritt in Cafés, Restaurants oder Trinklokale zu erschleichen, begeht ein schweres Vergehen. Als Strafe drohen 14 Jahre Gefängnis.

Aber wenn man überhaupt kein Dokument vorzeigt? Dann haben viele der in der 7,5-Millionenmetropole allgegenwärtigen Kontrolleure auch dann kein Problem damit, wenn die Erklärung kaum plausibel ist. Überall in Hongkong kommt man praktisch seit Wochen schon in diverse Etablissements, auch wenn man eigentlich nicht darf. So haben die rechtlichen Neuerungen der vergangenen Tage de facto kaum Neues gebracht.

Pekings Regeln werden ignoriert

Seit Mittwoch, 13. Dezember, dürfen Personen, die frisch aus dem Ausland eingereist sind, wieder unmittelbar in die Restaurants und Bars der Stadt. Sie müssen sich nicht mehr wie zuvor drei Tage lang gedulden. Die Lockerung fiel mit mehreren Entspannungen in Festlandchina zusammen, wo zuletzt in diversen Regionen Proteste gegen die strengen Null-Covid-Regeln ausbrachen. Aber im formal autonomen Hongkong, das der politischen Richtung Pekings jedoch Schritt für Schritt folgt, ist bei genauerem Hinsehen selbst mit neuen Regeln viel beim Alten geblieben.

»Fuck the Chinese government!«, stößt ein Mann mittleren Alters an einem Abend in einer anderen Gegend aus: »Scheiß auf die chinesische Regierung!« Seine Lippen bewegt er so, als würde er aus vollem Halse schreien, die Lautstärke des Gesagten aber ist eher im Flüsterton. Seine Freunde, die mit ihm anstoßen, erwidern den leisen Trinkspruch. Sie lachen, machen sich über die Regierung in Peking lustig sowie über jene in Hongkong, die sie als bloßes Marionettenkabinett sehen.

Überall in Hongkong lässt es sich dieser Tage beobachten: Menschen, die sich offensichtlich den Regeln widersetzen. Schließlich ist auch das Schimpfen über die Regierung längst ein schweres Vergehen geworden. Seit eineinhalb Jahren gilt im einst weitgehend selbstregulierten Stadtstaat an der Südküste Chinas das Nationale Sicherheitsgesetz: Der aus Peking oktroyierte Text verbietet praktisch jeden Dissens, insbesondere Kritik am chinesischen Ein-Parteienstaat. Der Griff, mit dem der Staat das Verhalten seiner Bürger kontrollieren will, ist seither so fest wie nie.

Der Liberalismus ist Vergangenheit

Wie arg die Zäsur war, die das Sicherheitsgesetz gebracht hat, zeigte sich im Sommer 2020: Als vor allem junge Menschen zu Hunderttausenden auf die Straßen zogen, um sich zur Wehr zu setzten, wartete die Polizei nicht lange, bis sie mit Tränengas und massenhaften Verhaftungen reagierte. Bald darauf wurden auch unabhängige Medien und die demokratische Opposition im Regionalparlament attackiert. Mittlerweile hat Hongkong keine freie Presse mehr und auch kein Parlament, in dem demokratische Kräfte ein Wort mitreden.

Mittlerweile seit einem Vierteljahrhundert gehört Hongkong, das zuvor 99 Jahre lang britische Kolonie war, wieder zu China. Bei der Übergabe 1997 hatten China und Großbritannien zwar vereinbart, dass das Gebiet für zumindest 50 Jahre autonom bleiben solle, mit freier Presse und letztlich auch demokratischen Wahlen. Nur arbeitete die Regierung in Peking bald daran, den Deal zu unterwandern. Seit Sommer 2020 kann man diesen Vorgang wohl als vollendet betrachten.

Damit hat Hongkong nicht nur seine Freiheit verloren, sondern auch seinen weltweiten Appeal. Die »Global City« zwischen Orient und Okzident galt über Jahrzehnte als Hochburg des Liberalismus mit niedrigen Steuern und weitgehend ohne Regulierungen des Alltagslebens. Windige Gestalten aus dem Westen fühlten sich genauso angezogen wie Freigeister vom chinesischen Festland. Und dieser einzigartige Cocktail machte aus Hongkong nicht nur ein Zentrum für Geldwäsche, sondern auch die wichtigste östliche Metropole für Film und Kunsthandel.

