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Später Aufbruch ins Neuland
Digitale Lehre soll bei Lehrverpflichtung berücksichtigt werden
Nach der Kontroverse ist vor der Kontroverse: Nachdem das 2021 beschlossene Berliner Hochschulgesetz angepasst wurde und auch die Universitäten in den wichtigsten Streitpunkten eingelenkt haben, droht jetzt mit der Novelle der Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) erneut Zoff zwischen Senat und Hochschulen. Die Verordnung regelt, wie viel Zeit die Dozierenden an den Hochschulen für die Lehre aufwenden müssen. Ansonsten können sie sich ihren Forschungen widmen. Was nach einem trockenen bürokratischen Akt klingt, hat große Auswirkungen auf das tägliche Arbeiten und Studieren an den Hochschulen: Unter anderem die Lehrverpflichtungen bilden die Grundlage für die Berechnung, wie viele Studierende die Hochschulen aufnehmen können. Welche Lehrformate wie abgerechnet werden können, ist entscheidend dafür, wie an den Hochschulen unterrichtet wird.
Mit entsprechenden hohen Erwartungen wurde auf den Entwurf für die neue LVVO geblickt. Dass eine Überarbeitung notwendig ist, bestreitet niemand. Die aktuell gültige Verordnung stammt noch aus dem Jahr 2004. Mit der Novelle des Hochschulgesetzes von 2021 wurden zudem Stellen für sogenannte wissenschaftliche Mitarbeiter mit Aufgabenschwerpunkt in der Lehre geschaffen, die die Verordnung bisher nicht kennt. Diese Mitarbeiter sollen mehr unterrichten und dafür weniger forschen. So will man den chronisch überfüllten Vorlesungssälen beikommen. Auch wissenschaftliche Mitarbeiter an den Fachhochschulen gab es im heutigen Sinne noch nicht, als die Verordnung zuletzt angepasst wurde.
Mit der Novelle will die Senatsverwaltung für Wissenschaft nun die »vordringlichsten Änderungsanliegen« regeln, wie es in einer Mitteilung an die Hochschulen heißt. Grundsätzliche Debatten wolle man zunächst nicht führen. Entsprechend unambitioniert erscheinen Kritikern die Eckpunkte des Entwurfs, den die Senatsverwaltung im Sommer vorstellte: Die Lehrverpflichtungen für Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter sollen weitgehend gleich bleiben. Dafür wird die Personalkategorie Hochschuldozentur geschaffen. Wer eine solche Dozentur innehat, soll regulär 9 bis 14 Stunden in der Woche unterrichten. Das würde ihn zwischen Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern platzieren. Seit der letzten Hochschulgesetzänderung müssen die Universitäten unbefristete Dauerstellen für Post-Docs schaffen. Auf diese Stellen scheint die Hochschuldozentur gemünzt zu sein. Erstmals sollen digitale Lehrveranstaltungen wie Videoseminare bei der Berechnung berücksichtigt werden.
»Leider ändert sich nicht genug«, sagt Anja Hörmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Berlin und Vorstandsmitglied in der Landesvertretung Akademischer Mittelbau. Nachbesserungsbedarf sieht sie unter anderem in der digitalen Lehre. Mit der Corona-Pandemie habe dieser Bereich enorm an Bedeutung gewonnen. Im Entwurf für die neu gefasste Verordnung ist vorgesehen, Lehrformate in Echtzeit – wie Online-Seminare über Videochat-Software – mit Lehrveranstaltungen in Präsenz gleichzustellen. Lehrveranstaltungen, die sich die Studierenden im Nachhinein ansehen, wie Videoaufzeichnungen von Vorlesungen, sollen dagegen nur einmal abgerechnet werden können.
Für Hörmann eine praxisferne Regelung: »Es ist ja nicht so, dass man das nur abspielt.« Die Videos müssten regelmäßig aktualisiert werden. Daher sollten diese Formate nach zwei Semestern zu 50 Prozent abrechenbar sein, fordert sie. Mischformen wie das sogenannte Blended Learning, bei dem Lehrveranstaltungen in Präsenz mit digitaler Vor- und Nachbereitung kombiniert werden, würden im Entwurf bisher gar nicht berücksichtigt, obwohl sie mit großem Aufwand für die Lehrenden verbunden seien.
