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Wie Santa ist eigentlich Claus?
Die Strümpfe vollstopfen und die Hunde ankleiden: Weihnachten in den USA ist anders
Willkommen in Fernwest, in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo Paris in Texas liegt und die Art Basel in Miami Beach stattfindet, wo Katholiken nicht als Christen gelten und Fußball »soccer« heißt, wo Eierbecher ebenso unbekannt sind wie Kuchengabeln. Auch die Adventszeit ist hierzulande ein Fremdwort: Als ich meinen Bekannten – gläubigen Christen – einen schönen ersten Advent wünschte, fragten sie, ob das ein jüdisches Fest sei. Dabei hatten sie meiner Tochter einen Adventskalender geschenkt, aber bestimmt haben sie »Advent calendar« als »Abenteuerkalender« interpretiert.
Auch der in Deutschland so geschätzte Nikolaustag ist in den USA gänzlich unbekannt. Über die Weihnachtsstimmung herrscht hier stattdessen ein pummeliger alter Mann in Rot, dessen wachsender Macht auch wir Deutschen uns nicht entziehen können: Santa Claus. Doch wer ist dieser Mann vom Nordpol eigentlich? Mit seinem Namensgeber, dem heiligen Bischof Nikolaus aus dem kleinasiatischen Myra des 4. Jahrhunderts, hat er wenig mehr gemein als die Idee der Beschenkung von Kindern. Wollte der Heilige damals noch Mädchen mittels Goldmünzen in ihren Strümpfen vor der Prostitution bewahren, so prostituiert sich heute die Religion im Namen der Süßwarenindustrie, damit wir unsere am Kamin hängenden »Christmas stockings« mit Naschzeug vollstopfen.
Alles andere, was den amerikanischen Weihnachtsmann ausmacht, wurde im Laufe der Zeit hinzugedichtet. Importiert von holländischen Immigranten, wurde Santa Claus erst zum Symbol für die amerikanische Unabhängigkeit von Großbritannien. Im 19. Jahrhundert presste der deutsche Auswanderer und Illustrator Thomas Nast Santas voluminösen Körper in einen roten Anzug mit weißem Pelzkragen und lud die Figur weiter politisch auf, indem er aus dem Bischof einen Gewerkschafter und Yankee machte, um so für den Abolitionismus und mehr Gerechtigkeit zu werben. Das hätte dem Nikolaus von Myra sicher gefallen, denn auch er war für Fairness, wenn auch ohne Gewerkschaftsausweis.
Der finnisch-amerikanische Künstler Haddon Sundblom erfand Santa im Jahr 1931 für die Coca-Cola-Werbung als einen zuckersüßen Opa neu. Vielleicht war in Santas Cola noch ein Rest Kokain, weshalb er nicht die Tür, sondern den Schornstein als habituellen Hauseingang nutzte. Seither ist der Mythos von Santa in der Öffentlichkeit unverändert geblieben: Er fällt ohne Tür ins Haus (Familien in kaminlosen Wohnungen sind da etwas im Nachteil), hinterlässt Geschenke und bedient sich an den Keksen und der Milch, die Kinder für ihn vorsorglich bereitgestellt haben. Am besten lege man die Kekse auf einen Teller, auf dem »Cookies for Santa« stehe, meint meine Tochter. Der Heilige im 4. Jahrhundert verteilte all seinen Besitz an Bedürftige und wurde im Knast gefoltert (eine heute noch beliebte Polizeimaßnahme in der Gegend). Im 21. Jahrhundert wünscht er sich offenbar einen personalisierten Teller der Firma TK Maxx, die in Amerika auch noch »TJ Maxx« heißt.
Weihnachtsmännisch personalisiert ist auch das Geschenkpapier, in das die Eltern gern einen Teil der Geschenke einschlagen, um deutlich zu machen, dass sie unmittelbar von Santa kommen. Meist sind das allerdings die weniger wertvollen Geschenke. Denn: Santa erscheint, wenn überhaupt, nur einmal pro Jahr, leistet keine Care-, keine Erziehungs-, keine Aufklärungsarbeit – und soll trotzdem den ganzen Kindesdank einheimsen? Nicht mit uns. Bei aller Liebe zum Weißbart. Und Liebe kriegt er ja ohnehin: Landesweit nennen laszive Sängerinnen Santa ihr Baby, obwohl sie ihn, den alten kapitalistischen Fettwanst, doch offensichtlich eher als Sugar-Daddy betrachten und letztlich nur um Schmuck anbetteln.
Damit er die Häuser, in denen vielleicht die eine oder andere schmucke Hausfrau nach ihm schmachtet, sicher erreichen kann, besitzt eines seiner Rentiere eine rote, in der Nacht leuchtende Nase; offenbar verschenkt er so viele Smartphones, dass keines mehr für ihn übrigbleibt, um Google Maps anzuschmeißen. Das Christkind dagegen findet an Weihnachten nicht zu den Amerikanern, auch wenn die meisten protestantisch sind: Als Luther das weihnachtliche Christkind erfand, hätte er ihm vielleicht cyborgmäßig ein Navi verpassen sollen. Oder es einfach auf dem Tannenbaum platzieren müssen, denn diesen haben die Amerikaner stillschweigend von den Deutschen übernommen – nicht ohne die Gesamtmasse des Schmucks zu verviel- oder sogar vervierfachen. Santa jedenfalls, ein alter weißer Sack mit Sack, hat nichts Sakrales mehr an sich – wobei er andererseits hervorragend zum Säulenheiligen der wahren amerikanischen Religion taugt: des Konsums.
Apropos Konsum: Nun muss ich leider los, denn nicht nur meine Tochter hat gleich einen schon vor Wochen vereinbarten Fototermin mit Santa im Einkaufszentrum, sondern – ungelogen – auch meine Hunde haben einen. Für diesen großen Moment brauchen sie vorab neue Kostüme und Accessoires. Die Hunde erhalten weihnachtliche Schals und Mützen, die Tochter wünscht für sich und ihre Lieblingspuppen festliche Kleider im Partnerlook. Unterwegs müssen wir anhalten für Burger und Pommes, hoffentlich ist in meiner Cola noch ein Rest Koks.
Mensch und Hund freuen sich auf das Zusammentreffen mit Claus – nur ich nicht. »Why Christmas?«, höre ich mich nervös zum Radiosong singen, den immerhin Berlin geschrieben hat.
Jana Talke ist eine aus der deutschen Universität promovierte TikTokerin, die uns 2023 weitere Nachrichten aus Fernwest zukommen lassen wird
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