All dies gilt nun als Vergangenheit. Denn als zum Nationalen Sicherheitsgesetz auch noch die strenge Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung hinzukam, ging Hongkong zwar nicht mehr in Protesten unter, erlebte stattdessen aber einen Exodus. Ungefähr 140 000, maßgeblich junge und demokratisch gesinnte Menschen sind nach Großbritannien ausgewandert. Dem lokalen Arbeitsmarkt mangelt es akut an Fachkräften.

Niemand spricht mehr über Demokratie

Über die Krise der Filmbranche diskutieren unterdessen auch schon regierungstreue Zeitungen – nicht zuletzt, weil sich Ikonen wie der Actionstar Jackie Chan nicht etwa mit der populären Demokratiebewegung solidarisiert haben, sondern mit der Kommunistischen Partei Chinas. Als Chan im Sommer 2021 erklärte, der KP beitreten zu wollen, erklärten Kritiker die einst dynamische Filmbranche für endgültig politisch kontrolliert. Wie dieser Tage alles in Hongkong?

So einfach ist es eben nicht. »Hongkong war schon immer ein Ort, an dem Ja, Nein und Vielleicht gleichzeitig Gültigkeit haben«, sagt ein Unternehmer an einem Nachmittag in einem Café nahe den Fähranlegern im alten Stadtzentrum. Um einen Sitzplatz zu erhalten, hat auch er seine Dokumente nicht vorgezeigt. Lässt sich das offensichtlich absichtliche Vergessen der Covid-Regeln als Zeichen des Protests gegen Peking lesen? Der Unternehmer grinst: »Kann schon sein.«

Denn natürlich habe die Freiheit in der letzten Zeit nachgelassen, und zurückkommen werde sie kaum. »Das Wort Demokratie nimmt hier niemand mehr in den Mund«, sagt der Entrepreneur, schaut einen Moment besorgt um sich. »Und wenn doch mal, dann müssen wir sehr vorsichtig sein, in welchem Kontext.« Trotzdem will er, der mit seinem IT-Startup auch nach Südostasien hätte abwandern können, Hongkong treu bleiben.

»Hongkong ist doch weiterhin eine Metropole der Freiheit«, findet er. »Nicht nur, weil sie noch immer Menschen aus der ganzen Welt anzieht, die mit ihren Ideen und Fähigkeiten herkommen, um Geld zu verdienen und ihr Glück zu finden.« Sondern auch, fügt der Unternehmer etwas leiser hinzu, weil die Menschen hier immer wieder aufs Neue verstünden, wie man sich in bedrohlichen Situationen verhalten müsse, um die eigenen Interessen zumindest teilweise durchzusetzen.

Mit Humor gegen das Sicherheitsgesetz

Zur Hongkonger Überlebensstrategie von heute gehört maßgeblich, den Mund zu halten, zumindest offiziell: Während Journalisten vor zweieinhalb Jahren ohne größere Probleme lauter kritische Stimmen ans Mikrofon bekamen, reden die allermeisten Menschen heute höchstens unter Anonymität.

So auch ein junger Taxifahrer an einem anderen Morgen. »Die meisten, die ich kenne, sind gegen die Regierung aus Peking«, sagt er zuerst zögerlich. »Viele meiner Freunde waren vor zwei Jahren auf der Straße haben für unsere Freiheit protestiert. Ich ehrlich gesagt auch.« Sein Auto passiert das Hongkonger Regionalparlament direkt am Wasser. Wo vor wenigen Jahren noch Proteste stattfanden, sind heute nur kahle Glaswände hinter einem aufgeräumten Vorplatz zu sehen.

»Die Kontrolle ist jetzt stärker. Wird wahrscheinlich auch noch zunehmen«, schätzt der Taxifahrer. Deswegen traue er sich nicht, auch nur leise über Chinas Regierung zu schimpfen. Nach einem kurzen Moment der Stille grinst er in den Rückspiegel. Er macht das heute anders: »Wenn meine Freunde und ich uns zum Trinken treffen, stoßen wir immer mit lauten Rufen auf das Nationale Sicherheitsgesetz an. Manchmal auch auf Xi Jinping.«

Oft müssten der Taxifahrer und seine Freunde dann lachen. Und manchmal ernten sie daraufhin misstrauische Blicke von den Nachbartischen. Aber Sorgen macht er sich deshalb nicht, sagt er. »Was könnte denn falsch daran sein, wenn wir unsere gültigen Gesetze ausdrücklich loben?«

Vor knapp zwei Jahren gingen die Menschen in Hongkong für mehr Freiheit auf die Straße. Der Protest wirkt bis heute nach.
Vor knapp zwei Jahren gingen die Menschen in Hongkong für mehr Freiheit auf die Straße. Der Protest wirkt bis heute nach.
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