»Es wird so getan, als wenn Online-Lehre weniger aufwendig sei«, sagt auch Ina Czyborra, wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Digitale Lehre dürfe nicht als »Billig-Lehre« verstanden werden, warnt sie. Besorgt blickt sie auch auf die Situation an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft. Wissenschaftliche Mitarbeiter an den Fachhochschulen sollen laut Entwurf zwischen 14 und 22 Stunden in der Woche unterrichten. Für Czyborra ist das zu viel: »Diese Stellen sollen eigentlich die Forschung an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften stärken, das wird so konterkariert.«
»Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist mit einem so großen Lehrpensum kaum möglich«, findet Anja Hörmann. Auch die Professoren der Fachhochschulen hatten sich vergeblich erhofft, dass ihr Lehrdeputat sinken würde. Statt 18 sollten sie nur 12 Stunden unterrichten, fordert die Landesrektorenkonferenz in einem Brief an die Senatsverwaltung. Dies würde dem gestiegenen Aufwand für andere Aufgaben entsprechen, argumentiert die Vertretung der Hochschulleitungen.
Umstritten ist der Entwurf für die Novelle besonders im Bereich der Lehrkräftebildung. Lehramtsstudierende absolvieren ein Praxissemester, in dem sie eigenständig an Schulen unterrichten. Ihre Dozierenden sollen sie regelmäßig an den Schulen besuchen. Dafür sollen sie zwei Stunden von ihrem Lehrdeputat abziehen können. Viel zu wenig, befürchtet Ina Czyborra: »Das funktioniert nicht – da muss man nur einfache Grundrechenarten anwenden«, sagt sie. Der Zeitaufwand, die Studierenden in über ganz Berlin verteilten Schulen zu besuchen, sei viel größer. »Wenn man eine hochwertige Betreuung will, muss man das anders regeln«, sagt sie.
Auch in den Lehrkräftebildungszentren der Hochschulen gibt es die Befürchtung, dass das Konzept der Unterrichtsbesuche mit der neuen Verordnung nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Für Anja Hörmann ist mit der Verordnung zudem ein Grundprinzip der Universität in Gefahr: die Verbindung von Forschung und Lehre. Mit dem Lehrpensum eines wissenschaftlichen Mitarbeiters mit Schwerpunkt Lehre sei eigene Forschung nicht mehr möglich. Dabei sei diese auch zentral für die Lehre. »Wir müssen ja auf der Höhe der Zeit bleiben«, sagt sie. Hochschullehre könne nicht bedeuten, dass man nur ein Programm abspule. Zwölf Wochenstunden Lehre sei das »absolute Maximum«, das leistbar sei. Als Kompromiss könnte sie sich vorstellen, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter zeitweise ihr Deputat reduzieren könnten, um Forschungsvorhaben zu verfolgen.
Die Lehrverpflichtungsverordnung wird vom Senat beschlossen, eine direkte Beteiligung des Parlaments ist nicht vorgesehen. Hans-Christoph Keller, Sprecher der Wissenschaftssenatsverwaltung, teilt auf nd-Anfrage mit, dass man sich mit der Kritik auseinandersetze. So wolle man eine »sach- und interessensgerechte Lösung« erreichen. Geplant sei, die Novelle zu Beginn des neuen Jahres final zu machen.
Für Ina Czyborra geht das zu schnell. An den Hochschulen werde gerade erst diskutiert, wie Dauerstellen im Mittelbau umgesetzt werden könnten. Die Humboldt-Universität hatte erst im September ein Konzept vorgestellt. »Vielleicht sollte man diesen Prozess zunächst abwarten«, sagt Czyborra. Hörmann wünscht sich dagegen eine schnelle Lösung, weil es im Bereich digitale Lehre bisher noch gar keine Regelungen gebe. »Lieber ein kleiner Schritt vorwärts als gar kein Schritt«, sagt sie.
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