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Superwiedererkenner bei der Polizei
Mehrere Bundesländer bauen Einheiten zur analogen Gesichtserkennung auf, nun folgt die Bundespolizei
Die Bundespolizei will den Einsatz von sogenannten Super-Recognisern ausweiten und dazu entsprechende Einheiten aufbauen. Nach einem Testverfahren seien 113 Beamte mit der besonderen Fähigkeit gefunden und für die neue Tätigkeit ausgewählt worden, erklärte eine Sprecherin des Präsidiums in Potsdam kürzlich der dpa. Die Superwiedererkenner sollen nun bei der Fahndung und Observierung eingesetzt werden. Damit ist die kuriose und vergleichsweise neue Fahndungsmethode der Polizei auch auf Bundesebene angekommen.
Super-Recogniser sind Personen, die sich besonders gut Gesichter merken und diese in Menschenmengen wiedererkennen können. Bis zu zwei Prozent aller Menschen sollen über die angeborene Fähigkeit verfügen. Entdeckt hat dies der britische Wissenschaftler Josh Davis bei einer Untersuchung innerhalb der Metropolitan Police. Dort fiel auf, dass immer die gleichen Beamten besonders viele Verdächtige auf Bild- und Videomaterial identifizieren konnten. Anschließend half der britische Forscher den Landespolizeien in Deutschland bei der Suche nach Super-Recognisern in den eigenen Reihen.
In Deutschland hat offenbar die Polizei in Nordrhein-Westfalen (NRW) zuerst von der Praxis Gebrauch gemacht, damals aber noch nicht mit eigenen Ermittlern. So habe das Polizeipräsidium Köln »im Nachgang der Vorfälle zum Jahreswechsel 2015/16« bei der britischen Metropolitan Police um Unterstützung zur menschlichen Sichtung von Bildmaterial gebeten, schreibt das Innenministerium des Bundeslandes in der Antwort auf eine Anfrage über die Plattform »Frag den Staat«. Damit wollte die Polizei Täter von sexuellen Übergriffen ermitteln.
Eine erste deutsche Einheit von Super-Recognisern entstand mit Hilfe des Forschers Davis im Jahr 2018 in Bayern. Dort wurden nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren 13 Polizistinnen und 14 Polizisten ausgewählt. Einer ihrer ersten Einsätze erfolgte im Zugangskontrollbereich und am »Videoarbeitsplatz« für das jährliche Oktoberfest. Dafür hatten sich die Beamten unter anderem Bilder von Personen mit Hausverbot eingeprägt. Angeblich sollen die Super-Recogniser damals in Hunderten Fällen bei der Aufklärung geholfen haben.
Die bayerischen Polizisten haben inzwischen mindestens 45 Kollegen aus Hessen zur Superwiedererkennung geschult. Sie sollen nun fester Bestandteil bei allen sieben hessischen Polizeipräsidien werden. In den meisten Fällen erfolgt dies im Nebendienst, also wenn die Fähigkeiten bei Ermittlungen benötigt werden.
Zwei Beamte waren im vergangenen Jahr hauptamtlich als Super-Recogniser in Frankfurt im Einsatz. Dort gleichen sie täglich aktuelle Personenfahndungen mit Bilddaten von bekannten Tätern oder Verdächtigen ab. In ihren Ermittlungen gehen die Beamten anschließend auf Streife oder durchforsten Standbilder von Videokameras im öffentlichen Raum auf der Suche nach einer Übereinstimmung. Allein im vergangenen Jahr hätten Super-Recogniser in über 1 000 Fällen Personen wiedererkannt, sagte das hessische Innenministerium »nd«.
Auch die Polizei in Baden-Württemberg verfügt über Super-Recogniser. Im Juni 2020 soll mit ihnen »ein erheblicher Teil« von Tatverdächtigen der »Stuttgarter Krawallnacht« ermittelt worden sein. Inzwischen durchlaufen alle angehenden Polizisten an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg ein Auswahlverfahren für Super-Recogniser. Anschließend werden sie auch auf Weihnachtsmärkte oder in Fußballstadien geschickt, um dort nach Taschendieben oder anderweitig polizeibekannten Straftätern zu suchen.
Einsätze von Super-Recognisern erfolgen auch bei politischen Versammlungen. So hatten sechs bayerische Beamte nach dem G20-Gipfel 2017 die in Hamburg eingerichtete Sonderkommission »Schwarzer Block« unterstützt. Ob NRW seine Super-Recogniser auch bei Klimaprotesten wie derzeit in Lützerath einsetzt, wollte das zuständige Polizeipräsidium in Aachen auf Anfrage von »nd« aus »einsatztaktischen Gründen« nicht beantworten. Auch das Innenministerium in Düsseldorf gibt sich zugeknöpft.
Die humanoide Gesichtserkennung soll sogar möglich sein, wenn es sich um ein altes Fahndungsfoto handelt oder die Personen ihr Aussehen mit Mütze, Bart, Sonnenbrille oder Bemalung verändert haben. Dies will die bayerische Polizei bei der Handhabung von Umweltprotesten gegen den Weiterbau der A49 im Dannenröder Forst erfolgreich demonstriert haben. Dort waren fünf bayerische Super-Recogniser auf Anforderung der hessischen Polizei eingesetzt.
Im »Danni« war die Polizei mit Protestierenden konfrontiert, die bei einer Festnahme ihre Identität nicht preisgeben wollten und dazu ihre Papillarlinien auf den Fingerkuppen verklebt hatten. Der FAZ zufolge haben sich die hessischen Super-Recogniser deshalb Fotos aus »16 Listen mit sogenannten Identitätsverweigerern« eingeprägt. Viele der dort gespeicherten 1 668 Personen seien jedoch doppelt vorhanden gewesen. Auch dies hätten die Superwiedererkenner entdeckt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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