Schlangen haben doch eine Klitoris

Weibliche Genitalien sind auch in der Zoologie nur schlecht erforscht

  • Barbara Barkhausen und Jutta Blume
  • Lesedauer: 5 Min.
Zu den untersuchten Schlangen zählt die in Australien vorkommende Todesotter
Zu den untersuchten Schlangen zählt die in Australien vorkommende Todesotter

Anders als bisher angenommen, haben weibliche Schlangen eine Klitoris, wie jetzt in einer Studie gezeigt wurde. Den Forschenden ging es dabei auch darum, eine Lanze für weibliche Geschlechtsorgane zu brechen. Diese erhielten im Vergleich zu den männlichen Pendants zumindest im Tierreich häufig weniger Aufmerksamkeit. Denn es gibt Themen, die selbst unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bisher eher vernachlässigt wurden. Eines davon sind – ohne Frage – die Geschlechtsorgane weiblicher Schlangen, auch wenn sie nicht die einzigen »Opfer« dieses Desinteresses sind.

»Im gesamten Tierreich werden weibliche Genitalien im Vergleich zu ihren männlichen Gegenstücken übersehen«, sagte Megan Folwell, eine Doktorandin der School of Biological Sciences der University of Adelaide in Südaustralien, die die Forschung leitete. Dies wollten Folwell und ihr internationales Forscherteam ändern. Ihre Studie, die sie im Fachmagazin »Proceedings of the Royal Society B Journal« veröffentlichten, liefert die erste anatomische Beschreibung einer Schlangenklitoris. Damit würden sie nun auch der langjährigen Annahme widersprechen, dass die Klitoris bei Schlangen entweder fehle oder nicht funktionsfähig sei, so die Biologin.

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die weiblichen Genitalien in erwachsenen Schlangenexemplaren und verglichen diese mit den Genitalien erwachsener und jugendlicher männlicher Schlangen. In die Studie wurden insgesamt neun Arten einbezogen, unter anderem aus Australien, Mexiko und Afrika. Unter den untersuchten Schlangen war auch die hochgiftige Todesotter (Acanthophis antarcticus) aus Australien.

Vermutetes Lustempfinden

Die Forschenden fanden heraus, dass die herzförmige Klitoris der Schlange aus Nerven und roten Blutkörperchen besteht, die mit Schwellkörpern vergleichbar sind. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Klitoris während der Paarung anschwillt und stimuliert wird. Letzteres sei eine wichtige Erkenntnis, meint Kate Sander, eine Biologie-Professorin der University of Adelaide. Denn bisher sei oft angenommen worden, dass die Weibchen eher zur Paarung gezwungen würden – und »keine Verführung« stattfinde.

Dank der neuen Studie könnten die weiblichen Genitalien von Schlangen nun »korrekt anatomisch« beschrieben und betitelt werden. Außerdem würden die Forschungsarbeiten dabei helfen, Systematik, reproduktive Evolution und Ökologie bei schlangenähnlichen Reptilien wie Eidechsen besser zu verstehen, hieß es vonseiten der südaustralischen Universität.

Die Doktorandin Folwell erklärte zudem, sie sei auch einfach »stolz« auf ihre Forschung, weil weibliche Genitalien bei allen Arten »leider immer noch ein Tabu« seien. Laut ihrer Professorin war Folwell die treibende Kraft hinter der Forschung. Sie habe eine »neue Perspektive auf die genitale Evolution« mitgebracht, so Sander. »Diese Entdeckung zeigt, wie die Wissenschaft unterschiedliche Denker mit unterschiedlichen Ideen braucht, um voranzukommen.«

Doch das Interesse an der Erforschung der Klitoris im Bereich der Zoologie wächst. Erst Anfang des Jahres war in der Fachzeitschrift »Current Biology« über das Sexualverhalten von Delfinen der Art Tersiops truncatus berichtet worden, besser bekannt als Tümmler. Eine Gruppe von Forschenden um Patricia Brennan vom Mount Holyoke College hatte für die Studie die Klitoris gestrandeter und verendeter Tiere untersucht.

In der Zusammenfassung heißt es: »Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Klitoris von Delfinen über gut entwickelte Erektionsräume verfügt, sehr empfindlich auf taktile Stimulation reagiert und wahrscheinlich funktionell ist.« Die Beschaffenheit des Organs und das beobachtete Sexualverhalten ließen vermuten, dass die weiblichen Delfine ein Lustempfinden haben. Es wurde beobachtet, dass die Tiere auch während unfruchtbarer Phasen kopulieren und dass es außerdem sexuelle Interaktionen zwischen weiblichen Tümmlern gibt.

Anatomische Wissenslücken

Auch bezüglich der menschlichen Anatomie bestanden lange Zeit erhebliche Wissenslücken, oder bestehendes Wissen wurde in anatomischen Fachbüchern kaum weitergegeben. Im Jahr 1998 entdeckte die australische Urologin Helen O’Connell vom Royal Melbourne Hospital, dass die menschliche Klitoris mindestens doppelt so groß ist wie häufig in der Fachliteratur beschrieben. Denn die Klitoris ist ein verästeltes Organ, dessen größter Teil bis zu neun Zentimeter ins Körperinnere reicht. Auf die Diskrepanz stieß O’Connell bei der Sektion weiblicher Leichen. 2005 veröffentlichte die Urologin erneut Details zu Größe und Form des Organs, die sie mittels Magnetresonanztomografie ermittelt hatte.

Kontinent der Giftschlangen

Was die Schlangen angeht, gehören sie – bis auf ihre Genitalien – in Australien zu den Gegenständen, mit denen sich die Wissenschaft dort recht intensiv auseinandersetzt. Das liegt daran, dass einige der giftigsten Schlangen der Welt in Australien leben, wobei der eigentlich recht friedliche Inlandtaipan den Titel der giftigsten Schlange der Welt für sich beanspruchen kann. Insgesamt gibt es in Australien über 100 Schlangenarten, von denen aber nur einige so giftig sind, dass sie einen Menschen töten können.

Schlangenbisse bei Menschen sind dennoch nicht an der Tagesordnung. Zudem gibt es wirksame Gegengifte. Diese erhalten mehrere Hundert Personen pro Jahr. Im Durchschnitt sterben ein bis zwei Menschen jährlich an einem Schlangenbiss. Die Reptilien sind das ganze Jahr über gefährlich, doch in den wärmeren Monaten ist die Gefahr natürlich größer, weil sie dann deutlich aktiver sind. Und obwohl es auf dem Land mehr Schlangen gibt, werden auch in den Großstädten jedes Jahr etliche giftige und ungiftige Schlangen aus Häusern geholt.

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